5.2.1 Fehlerhafte soziale Auswahl

 

Rz. 81

Dieser Widerspruchsgrund stimmt mit § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG überein, kommt also nur bei betriebsbedingten Kündigungen in Betracht. Zu vergleichen sind alle austauschbaren Arbeitnehmer eines Betriebs, nicht die des gesamten Unternehmens. Der Betriebsrat muss nicht einzelne Arbeitnehmer namentlich benennen, die er als sozial besser gestellt ansieht, er muss aber den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer zumindest hinreichend bestimmt oder bestimmbar angeben.

 

Rz. 82

Macht der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssen diese Arbeitnehmer vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale aus dem Widerspruchsschreiben bestimmbar sein (BAG, Urteil v. 9.5.2003, 5 AZR 305/02[1]). Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang von § 102 Abs. 3 Nr. 1 mit § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG. Das Arbeitsgericht kann den Arbeitgeber nur dann im Wege der einstweiligen Verfügung von der Weiterbeschäftigungspflicht wegen eines offensichtlich unwirksamen Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG entbinden, wenn sich aus dem Widerspruch des Betriebsrats hinreichend deutlich ergibt, welche Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre soziale Schutzwürdigkeit zu vergleichen sein sollen. Den hierfür erforderlichen Sachvortrag kann der Arbeitgeber nur leisten, wenn der oder die nach Auffassung des Betriebsrats weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer jedenfalls identifizierbar sind.

 

Rz. 83

Zur Begründung des Widerspruchs nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG ist weiter erforderlich, dass der Betriebsrat plausibel darlegt, warum ein anderer Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig sei. Hierzu sind zwar nicht die einzelnen Sozialdaten i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG aufzuführen. Der Betriebsrat hat aber aufzuzeigen, welche Gründe aus seiner Sicht zu einer anderen Bewertung der sozialen Schutzwürdigkeit führen (BAG, Urteil v. 9.5.2003, 5 AZR 305/02[2]).

 

Rz. 84

Bei mehreren zur gleichen Zeit beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen kann der Betriebsrat den Kündigungen nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG nur dann wirksam widersprechen, wenn er in jedem Einzelfall auf bestimmte oder bestimmbare, seiner Ansicht nach weniger schutzwürdige Arbeitnehmer verweist. Der Betriebsrat kann nicht für alle oder mehrere beabsichtigte Kündigungen geltend machen, die soziale Auswahl sei fehlerhaft, weil der Arbeitgeber einen oder mehrere weniger schutzwürdige Arbeitnehmer übergangen habe. Auf denselben Berufungsfall kann der Betriebsrat seinen Widerspruch nicht mehrfach stützen. Dem steht entgegen, dass der Betriebsrat mit der Ausübung des Widerspruchsrechts kollektive Interessen der Belegschaft wahrnimmt. Dies ist nur wirksam möglich, wenn der Betriebsrat den Widerspruch für jede beabsichtigte Kündigung so formuliert, dass er jeweils andere weniger schutzwürdige Arbeitnehmer bestimmt oder jedenfalls bestimmbar bezeichnet (BAG, Urteil v. 9.5.2003, 5 AZR 305/02[3]).

[1] NZA 2003, 1191.
[2] NZA 2003, 1191.
[3] NZA 2003, 1191.

5.2.2 Richtlinienverstoß

 

Rz. 85

Es muss sich um eine Auswahlrichtlinie gem. § 95 BetrVG handeln.[1] Der Betriebsrat kann einer Kündigung widersprechen, wenn die in der Richtlinie festgelegten Kriterien nicht eingehalten worden sind. Hierbei hat er die Richtlinie sowie die Tatsachen, aus denen sich ein Verstoß hiergegen ergibt, anzuführen.

 
Hinweis

Ist in einer Auswahlrichtlinie festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 4 Satz 1 KSchG).

[1] Einzelheiten s. dort.

5.2.3 Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz

 

Rz. 86

Dieser Widerspruchsgrund betrifft die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmensbereich, nicht im Konzernbereich.

Dabei muss der Betriebsrat den freien Arbeitsplatz möglichst konkret bezeichnen, ein allgemeiner Hinweis auf Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb reicht nicht aus (BAG, Urteil v. 17.6.1999, 2 AZR 608/98[1]; BAG, Urteil v. 11.5.2000, 2 AZR 54/99[2]). Es reicht nicht aus, wenn der Betriebsrat geltend macht, erfahrungsgemäß sei bei einer Massenentlassung damit zu rechnen, dass durch intensive Vermittlungsbemühungen und freiwillige Abfindungsaktionen freie Arbeitsplätze entstünden, auf welchen ggf. einige der zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer eingesetzt werden könnten (LAG Hamm, Urteil v. 14.6.2004, 8 Sa 956/04). Es sind auch in absehbarer Zeit frei werdende Arbeitsplätze zu berücksichtigen (BAG, Urteil v. 15.12.1994, 2 AZR 320/94[3]). Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, zum Zweck der Weiterbeschäftigung einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen oder einem anderen Arbeitnehmer zu kündigen, um dessen Arbeitsplatz frei zu machen (BAG, Urteil v. 29.3.1990, 2 AZR 369/89[4]).

 
Hinweis

Konkurrieren in einem Betrieb mehrere zur Kündigung anstehende Arbeitnehmer um die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, muss sich der Arbeitgeber unter Beachtung der Grundsätze der Sozialauswahl nach § 1 Ab...

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