BAG, Urteil vom 20.4.2021, 9 AZR 262/20

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO regelmäßig nicht dadurch, dass er Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilt. Die zur Erreichung des Zeugniszwecks erforderlichen individuellen Hervorhebungen und Differenzierungen in der Beurteilung lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen.

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1.9.2008 bis zum 30.6.2018 als Elektriker beschäftigt. Nachdem der Kläger das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, stellte die Beklagte dem Kläger ein Arbeitszeugnis aus, in dem neben einer ausführlichen Tätigkeitsbeschreibung eine umfangreiche Bewertung von Leistung und Verhalten erfolgte. Diese Beurteilung erfolgte tabellarisch anhand des Schulnotensystems, auszugsweise: "Fachkenntnisse allg.: befriedigend; Entwicklung: befriedigend …. 3 Arbeitsqualität: befriedigend – Tempo: gut – Ökonomie: befriedigend … Pünktlichkeit befriedigend; Sauberkeit im Arbeitsfeld: befriedigend; …. Leistungsbeurteilung insgesamt: befriedigend; Verhaltensbeurteilung teambereit und gruppenorientiert, befriedigend – zu Gleichgestellten: befriedigend – zu Einzuweisenden befriedigend – zu Vorgesetzten: höflich und zuvorkommend, sehr gut".

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte seinen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Er beantragt, die Beklagte im Austausch gegen das ihm überlassene Zeugnis dazu zu verurteilen, ihm ein in Fließtext ausformulierte Zeugnis auszustellen.

Die Entscheidung

Das BAG gab der Revision des Klägers statt und hob das angefochtene Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück.

Das BAG führte hierzu aus, dass der Anspruch des Klägers auf Erteilung eines schriftlichen qualifizierten Arbeitszeugnisses nicht dadurch erfüllt werde, dass die Beklagte ihm ein Zeugnis in tabellarischer Form erteile. Nach § 109 Abs. 1 GewO könne der Arbeitnehmer verlangen, dass ihm der Arbeitgeber ein qualifiziertes Zeugnis ausstellt, welches sich über Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit hinaus auch auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt. Hierbei müsse gem. § 109 Abs. 2 GewO das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein und dürfe keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder den Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen (Grundsatz der Zeugniswahrheit und der Zeugnisklarheit). Sinn und Zweck eines qualifizierten Zeugnisses sei es, dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage zu dienen und dadurch auch Dritten, wie z. B. möglichen künftigen Arbeitgebern, als Grundlage für die Personalauswahl. Deshalb müsse auch die äußere Form des Zeugnisses den Anforderungen entsprechen, wie sie im Geschäftsleben an ein Arbeitszeugnis gestellt und vom Leser als selbstverständlich erwartet würden. Entscheidend sei, wie ein Zeugnisleser das Zeugnis auffassen müsse. Es sei hierbei als maßgeblicher objektiver Empfängerhorizont auf den Eindruck eines durchschnittlich Beteiligten oder Angehörigen des vom Zeugnis angesprochenen Personenkreises abzustellen, somit auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen.

Bei der Erstellung eines Zeugnisses müsse somit der Arbeitgeber die gesetzlichen Anforderungen aus § 109 GewO berücksichtigen. Auch wenn hierbei die Formulierungen und Ausdrucksweise im pflichtgemäßen Ermessen des Arbeitgebers stünden, habe im vorliegenden Fall die Beklagte ihren Beurteilungsspielraum überschritten; denn die Form einer tabellarischen Darstellung und die Bewertung stichwortartig beschriebener Tätlichkeiten nach einem Schulnotensystem genüge nach Auffassung des Gerichts den Anforderungen eines qualifizierten Zeugnisses nach § 109 GewO nicht.

Das BAG begründete dies u. a. damit, dass das qualifizierte Arbeitszeugnis ein individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier sei, das dessen persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentieren solle; und diesem könne regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht werden. Zudem müsse das qualifizierte Arbeitszeugnis als individuelle Beurteilung der beruflichen Verwendbarkeit des Arbeitnehmers dem Zeugnisleser Auskunft über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis geben. Des Weiteren müsse in einem einheitlichen qualifizierten Arbeitszeugnis die einzelnen Bewertungskriterien vollständig dargestellt und die gesamte Vertragsdauer berücksichtigen werden, so dass sich die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung auf das Anforderungsprofil der vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben beziehen müsse. Für das vorliegende Zeugnis sah das BAG das Problem darin, dass...

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