0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 90 ist zum 1.7.1983 durch das Gesetz v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) in das SGB X eingeführt worden und hat seither keine Änderung erfahren. Eine Vorgängerregelung ist nicht vorhanden, da seinerzeit das Recht der Auftragsvergabe unter Leistungsträgern nicht gesetzlich geregelt war. Mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) wurde § 90 neu bekanntgemacht.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Gegenstand des § 90 ist die Regelung und Ordnung der Beziehungen der Verfahrensbeteiligten (Auftrageber, Auftragnehmer, Sozialleistungsberechtigter) untereinander.

Durch § 90 Satz 1 wird der Antragsteller auf Sozialleistungen, der durch das Bestehen eines Auftragsverhältnisses sich mit einem weiteren Leistungsträger auseinandersetzen muss, geschützt: Der Antrag auf eine Leistung kann sowohl beim Auftraggeber als auch bei dem Beauftragten gestellt werden. Keiner der beteiligten Verwaltungsträger kann sich gegenüber dem Antragsteller für unzuständig erklären.

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

Die Sätze 1 und 2 des § 90 haben verschiedene Anwendungsbereiche: Satz 1 ist nur für den Fallgruppenauftrag anwendbar, nämlich dann, wenn der Antragsteller bereits weiß, dass ein anderer als der dem Grunde nach zuständige Leistungsträger die Antragsbearbeitung im Weg eines Auftrages übernimmt. Satz 2 bezieht sich auf alle Auftragsverhältnisse zu dem Zeitpunkt, in dem der beauftragte Leistungsträger den entscheidenden Bescheid bereits erlassen hat.

2.1 Antragstellung beim Beauftragten (Satz 1)

 

Rz. 4

§ 90 Satz 1 ist im Auftragsverhältnis die speziellere Vorschrift gegenüber § 16 SGB I. Nach der letztgenannten Vorschrift sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Dies wäre der Auftraggeber, so dass bei einer Antragstellung beim Beauftragten der Letztere unzuständig wäre und den Antrag nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I an den zuständigen Träger, den Auftraggeber, weiterzuleiten hätte. Der Auftraggeber müsste aber, da ein Fallgruppenauftrag vorliegt, den Antrag, damit er bearbeitet werden kann, an den Beauftragten zurückgeben. § 90 Satz 1 kürzt das beschriebene Verfahren ab, indem ermöglicht wird, den Antrag direkt an den Beauftragten zu richten, bzw. indem die fiktive Zuständigkeit des Beauftragten (freilich beschränkt auf die Entgegennahme des Antrags) festgestellt wird. Den so zuständig gewordenen Beauftragten treffen dann auch die Pflichten aus § 16 Abs. 3 SGB I: Er muss darauf hinwirken, dass die Anträge unverzüglich klar und sachdienlich gestellt und fehlende Angaben ergänzt werden.

 

Rz. 5

Beteiligte nach § 12 sind der Antragsteller und der Antragsgegner sowie diejenigen, an die die Behörde einen Verwaltungsakt richten will. § 90 Satz 1 bezeichnet als Beteiligte die Antragsteller. Beteiligte i. S. d. Satzes 2 sind die Adressaten eines Verwaltungsaktes.

 

Rz. 6

Während Antragsteller nach § 16 SGB I nur derjenige ist, der einen Antrag auf eine Sozialleistung stellt, umfasst § 90 Satz 1 alle Antragsteller, auch wenn die Erteilung einer Auskunft, die Beratung oder sonstige Begehren vorgebracht werden (Engelmann, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 90 Rz. 3b). Der einen Antrag aufnehmende Beauftragte hat auch die Pflichten aus § 16 Abs. 3 SGB I zu erfüllen. Er muss darauf hinwirken, dass die Anträge klar und sachdienlich gestellt oder unvollständige Angaben vervollständigt werden Dietmair, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: 1.12.2017, § 90 Rz. 14).

2.2 Bearbeitung von Widersprüchen (Satz 2)

 

Rz. 7

§ 90 Satz 2 regelt die Bearbeitung von Rechtsbehelfen im Auftragsverhältnis. Zunächst gestattet die Vorschrift, sowohl beim Auftraggeber wie auch beim Auftragnehmer Widerspruch einzulegen ("erhebt der ..".). Die Vorschrift konkretisiert damit § 84 Abs. 1 SGG, wonach der Widerspruch bei der den Verwaltungsakt erlassenden Stelle einzulegen ist. Aus § 90 Satz 2 ist zu folgern, dass sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer erlassende Stellen i. S. d. § 84 Abs. 1 SGG sind.

Daher hat ein im Auftragsverhältnis ergangener und durch den Auftragnehmer ausgefertigter Bescheid als Adressaten eines möglichen Widerspruchs beide Beteiligten des Auftragsverhältnisses in der Rechtsbehelfsbelehrung nach § 36 anzugeben. Fehlt diese Angabe, ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig mit der Folge, dass sich die Klagefrist auf ein Jahr verlängert (vgl. § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Satz 2 des § 90 ist auch anzuwenden, wenn die Entscheidung des Beauftragten nicht ausdrücklich im Namen des Auftraggebers erlassen wurde oder sie den Rahmen des erteilten Auftrags überschreitet (vgl. Hochheim, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 11/2014, § 90 Rz. 7).

2.2.1 Erhebung des Widerspruchs gegenüber dem Beauftragten

 

Rz. 8

Der Beauftragte hat nach § 90 Satz 2 zu prüfen, ob dem Widerspruch abzuhelfen ist. Hilft der Beauftragte nicht ab, so hat er den Widerspruch an den Auftraggeber zurückzugeben. Letzterem ist der Bescheid weiterhin zuzurechnen. Daher hat auch der Auftraggeber bzw. dessen Widerspruchsstelle (§ 85 Abs. 2 SGG) den Widerspruchsbescheid zu erlassen. Im Auftragsverhältnis ist der Auftraggeber nicht berechtigt, dem Widerspruch abzuhelfen. Es besteht aber die Möglichkeit, den Widerspru...

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