1 Einleitung

Der arbeitsrechtliche Begriff der "Scheinselbständigkeit" gibt seit Jahren Anlass für Streit vor den Arbeitsgerichten. Mit dem "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" zum 1. Januar 1999 wurden die Kriterien, ob ein Selbständiger nur "Scheinselbständiger" und somit als Arbeitnehmer einzustufen ist, neu definiert. Seither unterliegen Selbstständige der Sozialversicherungspflicht, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, die auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und somit auf Scheinselbständigkeit hindeuten.

2 Der Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsrechts

Treffend wird der Begriff "Arbeitnehmer" als "Schlüssel zum Arbeitsrecht" [1] bezeichnet. Das Arbeitsrecht verwendet ihn in sehr vielen Vorschriften oder setzt ihn voraus. Eine für das gesamte Arbeitsrecht geltende gesetzliche Definition des Arbeitnehmers findet sich allerdings nicht. Diese Aufgabe mußten und müssen Rechtsprechung und Lehre meistern. Da das Arbeitsrecht neben seiner Befriedungsfunktion[2] vor allem "Arbeitnehmerschutzrecht" ist,[3] geht es bei der Begriffsbestimmung um die in der Praxis äußerst relevante Frage, wer in den Genuß dieser Schutzvorschriften kommen kann. Juristisch beantwortet wird diese durch die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs und die damit einhergehende Abgrenzung des Arbeitsvertrages von anderen Verträgen.

[1] Dietrich / Hanau / Schaub, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Nr. 230, B. I. Nr. 1. b.
[2] Diese soll zur Sicherung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen, vgl. hierzu die Nachweise bei Däubler, Das Arbeitsrecht 1, rororo, 1990, Nr. 2.2.2.
[3] Vgl. Halbach / Paland / Schwedes / Wlotzke, Übersicht über das Recht der Arbeit, BMA 1997.

2.1 Konsequenzen eines Arbeitsverhältnisses, das Problem der "Scheinselbständigkeit"

Gerade weil das Arbeitsrecht auch Arbeitnehmerschutzrecht ist, sind mit ihm für den Arbeitgeber direkte Kosten (u. U. Einbindung in eine betriebliche Altersversorgung, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Annahmeverzugsvergütung im Hinblick auf die Betriebsrisikolehre, Arbeitnehmermitbestimmung, Gleichbehandlungsgrundsatz) und kostenauslösende gesetzliche Reglementierungen (Kündigungsschutz nach dem KSchG oder besonderer Kündigungsschutz nach Spezialregelungen, Rechte der Mitarbeitervertretungen etc.) verbunden. Dafür gibt der Arbeitnehmer einen großen Teil seiner Dispositionsfreiheit auf und unterwirft sich fremden Weisungen.

Auch das Sozialversicherungsrecht löst bei Bejahung eines "Arbeits-" oder "Beschäftigungsverhältnisses" (der Begriff ist nicht immer deckungsgleich, wie § 7 Abs. 1 SGB IV zeigt: "Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitverhältnis") Kosten aufgrund der Beitragspflichten aus (vgl. die Grundvorschrift des § 7 Abs. 1 SGB IV i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Kranken-, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI bei der Pflege-, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI bei der Renten-, § 25 Abs. 1 SGB III bei der Arbeitslosen- und § 2 Abs. 1 Nr. 1 bei der Unfallversicherung). Bei der Unfallversicherung erhält der Arbeitgeber als Gegenleistung für seine alleinige Beitragspflicht eine Haftungsbeschränkung bei Personenschäden auf Vorsatz gem. §§ 104 ff SGB VII (außer Wegeunfall).

Im Steuerrecht wirkt sich die Bejahung eines Arbeitsverhältnisses nicht so kostenbelastend für den Arbeitgeber aus, da der Arbeitnehmer die Steuern schuldet. Jedoch haftet der Arbeitgeber als Gesamtschuldner mit dem Arbeitnehmer für die Abführung der Steuern. Hier können sich für einen Selbständigen umsatzsteuerrechtliche Vorteile ergeben.

Die dargestellten Kosten und Reglementierungen führten in der Praxis zu gewagten vertraglichen Konstruktionen mit "Selbständigen". Die Zahl der "Selbständigen" nahm zu, die der Arbeitnehmer ging zurück.

Gewerkschaften wiesen auf mangelnden Schutz von Kleinunternehmern hin. Sozialversicherungsträger reklamierten zurückgehende Beitragszahlungen.

Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) sind insgesamt fast 1 Million Erwerbstätige im Haupt- und etwa 1,5 Millionen im Nebenerwerb in der Grauzone zwischen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis und Selbständigkeit angesiedelt. Die den Sozialversicherern dadurch jährlich in der Vergangenheit entgehenden Beitragseinnahmen wurden von SPD und Bündnis90/Die Grünen mit ungefähr 10 Milliarden DM beziffert.

Dagegen verweist Buchner[1] auf die Untersuchung im IAB-Werkstattbericht Nr. 7 vom 25.11.1996[2], wonach das IAB von in der "Grauzone" befindlichen 938 000 Vollbeschäftigten nur 179 000 nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien als den Arbeitnehmern zurechenbar angesehen habe. Aufgrund der Neuregelung im Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998[3] seien es 410 000. Damit würden etwa 231 000 Mitarbeiter von der Rechtsänderung erfaßt. Zudem komme noch die Gruppe der "Semi-Abhängigen" mit ca. 226 000 bzw. 282 000 hinzu. Also habe sich der Gesetzgeber nicht auf die "richtige Zuordnung falsch etikettierter Scheinselbständiger" beschränkt, sondern es gehe "klar in Rich...

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