Rz. 961

Weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG ist ein nicht erzwingbarer Interessenausgleich über eine Betriebsänderung. Liegt keine Betriebsänderung vor, so können die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG nach h. M. nicht durch einen "freiwilligen" Interessenausgleich außerhalb der §§ 111, 112 BetrVG herbeigeführt werden.[1] Der Interessenausgleich muss im Übrigen selbstverständlich wirksam sein.

 

Rz. 962

Der Arbeitgeber muss den Interessenausgleich daher mit dem zuständigen Betriebsrat verhandeln; zuständig ist grds. der örtliche Betriebsrat. Betrifft eine Betriebsänderung, die auf Grundlage eines einheitlichen Konzepts durchgeführt wird, jedoch mehrere Betriebe eines Unternehmens, so ergibt sich aus § 50 Abs. 1 BetrVG die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats hinsichtlich des Interessenausgleichs. In diesem Fall ist der Gesamtbetriebsrat (und nicht etwa die örtlichen Betriebsräte) auch für die Vereinbarung der Namensliste zuständig (BAG, Urteil v. 19.7.2012, 2 AZR 386/11[2]).

 

Rz. 963

Der Interessenausgleich darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Die Entscheidung eines Arbeitgebers, keine Sekretäre und Assistenten mehr in Teilzeit zu beschäftigen, stellt z. B. kein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar. Ein Interessenausgleich, der ohne sachliche Rechtfertigung die Entfernung von Teilzeitbeschäftigten aus dem Unternehmen zum Gegenstand hat, verstößt daher gegen § 4 Abs. 1 TzBfG und ist nichtig. Eine entsprechende Namensliste entfaltet folglich keine Vermutungswirkung i. S. v. § 1 Abs. 5 KSchG (LAG Köln, Urteil v. 31.3.2006, 11 Sa 1627/05).

 

Rz. 964

Der Interessenausgleich bedarf der Schriftform (§§ 125, 126 BGB) und ist von beiden Parteien zu unterzeichnen (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Ist der Interessenausgleich vor einer Einigungsstelle abgeschlossen worden, so muss er außerdem vom Vorsitzenden dieser Einigungsstelle unterschrieben werden; dies ist ebenfalls eine Wirksamkeitsvoraussetzung (§ 112 Abs. 3 Satz 3 BetrVG).

 

Rz. 965

Der Interessenausgleich muss vor Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen werden. Er kann allerdings auch noch nachträglich – spätestens bis zum Ausspruch der Kündigung – um eine Namensliste ergänzt werden.[3]

 
Wichtig

Ein "freiwilliger" Interessenausgleich außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 111, 112 BetrVG ermöglicht nach h. M. nicht den Rückgriff auf eine Namensliste i. S. d. § 1 Abs. 5 KSchG.[4]

Ein "Sozialplan" kann dagegen eine Namensliste i. S. d. § 1 Abs. 5 KSchG umfassen, sofern er gleichzeitig Regelungen über das Ob und Wie einer Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG enthält und sich damit faktisch als Interessenausgleich darstellt.[5] Eine Namensliste kann nicht mittels eines Spruchs der Einigungsstelle erzwungen werden.

[1] HWK/Quecke, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 420; Willemsen/Annuß, NJW 2004, S. 177, 180; Hohenstatt, NZA 1998, S. 846, 851; Gaul, BB 2004, S. 2686, 2687.
[2] NZA 2013 S. 333.
[3] APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 714; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 361.
[4] ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 360a; Kothe, BB 1998, S. 946, 949; Hohenstatt, NZA 1998, S. 846, 851; a. A. Bauer/Krieger, Kündigungsrecht-Reformen, 2004, Rz. 71a.
[5] ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 360a; Thüsing/Wege, BB 2005, S. 213; Fischermeier, NZA 1997, S. 1089, 1097.

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