Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Schwerbehinderten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Kündigt der Arbeitgeber unmittelbar nach Erteilung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle dem schwerbehinderten Arbeitnehmer fristlos durch Einschreiben, das nach erfolglosem Zustellversuch bei der Postanstalt niedergelegt, nach Ablauf der siebentägigen Lagerfrist an den Arbeitgeber zurückgesandt und erst dann dem Arbeitnehmer zugestellt wird, dann kann es dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich darauf zu berufen, die Kündigung sei nicht unverzüglich im Sinne des § 18 Abs 6 SchwbG erklärt worden, wenn ihm der Benachrichtigungsschein über die Niederlegung des Einschreibebriefs bei der Postanstalt (hier: durch Einwurf in den Hausbriefkasten) im Sinne des § 130 BGB zugegangen ist. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer weiß, daß bei der Hauptfürsorgestelle ein Zustimmungsverfahren anhängig ist, den Benachrichtigungsschein tatsächlich erhält oder die Unkenntnis von dessen Zugang zu vertreten hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß er in dem Zeitraum, in dem er mit einer Kündigung rechnen muß, seine Post sorgfältig durchzusehen hat.

2a. In einem solchen Fall trifft den Kündigenden zunächst die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die den Einwand begründen, der Arbeitnehmer berufe sich treuwidrig auf den verspäteten Zugang der Kündigung.

b. Steht der Zugang des Benachrichtigungsscheins an den Arbeitnehmer fest, so reicht es nicht mehr aus, wenn dieser pauschal bestreitet, von dem Benachrichtigungsschein tatsächlich Kenntnis erlangt zu haben. Er muß vielmehr konkrete Umstände vortragen, aus denen sich ergibt, daß er von dem Benachrichtigungsschein ohne sein Verschulden keine Kenntnis erlangt hat.

 

Normenkette

BGB §§ 130, 242; SchwbG § 18

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Entscheidung vom 21.05.1984; Aktenzeichen 4 Sa 14/84)

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 23.12.1983; Aktenzeichen 12 Ca 4665/83)

 

Tatbestand

Der schwerbehinderte Kläger war seit 1964 bei der Beklagten gegen ein Monatsgehalt von zuletzt 6.039,-- DM brutto als Betriebsleiter beschäftigt. Am 28. März 1983 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Kläger habe Unterschlagungen in Höhe von 200.000,-- DM begangen. Auf die hiergegen erhobene Klage stellte das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Teilurteil vom 12. August 1983 die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigung wegen fehlender Zustimmung der Hauptfürsorgestelle fest.

Mit einem am 8. August 1983 bei der Hauptfürsorgestelle eingegangenen Schreiben ihrer späteren Prozeßbevollmächtigten vom 5. August 1983 beantragte die Beklagte die Zustimmung zu einer erneuten fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Zur Begründung führte sie an, sie habe am 2. August 1983 von einer weiteren Unterschlagung des Klägers erfahren, die dieser außerhalb ihres Betriebes im Rahmen eines bei einer Firma K in Nürnberg geführten Personalverkaufs begangen habe. Er habe den Erlös für die von ihm in diese Firma gebrachten und an das dortige Personal zu günstigen Preisen verkauften Waren in Höhe von zusammen 2.300,-- DM im November bzw. Dezember 1982 gegen Quittung ausbezahlt erhalten, jedoch nicht an sie, die Beklagte, abgeführt.

Mit einem an ihre späteren Prozeßbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 19. August 1983 teilte die Hauptfürsorgestelle der Beklagten mit, daß die beantragte Zustimmung nach § 18 Abs. 3 SchwG als erteilt gelte, weil innerhalb der Zehn-Tage-Frist keine Entscheidung getroffen worden sei. Mit Schreiben vom selben Tag, das eingeschrieben gegen Rückschein zur Post gegeben wurde, kündigte die Beklagte daraufhin das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Das Schreiben wurde bei der Postanstalt niedergelegt und mit dem unter dem 30. August 1983 angebrachten Vermerk "nicht abgeholt" an die Beklagte zurückgesandt. Die Beklagte beauftragte daraufhin am 1. September 1983 einen Gerichtsvollzieher mit der Zustellung des Kündigungsschreibens, der es am 4. September 1983 zur Post gab. Am 5. September 1983 wurde das Schreiben dem Kläger zugestellt.

