Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Leistung gem § 43 SGB 1. Unsicherheit über die Arbeitsfähigkeit. Arbeitslosengeld- oder Krankengeldanspruch. Verpflichtung des notwendig beigeladenen Sozialhilfeträgers zur Weiterzahlung im einstweiligen Rechtsschutz. Folgenwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Vorläufige Leistungen nach § 43 Abs 1 SGB 1 können auch dann zu erbringen sein, wenn die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen nicht geklärt und daher unklar ist, ob ihr ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld zusteht.

2. Dies kann zu einer vorläufigen Verpflichtung der notwendig beizuladenden Krankenkasse im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes führen. Dabei sind die Folgewirkungen der Gewährung von vorläufigen Leistungen für die weitere Absicherung in anderen Zweigen des Systems der sozialen Sicherung zu berücksichtigen.

 

Tenor

I. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnungverpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Krankengeld für den29.10.2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird derAntrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

II. Die Beigeladene hat der Antragstellerin die zurRechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag, im Wege der einstweiligenAnordnung vorläufig

die Antragsgegnerin zur Erbringung von Arbeitslosengeld für den29.10.2012, hilfsweise die Beigeladene zur Erbringung vonKrankengeld für den 29.10.2012 zu verpflichten,

hat (nur) mit dem gegen die Beigeladene gerichteten HilfsantragErfolg.

Der Antrag ist zunächst als Antrag auf Erlass einereinstweiligen Anordnung auszulegen und als solcher statthaft. DieAntragstellerin macht ein Leistungsbegehren geltend; sie kanneinstweiligen Rechtsschutz daher weder nach § 86b Abs. 1Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG, sondernnur im Wege einer sogenannte Regelungsanordnung, also einereinstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands inBezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nach § 86b Abs. 2 S. 2SGG, erreichen.

Die sogenannte unechte notwendige Beiladung im Sinne von § 75Abs. 2 Alt. 2 SGG des Krankenversicherungsträgers (und seineVerpflichtung nach § 75 Abs. 5 SGG) sind auch im Verfahren deseinstweiligen Rechtsschutzes zulässig (und bei Vorliegen derVoraussetzungen notwendig). Das Vorbringen der Antragstellerin istdabei so zu verstehen, dass sie einer Verpflichtung derBeigeladenen jedenfalls nicht entgegentritt, sondern zumindesthilfsweise beantragt. Zwar zeigt namentlich der Schriftsatz ihrerProzessbevollmächtigten vom 02.11.2012, dass die Antragstellerindavon ausgeht, dass (eher) die Antragsgegnerin zur vorläufigenLeistungserbringung verpflichtet sei. Ihr weiteres Vorbringen, vorallem aber ihr erkennbares Rechtsschutzziel, nämlich die sich aus §20 Nr. 3 Bst. b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) -Gesetzliche Rentenversicherung - ergebenden Voraussetzungenfür einen Anspruch auf Übergangsgeld sicherzustellen, verdeutlichenaber, dass es ihr, wenigstens hilfsweise und alternativ, auch umeine Verpflichtung der Beigeladenen geht.

Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen nicht. DasWiderspruchsverfahren hinsichtlich des Krankengeldanspruchs istzwar nach Mitteilung der Beigeladenen vom 15.11.2012 abgeschlossen.Die diesbezügliche Klagefrist ist aber ersichtlich noch nichtabgelaufen, so dass der Ablehnungsbescheid noch nichtbestandskräftig ist. Er steht damit einer Verpflichtung derBeigeladenen im einstweiligen Rechtsschutz nicht, jedenfalls nichtvon vornherein entgegen.

Der Antrag ist darüber hinaus auch begründet. Das Gericht kanneine Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erlassen, wenn sie zurAbwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Ein solcherNachteil ist (nur) anzunehmen, wenn einerseits der Antragstelleringegenüber der Antragsgegnerin (bzw. im Rahmen von § 75 Abs. 5 SGG:der Beigeladenen) ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch inder Hauptsache - möglicherweise - zusteht(Anordnungsanspruch) und es ihr andererseits nicht zuzumuten ist,die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten(Anordnungsgrund).

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nichtisoliert neben-, sondern in einer Wechselbeziehungzueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruchmit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohendenNachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt(vgl. für die st. Rspr. des Hess. LSG: Beschl. v. 29.06.2005- L 7 AS 1/05 ER - info also 2005, 169 und Beschl. v.07.09.2012 - L 9 AS 410/12 B ER; außerdem Keller, in:Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 27ff.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässigoder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohneRücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weilein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage inder Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sichdie Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn auf diesennicht gänzlich verzicht...

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