Betriebsversammlung kann Arbeitsverträge ändern

Unterzeichnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam das Protokoll einer Betriebsversammlung, kann dadurch eine Änderung bisheriger arbeitsvertraglicher Regelungen erfolgen. Auch ein arbeitsvertraglich vereinbartes Schriftformerfordernis steht dem nicht entgegen, urteilte das LAG Thüringen.

Im Streitfall, über den das LAG Thüringen in der Berufungsinstanz zu entscheiden hatte, ging es um die Vergütung von Fahrzeiten. Der klagende Arbeitnehmer war von 2004 bis Juni 2020 als Tischler/Monteur zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt 13 Euro mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. In § 17 seines Arbeitsvertrages findet sich die Regelung, dass Änderungen des Vertrages der Schriftform bedürfen und dass auch Abweichungen von diesem Schriftformerfordernis nur durch schriftliche Vereinbarung möglich sind.

Festlegung einer Regelung durch das Protokoll einer Betriebsversammlung

Der Arbeitnehmer war regelmäßig auf Montage auf auswärtigen Baustellen beschäftigt. Dabei war es üblich, dass die Mitarbeitenden am Beginn der Arbeitswoche in der Regel zu zweit mit einem Firmenfahrzeug auf die Baustelle fahren und am Ende der Arbeitswoche wieder zurückfahren. Bis Ende März 2005 wurden diese Fahrtzeiten zu 100 Prozent als Arbeitszeit vergütet.

Auf einer Betriebsversammlung im April 2005 standen mögliche Einsparmaßnahmen auf der Tagesordnung. Ausweislich des Protokolls der Betriebsversammlung sollten ab April 2005 Fahrtzeiten zur Baustelle und zurück nur noch zur Hälfte erstattet werden. Einem handschriftlichen Vermerk auf dem Protokoll ist zu entnehmen, dass diese Regelung zunächst für 2005 befristet gelten sollte. Am Ende des Protokolls finden sich unter der Überschrift "Kenntnisnahme der Mitarbeiter" die Unterschriften aller auf der Betriebsversammlung anwesenden Beschäftigten, darunter auch die des Arbeitnehmers.

Änderung des Arbeitsvertrags durch Unterschriften auf dem Protokoll?

Ein gutes Jahr später fand eine weitere Betriebsversammlung statt, auf der beschlossen wurde, die zunächst befristet eingeführte Regelung zur Fahrtkostenerstattung dauerhaft einzuführen. Im Protokoll ist vermerkt, dass die Fahrzeitregelung, die am 8. April 2005 beschlossen wurde, auf unbestimmte Zeit bestehen bleibt und dass die An- und Abfahrt zur Baustelle weiterhin nur zu 50 Prozent bezahlt wird. Auch das Protokoll dieser zweiten Betriebsversammlung wurde sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Geschäftsführer des Arbeitgebers unterzeichnet.

In der Folge vergütete der Arbeitgeber von April 2005 bis Dezember 2019 die Fahrtzeiten des Arbeitnehmers mit der Hälfte des vereinbarten Stundenlohns. Im Dezember 2019 machte der Arbeitnehmer jedoch für den Zeitraum Oktober 2016 bis November 2019 weitere Vergütungsansprüche geltend und verlangte eine Stundengutschrift für seine Fahrtzeiten zwischen Oktober 2016 und November 2019, insgesamt 985,5 Stunden. Er war der Ansicht, eine ausdrückliche Zustimmung seinerseits zu einem Änderungsvertrag habe es nie gegeben. Die bloße Kenntnisnahme von einem Betriebsversammlungsprotokoll reiche nicht aus, um eine Änderung des Arbeitsvertrages zu bewirken.

Unterschriften wahren die Schriftform

Damit blieb der Arbeitnehmer vor dem LAG Thüringen erfolglos. Das Gericht verneinte Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers und wies seine Klage ab.

Mit der Unterschrift der Arbeitsvertragsparteien unter das Protokoll der Betriebsversammlung aus dem Jahr 2006 haben sie eine zuvor bestehende Vereinbarung zur vollständigen Bezahlung der Fahrtzeiten abgeändert. Eine Auslegung der beiderseitigen Erklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt, dass in der Unterzeichnung des Protokolls nicht nur die Kenntnisnahme einer vom Arbeitgeber beabsichtigten einseitigen Regelung liegt, sondern vielmehr eine Zustimmung zur Änderung der bisherigen arbeitsvertraglichen Regelung im Sinne einer Vertragsänderung. Diese Vertragsänderung wahrt durch die Unterschriften beider Parteien auf dem Protokoll von 2006 auch das in § 17 des Arbeitsvertrages vereinbarte Schriftformerfordernis.

Nach BAG-Rechtsprechung ist es auch zulässig, die Vergütung von Fahrtzeiten in abweichender Höhe zur Vergütung sonstiger Arbeitszeiten zu vereinbaren. Somit liegt hier auch kein Verstoß gegen die Vorgaben über den gesetzlichen Mindestlohn vor. Da der Arbeitgeber sämtliche Fahrtzeiten mit den wirksam vereinbarten 50 Prozent des jeweiligen Stundenlohns vergütet hat, kann der Arbeitnehmer keine weitere Vergütung verlangen.

Hinweis: Urteil des LAG Thüringen vom 7. Juni 2022, Az. 1 Sa 43/21


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Schlagworte zum Thema:  Arbeitsvertrag, Urteil, Fahrtkosten