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung. Er hat vorgetragen, er habe weder die ihm im Vorprozeß noch im vorliegenden Prozeß vorgeworfenen Unterschlagungen begangen. Die erneute Kündigung sei aber u. a. bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte nicht die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, den Betriebsrat sowie den Vertrauensmann der Schwerbehinderten nicht ordnungsgemäß gehört und schließlich die Kündigung auch nach Eintritt der Zustimmungsfiktion nicht unverzüglich i.S. des § 18 Abs. 6 SchwbG erklärt habe.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19. August 1983 nicht aufgelöst wird, sondern fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie habe von dem neuen Sachverhalt erst am 2. August 1983 Kenntnis erlangt und somit die Zustimmung rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 18 Abs. 2 SchwbG bei der Hauptfürsorgestelle beantragt. Sie habe vor Ausspruch der Kündigung gem. § 105 BetrVG, § 22 Abs. 2 SchwbG den Betriebsrat und den stellvertretenden Vertrauensmann der Schwerbehinderten gehört. Sie habe die Kündigung auch unverzüglich nach Eintritt der Zustimmungsfiktion erklärt. Der Sachbearbeiter der Hauptfürsorgestelle habe auf ihre telefonische Anfrage nach Ablauf der Zehn-Tage-Frist erklärt, daß der Eintritt der Zustimmungsfiktion sowohl der Beklagten als auch dem Kläger schriftlich mitgeteilt worden sei. Der von der Hauptfürsorgestelle im Rahmen des Anhörungsverfahrens von der beabsichtigten Kündigung unterrichtete Kläger habe somit spätestens am 19. August 1983 gewußt, daß die Zustimmung als erteilt gelte und deshalb mit dem Ausspruch einer Kündigung in den nächsten Tagen rechnen müssen. Der Postbedienstete habe am 20. August 1983 versucht, dem Kläger das Kündigungsschreiben in seinem Hause zuzustellen. Da ihm niemand geöffnet habe, habe er das Schreiben beim Postamt niedergelegt und einen entsprechenden Benachrichtigungsschein in den Hausbriefkasten des Klägers geworfen. Nachdem das Kündigungsschreiben nach Ablauf der Lagerfrist zurückgesandt worden sei, habe sie am 1. September 1983 den Gerichtsvollzieher mit der Zustellung beauftragt. Sie habe somit alles ihr Zumutbare getan, um dem Kläger die Kündigung unverzüglich i.S. des § 18 Abs. 6 SchwbG zu erklären. Der Kläger habe das Kündigungsschreiben bewußt nicht vom Postamt abgeholt. Hierfür spreche bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände der erste Anschein, nachdem der Benachrichtigungsschein am 20. August 1983 in den Machtbereich des Klägers gelangt sei und der Kläger gewußt habe, daß eine Kündigung beabsichtigt sei. Er habe somit den Zugang des Kündigungsschreibens treuwidrig vereitelt und könne sich deshalb nicht darauf berufen, die Kündigung sei nicht unverzüglich erklärt worden.

Der Kläger hat erwidert, er habe keinen Benachrichtigungsschein über die Niederlegung des Kündigungsschreibens bei der Postanstalt erhalten. Er sei in der Woche, in der die erste Zustellung des Kündigungsschreibens nach Behauptung der Beklagten versucht worden sei, zu Hause, jedenfalls aber nicht verreist gewesen. Von der Stellungnahme der Hauptfürsorgestelle sei er erst durch einen Begleitbrief seiner Prozeßbevollmächtigten vom 26. August 1983 unterrichtet worden, den er am 29. August 1983 erhalten habe. Er habe deshalb nicht bereits am 20. oder 21. August 1983 mit dem Zugang einer Kündigung rechnen müssen. Die Beklagte habe den späten Zugang des Kündigungsschreibens schuldhaft verzögert. Bei der von ihr gewählten Versendungsart gelange der Rückschein im Falle der erfolgreichen Zustellung spätestens am übernächsten Tag an den Absender zurück. Die Beklagte habe somit spätestens am 22. August 1983 erkennen müssen, daß das Kündigungsschreiben nicht zugestellt worden sei. Wenn sie trotzdem erst am 1. September 1983 den Gerichtsvollzieher mit einer erneuten Zustellung beauftragt habe, habe sie schon deshalb nicht unverzüglich i.S. des § 18 Abs. 6 SchwbG gehandelt.

Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte die Zustimmung zur fristlosen Kündigung innerhalb der Zwei-WochenFrist des § 18 Abs. 2 SchwbG beantragt hat, weil sie die Kündigung nach seiner Ansicht nicht unverzüglich im Sinne des § 18 Abs. 6 SchwbG erklärt hat.

Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nach Ablauf der Zehn-Tage-Frist des § 18 Abs. 3 SchwbG am 19. August 1983 die fristlose Kündigung wirksam erklären können. Erklärt sei die Kündigung im Sinne des § 18 Abs. 6 SchwbG, wenn sie dem Schwerbehinderten nach § 130 BGB zugegangen sei. Der Zugang sei jedoch nicht bereits mit dem von der Beklagten behaupteten Einwurf des Benachrichtigungsscheins über die Niederlegung des Kündigungsschreibens bei der Postanstalt am 20. August 1983, sondern erst mit der durch den Gerichtsvollzieher veranlaßten Zustellung am 5. September 1983 erfolgt. Der Kläger müsse sich auch nicht nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als ob ihm das Schreiben früher zugegangen wäre. Denn es lasse sich nicht feststellen, daß er rechtsmißbräuchlich die Aushändigung des Einschreibens verhindert oder seine Abholung unterlassen habe. Für die Annahme eines solchen Verhaltens sei Voraussetzung, daß der Kündigungsempfänger trotz Kenntnis vom Zugang des Benachrichtigungsscheins die niedergelegte Sendung nicht abhole, obwohl ihm dies möglich wäre. Der Zugang des Benachrichtigungsscheins spreche nicht dafür, daß der Empfänger auch Kenntnis erlangt habe, da es aus den verschiedensten Gründen nicht zu einer Kenntnisnahme gekommen sein könne. Die Beklagte habe den Zugang des Kündigungsschreibens schuldhaft verzögert, weil sie die Rücksendung des Schreibens nach Ablauf der Lagerfrist abgewartet und erst den Gerichtsvollzieher mit der erneuten Zustellung des Kündigungsschreibens beauftragt habe.

II. Dieser Würdigung kann nur teilweise gefolgt werden.

1. Nach § 18 Abs. 3 SchwbG hat die Hauptfürsorgestelle innerhalb von 10 Tagen vom Tage des Eingangs des Antrags an die Entscheidung über die Zustimmung zu treffen. Ist innerhalb dieser Frist keine Entscheidung ergangen, so gilt die Zustimmung als erteilt. Unterstellt man im vorliegenden Fall, daß die Beklagte mit dem am 8. August 1983 bei ihr eingegangenen Antrag die zweiwöchige Antragsfrist des § 18 Abs. 2 SchwbG gewahrt hat, so hatte die Hauptfürsorgestelle bis einschließlich 18. August 1983, einem Donnerstag, über den Zustimmungsantrag zu entscheiden. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Danach galt die Zustimmung mit Ablauf des 18. August 1983 als erteilt.

2. Die Beklagte mußte somit ab 19. August 1983 unverzüglich die außerordentliche Kündigung erklären. Zu diesem Zeitpunkt war die für eine solche Kündigung vorgeschriebene zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB verstrichen, da die Beklagte nach ihrem Vortrag am 2. August 1983 von dem neuen Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt hatte. Ist jedoch die Antragsfrist des § 18 Abs. 2 SchwbG gewahrt, so kann nach § 18 Abs. 6 SchwbG die Kündigung auch nach Ablauf dieser Frist erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung oder nach dem Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 18 Abs. 3 SchwbG erklärt wird. Die Kündigung ist nur dann im Sinn dieser Vorschrift erklärt, wenn sie innerhalb dieses Zeitraums dem Schwerbehinderten nach den allgemeinen Regeln zugegangen ist; die Absendung der Kündigungserklärung genügt nicht (BAG 34, 20 = AP Nr. 2 zu § 18 SchwbG, zu II 2 d der Gründe, mit zust. Anm. von Hueck, unter II 3 a, m. w. N.; ebenso jetzt auch Gröninger, SchwbG, Ergänzung Juni 1984, § 18 Anm. 7, unter der Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Ansicht).

3. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten dem Kläger erst am 5. September 1983 zugegangen ist.

Nach dem Vortrag der Beklagten hat der Postbedienstete am 20. August 1983 nach einem erfolglosen Zustellversuch das Kündigungsschreiben vom 19. August 1983 beim Postamt niedergelegt und einen entsprechenden Benachrichtigungsschein über den Eingang des Einschreibens (§ 52 Abs. 3 PostO) in den Hausbriefkasten des Klägers geworfen. In einem solchen Fall geht das Einschreiben dem Adressaten gem. § 130 Abs. 1 BGB jedoch nicht bereits mit dem Einwurf des Benachrichtigungsscheins in den Briefkasten, sondern erst dann zu, wenn der Brief dem Empfänger oder seinem Bevollmächtigten ausgehändigt wird (st. Rechtspr. und überwiegende Meinung im Schrifttum; vgl. BAG 13, 313 = AP Nr. 4 zu § 130 BGB; zuletzt Senatsurteil vom 25. Oktober 1985 - 2 AZR 521/84 - zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 3 b der Gründe; BGH VersR 1971, 262; BGHZ 67, 271 - für den Fall der Zustellung durch die Post; BGB-RGRK, Krüger/Nieland, 12. Aufl., § 130 Rz 16; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 130 Rz 37 jeweils m. w. N.). Dies wird im wesentlichen damit begründet, daß lediglich der Benachrichtigungsschein, nicht aber das zuzustellende Schriftstück selbst in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Dieser Schein enthält auch keinen Hinweis auf den Absender, so daß der Empfänger über den Gegenstand des Einschreibens im Ungewissen bleibt. Deshalb kann der Benachrichtigungsschein nicht den Einschreibebrief und der Zugang des Benachrichtigungsscheins nicht den Zugang des Einschreibebriefs ersetzen oder vermitteln.

Das Kündigungsschreiben selbst wurde nach dem unstreitigen Sachverhalt von der Postanstalt an die Beklagte zurückgesandt, von einem von der Beklagten am 1. September 1983 beauftragten Gerichtsvollzieher am 4. September 1983 zur Post gegeben und dem Kläger am 5. September 1983 zugestellt. Erst an diesem Tag ist das Kündigungsschreiben dem Kläger zugegangen und die Kündigung im Sinne des § 18 Abs. 6 SchwbG erklärt worden.

4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist jedoch nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht auszuschließen, daß es dem Kläger nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf diesen verspäteten Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu berufen.

a) Ein solcher Fall ist anzunehmen, wenn das Zugangshindernis dem Empfänger zuzurechnen ist, der Erklärende nicht damit zu rechnen brauchte und er nach Kenntnis von dem noch nicht erfolgten Zugang unverzüglich erneut eine Zustellung vorgenommen hat. Nicht erforderlich ist es, daß der Empfänger den Zugang schuldhaft vereitelt hat; es reicht aus, wenn die Verzögerung auf Umstände zurückzuführen ist, die zu seinem Einflußbereich gehören (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1977 - 2 AZR 770/75 - AP Nr. 10 zu § 130 BGB, zu II 3 d der Gründe; zuletzt Senatsurteil vom 9. August 1984 - 2 AZR 400/83 - AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 4 a der Gründe).

