"Arbeitgebern droht erweiterte Haftung"
Haufe Online-Redaktion: Herr Dr. Wortmann, weshalb hält das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil eine sogenannte Spätehenklausel für diskriminierend?
Florian Wortmann: Der Rechtsstreit betraf die Witwenrente der Klägerin. Die Versorgungszusage knüpfte die Witwenrente daran, dass die Ehe bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen worden war. Da der Arbeitnehmer die spätere Klägerin erst mit 61 Jahren geheiratet hatte, lehnte die Arbeitgeberin die Leistung der Witwenrente ab. Nach Auffassung des BAG diskriminiert diese Spätehenklausel aufgrund ihrer Altersgrenze den Arbeitnehmer unmittelbar wegen des Merkmals "Alter". Das BAG hat verschiedene Rechtfertigungstatbestände geprüft und dabei insbesondere die Anwendung von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG, also des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, ausgeschlossen. Diese Vorschrift gestatte es zwar, Altersgrenzen für Alters- oder Invaliditätsrenten festzulegen, sie beziehe sich allerdings nicht auf die – hier maßgebliche – Versorgung Hinterbliebener.
Insgesamt bewertet das BAG die Altersgrenze auch nicht als angemessen, sondern sieht die Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer übermäßig beeinträchtigt. Das Interesse des Arbeitgebers, Kosten zu begrenzen, genügt dem Gericht nicht, um die Spätehenklausel zu legitimieren. Die Problematik der Klausel besteht vor allem darin, dass der späte Zeitpunkt der Ehe zwar eine "Versorgungsehe" nahelegen kann, dabei aber das Leistungsrisiko des Arbeitgebers nicht grundsätzlich höher ist als bei einer früher geschlossenen Ehe. Der für den Versorgungsaufwand eigentlich kritische Punkt, nämlich eine hohe Altersdifferenz zwischen den Eheleuten – und daher "junge" Hinterbliebene –, wird mit einer Spätehenklausel hingegen gar nicht spezifisch adressiert.
"Arbeitgeber müssen für ihre Versorgungszusage genau prüfen, welche Spätehenklausel sie verwenden, und ob sich Änderungsbedarf ergibt." Florian Wortmann, Rechtsanwalt
Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet das Urteil für Arbeitgeber?
Wortmann: Für Arbeitgeber, die eine solche Spätehenklausel verwenden, ergibt sich eine erweiterte Haftung. Sie müssen sich darauf einstellen, dass Hinterbliebene, die von einer solchen Klausel erfasst und aus dem Rentenbezug ausgeschlossen wurden, bisher nicht kalkulierte Ansprüche erheben. Dabei ist zu berücksichtigen, wie weit Ansprüche für die Vergangenheit bereits verjährt sind. Arbeitgeber müssen also für ihre Versorgungszusage genau prüfen, welche Spätehenklausel sie verwenden, und ob sich Änderungsbedarf ergibt. In der Praxis sind Klauseln unterschiedlicher Gestaltung verbreitet. Nach der Rechtsprechung des BAG vom 15. Oktober 2013 – Az. 3 AZR 294/11 – sind Spätehenklauseln wirksam, die eine Witwenrente ausschließen, wenn die Ehe erst nach Eintritt des Versorgungsfalls geschlossen wurde. Es ist auch weiterhin davon auszugehen, dass das BAG an dieser Rechtsprechung festhält; Genaueres wird sich erst ergeben, wenn die Urteilsbegründung der aktuellen Entscheidung vorliegt.
Haufe Online-Redaktion: Spätehenklauseln sind also nicht per se unwirksam?
Wortmann: Ausgehend von der Rechtsprechung des Jahres 2013 können Spätehenklauseln wirksam sein, obwohl sie an ein bestimmtes Ehedatum anknüpfen. Die Altersgrenze darf aber nicht niedriger angesetzt sein, als der Zeitpunkt des regulären Versorgungsfallalters. Selbst eine Altersgrenze 60 wäre danach zulässig, wenn die Versorgungszusage die Vollendung des 60. Lebensjahres als feste Altersgrenze bestimmt.
Für Spätehenklauseln, die nach dem aktuellen Urteil unwirksam wären, empfiehlt sich eine Anpassung. Neben einer Umstellung auf eine Klausel, die an den Eintritt des Versorgungsfalls anknüpft, sind weitere Modelle denkbar, etwa Altersdifferenzklauseln. Da auch diese Klausel an das Alter anknüpft, empfiehlt sich eine differenzierte Lösung, die die Witwenrente wegen der Altersdifferenz zwischen den Eheleuten aufschiebt oder absenkt, nicht aber vollständig ausschließt.
Dr. Florian Wortmann ist Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei T/S/C – Fachanwälte für Arbeitsrecht in Gütersloh.
Das Interview führte Michael Miller, Online-Redaktion Personal.
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