0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Ursprünglich sah § 255g in seiner noch bis zum 21.4.2015 gültigen Fassung Ergänzungen zur Rentenanpassungsformel und damit zur Ermittlung des fortzuschreibenden aktuellen Rentenwertes vor. Abs. 1 enthielt eine ergänzende Regelung zur Festsetzung des aktuellen Rentenwerts zum 1.7.2007 und ordnete an, dass das Gesamtvolumen der Beiträge für das Jahr 2006 mit dem Faktor 0,9375 vervielfältigt wird; damit wurde der geänderten Regelung über die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags durch das Gesetz zur Änderung des Vierten und Sechsten Buches Sozialgesetzbuch v. 3.8.2005 (BGBl. I S. 2269) Rechnung getragen. Die vorgezogene Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags führte im Jahr 2006 einmalig zu einem höheren Beitragseingang; dies sollte Abs. 1 kompensieren (BT-Drs. 15/5574 S. 5). Abs. 2 sah eine Sonderregelung zur Abschmelzung des Ausgleichsbedarfs nach § 68a Abs. 3 vor (vgl. zur Gesetzentwicklung im Übrigen GRA der DRV zu § 255g SGB VI, Stand: 4.12.2018, Anm. 1 und Historie).
Die Vorschrift war wegen Zeitablaufs bedeutungslos geworden. § 255g ist mit diesem Inhalt daher mit Wirkung zum 22.4.2015 durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (5. SGB IV-ÄndG) v. 15.4.2015 (BGBl. I S. 583) vollständig aufgehoben worden. Die in § 255g enthaltenen ergänzenden Regelungen wurden bei der Bestimmung der aktuellen Rentenwerte für die Zeit vom 1.7.2007 bis 1.7.2010 berücksichtigt (BT-Drs. 18/3699 S. 40; BR-Drs. 541/14 S. 43).
Durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) v. 28.11.2018 (BGBl. I. S. 2016) wurde die Vorschrift vollständig neu gefasst und zum 1.1.2019 mit der Regelung über den Ausgleichsbedarf bis zum 30.6.2026 in Kraft gesetzt. Damit wurde der sog. Nachholfaktor bis zur Rentenangleichung Ost/West – bis zum 30.6.2026 – außer Kraft gesetzt.
Durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Rentenanpassung 2022 und zur Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand (Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz) v. 28.6.2022 (BGBl. I S. 975) wurde mit Wirkung zum 1.7.2022 die alte übergangsrechtliche Regelung des § 255g (Ausgleichsbedarf) neu gefasst und der Ausgleichsbedarf (sog. Nachholfaktor) bereits ab dem 1.7.2021 gesetzlich wieder festgesetzt, sodass dieser Ausgleichsbedarf bereits bei der Rentenanpassung zum 1.7.2022 wieder greift (dies war ausdrücklich ein zentrales Anliegen aus dem Koalitionsvertrag 2021 der Ampelkoalition; vgl. Koalitionsvertrag 2021, S. 73). Die alte übergangsrechtliche Regelung ist gestrichen worden und durch folgende Regelung ersetzt worden: "Der Ausgleichsbedarf beträgt ab dem 1. Juli 2021 0,9883." (vgl. auch Gesetzesmaterialien: BT-Drs.20/1680 S. 9, 27 f. = BR-Drs. 170/22 S. 1, S. 22 f.).
Gültig ist die Vorschrift i. d. F. v. 28.6.2022 ab 1.7.2022.
1 Allgemeines
Rz. 2
Sinn der Regelung in seiner aktuellen Fassung des Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetzes ist die gesetzliche Festlegung des Faktors und damit der Höhe des durch § 255h dem Grunde nach gesetzlich wieder eingeführten Ausgleichsbedarfs. Durch § 68a i. V. m. § 255h wurde, ebenfalls durch das Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz, die Berechnung des Ausgleichsbedarfs wieder eingeführt. Die Wiedereinführung dient letztlich der generationengerechten Verteilung der Folgen der demografischen Entwicklung und einer ausgewogenen Ausgestaltung dieser Folgen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sowie Rentnerinnen und Rentner (vgl. BT-Drs. 20/1680 S. 23, 27 f. = BR-Drs. 170/22 S. 18, 22 f., vgl. auch Rz. 6).
Rz. 3
Korrespondierende Vorschrift zu § 255g ist insoweit insbesondere die Schutzklausel des § 68a, mit der die materiell-rechtlichen Regelungen über die Rentengarantie und den Ausgleichsbedarf getroffen werden. Neben § 255g ist § 255h zu beachten; beide stellen insoweit Sonderregelungen zu § 68a dar. Weiter bedeutsam ist die Niveauschutzklausel nach § 255e. Außerdem ist die Verordnungsermächtigung nach § 69 zu beachten.
Rz. 4
Die Deutsche Rentenversicherung hat im Anwendungsbereich des SGB VI umfangreiche Gemeinsame Rechtliche Anweisungen (GRA) geschaffen, die auch § 255g erfassen. Die GRA der DRV zu § 255g hat den Stand 21.9.2022 (i. d. F. des Gesetzes zur Rentenanpassung 2022 und zur Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand – Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz v. 28.6.2022, in Kraft getreten am 1.7.2022) und unter folgender Adresse online abrufbar: https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/rvRecht/01_GRA_SGB/06_SGB_VI/pp_0251_275/gra_sgb006_p_0255g.html (zuletzt abgerufen am 4.3.2024).
2 Rechtspraxis
2.1 Ausgleichsbedarf neue Rechtslage ab 1.7.2022
2.1.1 Ausgleichsbedarf
Rz. 5
Durch das Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz v. 28.6.2022 (BGBl. I S. 975) wurde mit Wirkung zum 1.7.2022 § 255g (Ausgleichsbe...