b) Entgegen der Ansicht der Revision ist dieser Tatbestand allerdings bei einem erfolglos gebliebenen Zustellungsversuch durch die Post nicht immer schon dann erfüllt, wenn dem Empfänger der Benachrichtigungsschein über die Niederlegung des Kündigungsschreibens bei der Post zugegangen, d. h. in seinen Machtbereich gelangt ist. Wäre grundsätzlich davon auszugehen, daß sich der Kündigungsempfänger schon deshalb nicht mehr auf einen verspäteten Zugang des bei der Post niedergelegten Kündigungsschreibens berufen dürfte, würde dies im Ergebnis die von der Rechtsprechung einhellig und vom Schrifttum überwiegend abgelehnte Ersetzung des Zugangs des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zugang des Benachrichtigungsscheins bedeuten.

c) Das Berufungsgericht hat jedoch im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, ein treuwidriges Verhalten des Klägers läge dann vor, wenn er von dem Benachrichtigungsschein Kenntnis erlangt und dennoch das niedergelegte Einschreiben nicht abgeholt hätte.

Zwar besteht keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen zu treffen, und der Empfänger ist auch nicht ohne weiteres gehalten, das für ihn niedergelegte Schriftstück abzuholen. Jedoch kann sich aus dem Bestehen von Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsempfänger und deren besonderen Art ergeben, daß der Erklärungsempfänger, wenn er das niedergelegte Schriftstück nicht abholt, sich so behandeln lassen muß, als sei es in seinen Machtbereich gelangt (BGHZ 67, 271, 278).

Im vorliegenden Fall bestanden zwischen den Parteien solche Rechtsbeziehungen. Unstreitig wußte der Kläger im Zeitpunkt des von der Beklagten behaupteten Zustellversuchs, daß die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zu seiner fristlosen Entlassung beantragt hatte. Er mußte bereits deshalb zu jenem Zeitpunkt mit der Möglichkeit einer Kündigung rechnen, nachdem die Hauptfürsorgestelle innerhalb von 10 Tagen nach Antragstellung ihre Entscheidung zu treffen hat oder die Zustimmung nach Fristablauf als erteilt gilt. Ob und wann er über seine Prozeßbevollmächtigten von der Hauptfürsorgestelle noch ausdrücklich von dem Eintritt der Zustimmungsfiktion unterrichtet wurde, ist demgegenüber unerheblich. Erhielt er in diesem Zeitraum Kenntnis von der Niederlegung einer Einschreibesendung bei der Post, so mußte er damit rechnen, daß das niedergelegte Schriftstück eine fristlose Kündigung der Beklagten enthalten konnte. Bei dieser Sachlage würde seine Berufung darauf, daß die Zustellung des Benachrichtigungsscheines nicht den Zugang der Kündigungserklärung bewirkt habe und die Kündigung mit der später bewirkten Zustellung nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 18 Abs. 6 SchwbG erklärt worden sei, gegen Treu und Glauben verstoßen.

Gleiches gilt in Fällen der vorliegenden Art auch dann, wenn der Arbeitnehmer von dem Benachrichtigungsschein keine Kenntnis erlangt, die Unkenntnis jedoch zu vertreten hat. Solange er mit einer Kündigung rechnen muß, ist er insbesondere gehalten, die in seinem Hausbriefkasten befindlichen Schriftstücke sorgfältig durchzusehen.

d) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Einwand der Beklagten, der Kläger berufe sich treuwidrig auf den verspäteten Zugang des Kündigungsschreibens, an der Beweislast scheitern lassen.

aa) Zwar trifft den Erklärenden die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die diesen Einwand begründen. Wie das Berufungsgericht insoweit richtig gesehen hat, ist es dem Erklärenden jedoch nur schwer möglich, neben dem Zugang auch die Kenntnisnahme des Empfängers von dem Benachrichtigungsschein oder seine schuldhafte Unkenntnis hiervon nachzuweisen. Deshalb dürfen in Fällen dieser Art an die Beweislast des Erklärenden keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Er muß zunächst nachweisen, daß der Benachrichtigungsschein in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Der weitere Umfang seiner Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie sich der Empfänger auf diesen Vortrag einläßt. Da die für seine Kenntnis oder die von ihm zu vertretende Unkenntnis von dem Benachrichtigungsschein erheblichen Umstände in seinem Machtbereich liegen, reicht es nicht aus, wenn er bei nachgewiesenem Zugang lediglich pauschal die Kenntnis bestreitet. Er ist vielmehr nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, konkrete Umstände vorzutragen, aus denen sich eine von ihm nicht zu vertretende Unkenntnis von der Benachrichtigung über die Niederlegung des Einschreibebriefs bei der Post ergibt. Der Erklärende kann dann diese Angaben überprüfen und entsprechende Beweise antreten.

