In Anlehnung an die bereits erwähnte tarifvertragliche Regelung im Chemie-Bereich ist im TVöD ein Anspruch auf Qualifizierung ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr stellt die Qualifizierung lediglich ein Angebot dar, aus dem die Beschäftigten grundsätzlich keinen individuellen Anspruch ableiten können. Auch in anderen Tarifverträgen betreffend die Qualifizierung haben die jeweiligen Tarifvertragsparteien aus den nachfolgend ausgeführten Erwägungen einen Qualifizierungsanspruch des Beschäftigten ganz bewusst nicht aufgenommen, so neben dem Tarifvertrag aus dem Chemie-Bereich auch der Qualifizierungs-Verbandstarifvertrag der Metallindustrie in Baden-Württemberg.

Warum kein Anspruch auf Qualifizierung? Die Aus- und Weiterbildung fällt grundsätzlich in den persönlichen Verantwortungsbereich des Beschäftigten. So regelt auch § 2 Abs. 4 SGB III, dass die Arbeitnehmer bei ihren Entscheidungen deren Auswirkungen auf ihre beruflichen Möglichkeiten verantwortungsvoll einzubeziehen haben. Sie sollen insbesondere ihre berufliche Leistungsfähigkeit den sich ändernden Anforderungen anpassen. Damit kommt eine rechtliche Grundwertung zum Ausdruck. Die Qualifikation des Beschäftigten ist Teil seiner Beschäftigungsfähigkeit und damit das vertragsrechtliche Gegenstück zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Die Fort- und Weiterbildung ist grundsätzlich Obliegenheit des Beschäftigten. Auch die Fürsorgepflicht – die im öffentlichen Dienst besonders ausgeprägt ist – rechtfertigt es nicht, dem Arbeitgeber sozialpolitisch umverteilend das Lebens- und Leistungsrisiko seines Beschäftigten aufzuerlegen. Auch Art. 12 Abs. 1 GG, der die Berufsfreiheit regelt, das Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht entsprechend Art. 2 GG oder Art. 14 der künftigen europäischen Grundrechtecharta, der das Recht auf Bildung zum Inhalt hat, können entsprechende Nebenleistungspflichten des Arbeitgebers nicht begründen.[1]

Dem entspricht auch, dass die zwangsweise Umschulung in einen anderen Beruf durch den Tarifvertrag nicht vorgeschrieben werden kann. Selbst die Aufstiegsqualifizierung[2] ist freiwillig. Der Beschäftigte kann nicht zu einer Beförderung via Qualifizierung gezwungen werden.

Im Wege einer freiwilligen Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können Arbeitgeber und Personalvertretung allerdings das tarifvertragliche Angebot zur Qualifizierung wahrnehmen und näher ausgestalten. Inhalt einer solchen Dienstvereinbarung kann z. B. die Art, Dauer, der Inhalt, die Durchführung, die Qualifizierungsplanung, die Teilnahmepflicht sein. Die Tarifvertragsparteien haben hier bewusst auf eine tarifvertragliche Regelung verzichtet, um den Sozialpartnern auf betrieblicher Ebene einen umfangreichen Spielraum zu belassen. Auf diese Weise können die dienstlichen bzw. betrieblichen Interessen sowohl des Arbeitgebers als auch der Beschäftigten individuell berücksichtigt werden. Inhalt der Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung kann aber durchaus auch die Einräumung eines individuellen Anspruchs des einzelnen Beschäftigten auf Qualifizierung sein. Bei der Vereinbarung eines solchen Anspruchs ist dem Arbeitgeber allerdings höchste Zurückhaltung anzuraten. Grundlage für solche Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen sind die im Betriebsverfassungsgesetz bzw. dem jeweiligen Personalvertretungsgesetz verankerten Mitbestimmungsrechte.[3]

Eines sei klargestellt: Die neue tarifvertragliche Regelung kann den Arbeitgeber nicht zwingen, die bisherigen freiwilligen Bildungsleistungen übertariflich weiter zu gewähren.

[1] So auch Rieble, a. a. O., S. 831 ff. (842).
[2] Vgl. dazu unten unter 5.
[3] Vgl. dazu unten unter 9.

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