Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung. polnische Versicherungszeiten. Anwendbarkeit des RV/UVAbk POL. Wohnort. gewöhnlicher Aufenthalt. Europarecht

 

Orientierungssatz

Zur Anwendbarkeit des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (juris: RV/UVAbk POL), wenn der Zuzug nach Deutschland vor dem 1.1.1991 erfolgte und der Versicherte nach dem 1.1.1991 von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er bei Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland in einem anderen Mitgliedstaat und hieran anschließend erneut in Deutschland wohnte.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.06.2015; Aktenzeichen B 13 R 27/13 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.8.2012 geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe einer Altersrente für Frauen.

Die 1948 in Polen geborene Klägerin besuchte dort bis 1964 die Schule, war danach von Ende 1966 bis Anfang 1968 als Hilfsschwester/Stationshilfe in einem Krankenhaus und von 1968 bis 1981 als Telefonistin und Arbeiterin (zuletzt in der Markenstube) über Tage im Bergwerk "N" in C (Beuthen) beschäftigt.

Am 10.6.1989 kam sie nach Deutschland und wurde hier als Vertriebene anerkannt (Vertriebenenausweis A). In der Folgezeit war sie bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben durchgehend in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt bis zum 30.9.2009 als Produktionshelferin bei der I GmbH in B. Von 1994 bis 1999 wohnte die Klägerin in L/Niederlande.

Die Beklagte stellte rentenrechtliche Zeiten bis zum 31.12.1993 (in Polen zurückgelegte nach dem Fremdrentengesetz - FRG) verbindlich fest (Vormerkungsbescheid vom 28.4.2000). Der Bescheid enthält den Hinweis, dass nach derzeitiger Rechtslage für die nach dem FRG anerkannten Zeiten Entgeltpunkte nur zu 60% berücksichtigt werden; das gelte nicht für Zeiten nach dem deutsch-polnischen Rentenabkommen vom 9.10.1975.

Mit Vormerkungsbescheid vom 6.3.2009 stellte die Beklagte die rentenrechtlichen Zeiten der Klägerin bis zum 31.12.2002 fest. Aus der Rentenauskunft vom gleichen Tag ergibt sich, dass die Beklagte der Berechnung die Entgeltpunkte für die polnischen Zeiten nur zu 60% zugrunde gelegt hat. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 18.3.2009: Die Kürzung sei rechtswidrig, weil die ungekürzten Entgelte nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (im Folgenden: Abk Polen RV/UV 1975) mit dem Bescheid vom 28.4.2000 verbindlich anerkannt worden seien. Überdies sei ihre Beschäftigung ab Juni 1975 der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen.

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab 1.7.2009 Altersrente für Frauen in Höhe von zunächst EUR 811,46 (monatlicher Zahlbetrag). Bei der Berechnung des Rechts auf Rente kürzte sie die Entgeltpunkte für in Polen zurückgelegte, nach dem FRG berücksichtigte rentenrechtliche Zeiten auf 60%. Die Zeiten vom 1.6.1975 bis zum 7.6.1989 ordnete sie der Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 13 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu (Rentenbescheid vom 16.6.2009). Den Widerspruch, mit dem sich die Klägerin auf ihr Schreiben vom 18.3.2009 bezog, wies sie zurück: Die Absenkung der Entgeltpunkte für Zeiten nach dem FRG auf 60% sei rechtmäßig. Eine abweichende Feststellung ergebe sich nicht aus dem Bescheid vom 28.4.2000. Die Voraussetzungen für eine Einstufung von polnischen Zeiten in die Qualifikationsgruppe 4 seien nicht erfüllt. Die Tätigkeit als Telefonistin sei kein anerkannter Ausbildungsberuf, so dass es sich nicht um eine Facharbeitertätigkeit gehandelt habe (Widerspruchsbescheid vom 19.10.2010, abgesandt am 25.10.2010).

Mit der hiergegen am 26.11.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin höhere Rente begehrt. Weil sie bereits 1989 nach Deutschland eingereist sei, sei die Kürzung der polnischen Zeiten auf 60% rechtswidrig. Sie habe ihren Wohnsitz nur vorübergehend in die Niederlande verlegt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 06.03.2009 sowie des Bescheids vom 16.06.2009 jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.10.2010 zu verurteilen, die für die Zeit vom 21.12.1966 bis 07.06.1989 ermittelten Entgeltpunkte nicht mit dem Faktor 0,6 zu multiplizieren sowie die Zeit vom 01.06.1975 bis 07.06.1989 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen sowie ihre Altersrente für Frauen neu zu berechnen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalt aus Deutschland in einen Drittstaat (Niederlande) seien die nach dem Abk Polen RV/UV 1975 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften endgültig erloschen. Der Anspruch auf Anrechnung der polnischen Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung nach Abk Polen RV/UV 1975 lebe auch bei späterer Rückkehr ...

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