Die spezielle Bedeutung von Art. 3 Abs. 2 GG neben Art. 3 Abs. 3 GG war lange Zeit unklar. Das Bundesverfassungsgericht betrachtete beide Gleichheitsgebote bis 1991 als gleichbedeutend. Beide seien Differenzierungsverbote, die lediglich eine besondere Rechtfertigung verlangten. Erstmals in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot betonte es den Unterschied: Art. 3 Abs. 2 GG weise einen "über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende[n] Regelungsgehalt" auf, der darin bestehe, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstelle und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstrecke. "Der Satz Männer und Frauen sind gleichberechtigt‘ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf Angleichung der Lebensverhältnisse … Überkommene Rollenverteilungen … dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden. Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen … durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden".[1] Dieser Regelungsgehalt wird durch die Verfassungsänderung und die Anfügung des Satzes 2 noch unterstrichen.[2]

Diese Entwicklung von Art. 3 Abs. 2 GG zeigt, dass Gleichbehandlung allein als Begriff nicht ausreicht, um den verschiedenen Dimensionen der Gleichberechtigungsproblematik gerecht zu werden: Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist zunächst Gleiches gleich zu behandeln, soweit es gleich ist. Dieser allgemeine Gleichheitssatz beinhaltet ein Gleichbehandlungsgebot. Art. 3 Abs. 3 GG ergänzt dieses Gebot. Die dort genannten Merkmale dürfen nicht als Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung dienen. Diese speziellen Gleichheitssätze werden auch Diskriminierungsverbote genannt. Wie der allgemeine Gleichheitssatz gewährleisten Diskriminierungsverbote lediglich die Anwendung einer bereits gesetzten Norm oder Leistung auf eine von ihr ausgeschlossene Gruppe. Dennoch sind Diskriminierungsverbote keine "Gleichstellungsverpflichtungen". Denn dieser Begriff wird im deutschen Rechtssystem für Maßnahmen verwendet, die sich nicht darauf beschränken, lediglich den Anwendungsbereich einer gegebenen Norm auszudehnen, sondern die neue Rechte schaffen, die dem Zweck der Gleichberechtigung oder Gleichstellung dienen.

Ein weiteres Koordinationsproblem ergibt sich aus dem Recht der EU. Art. 141 EG (früher 119 EGV) verpflichtet die Mitgliedstaaten auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit (dazu näher unter Gleiches Entgelt für Männer und Frauen). Darüber hinaus enthalten zahlreiche Richtlinien Verbote der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. Für deren Auslegung ist der Europäische Gerichtshof zuständig, der bereits eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt hat. Sie bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten. Damit ist auch Art. 3 Abs. 2 GG "gemeinschaftsfreundlich" auszulegen. Im europäischen Kontext hat sich der Begriff Antidiskriminierung eingebürgert.

 
Praxis-Tipp

Man sollte In Bezug auf die Gleichberechtigungsfrage besonderen Wert auf die präzise Begriffsbildung legen. Gleichbehandlungsgebote oder Diskriminierungsverbote haben die Anwendung einer bereits gesetzten Norm auf die sachwidrig (oder willkürlich) ausgeschlossene Gruppe zum Ziel. Gleichstellungsgebote und Frauenfördergesetze sollen neue Rechte schaffen, die der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dienen.

[2] Wohl str. siehe ErfKo/Dieterich, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 85.

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