bb) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte zunächst ihrer Darlegungs- und Beweislast genügt. Sie hat vorgetragen, daß der Postbote am 20. August 1983 einen Benachrichtigungsschein in den Hausbriefkasten des Klägers geworfen hat und dies durch die Vernehmung des Postboten sowie die angebotene Vorlage der Fotokopie des mit einem entsprechenden Vermerk des Postboten versehenen Briefumschlags unter Beweis gestellt. Diesen Beweis hätte das Berufungsgericht erheben müssen, da bereits dieser Vortrag der Beklagten streitig ist. Wäre der Nachweis geführt worden und der Kläger bei seiner pauschalen Einlassung geblieben, er habe den Benachrichtigungsschein nicht erhalten, so hätte das Berufungsgericht von einer Kenntnis des Klägers ausgehen müssen.

e) Auf der unrichtigen Abgrenzung der Darlegungs- und Beweislast beruht auch das angefochtene Urteil. Ist davon auszugehen, daß der Kläger Kenntnis von dem Benachrichtigungsschein hatte, muß er sich so behandeln lassen, als sei ihm das Kündigungsschreiben am 20. August 1983 zugegangen. Die weitere Voraussetzung für den Einwand der treuwidrigen Berufung auf den verspäteten Zugang, daß der Erklärende unverzüglich nach Kenntnis von dem noch nicht erfolgten Zugang erneut eine Zustellung vorgenommen hat, ist erfüllt. Denn die Beklagte hat sofort nach Kenntnis von der unterbliebenen Abholung des Kündigungsschreibens am 1. September 1983 die erneute Zustellung veranlaßt. Ist von einem Zugang des Kündigungsschreibens am 20. August 1983 auszugehen, so ist die Kündigung auch unverzüglich im Sinn des § 18 Abs. 6 SchwbG erklärt worden.

III. 1. Der Rechtsstreit ist somit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht muß zunächst den von der Beklagten für den Zugang des Benachrichtigungsscheins an den Kläger angebotenen Beweis erheben. Wird dieser Beweis geführt, so ist dem Kläger Gelegenheit zu geben, entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen substantiiert zur Frage der Unkenntnis von dem Benachrichtigungsschein vorzutragen.

2. Sollte die erneute Verhandlung ergeben, daß die Kündigung rechtzeitig erklärt worden ist, so wird in erster Linie zu prüfen sein, ob die Zustimmung innerhalb der zweiwöchigen Ausschlußfrist des § 18 Abs. 2 SchwbG beantragt worden ist. Der Einwand des Klägers, der Vertrauensmann der Schwerbehinderten sei nicht ordnungsgemäß gehört worden, ist unerheblich, weil diese Anhörung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung des Schwerbehinderten ist (BAG 43, 210 = AP Nr. 1 zu § 22 SchwbG). Auf die Anhörung des Betriebsrats kommt es nicht an, wenn der Kläger als Betriebsleiter leitender Angestellter im Sinn des § 5 Abs. 3 BetrVG gewesen ist. Die Unterrichtung des Betriebsrats von der beabsichtigten Kündigung eines leitenden Angestellten nach § 105 BetrVG ist für die Wirksamkeit der Kündigung ohne Bedeutung.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Dr. Hautmann Walter

 

Fundstellen

Haufe-Index 437675

DB 1986, 2336-2337 (LT1-2)

NJW 1987, 1508

BehindR 1986, 92-95 (LT1-2)

RdA 1986, 336

RzK, IV 8c Nr 7 (LT1-2)

AP § 18 SchwbG (LT1-2), Nr 9

EzA § 18 SchwbG, Nr 7 (LT1-2)

PERSONAL 1987, 258-260 (LT1-2)

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