2.1 Überblick: Gleichheitssätze des Grundgesetzes

Art. 3 Abs. 1 GG beschreibt im Zusammenwirken mit anderen Staatsorganisationsnormen des Grundgesetzes die staatsbürgerliche Gleichheit und die Rechtsanwendungsgleichheit als Ausdruck des Strebens nach fundamentaler materieller Gerechtigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz wird im Grundgesetz selbst konkretisiert, ergänzt und in seiner Wirkkraft verstärkt durch den Gleichberechtigungssatz (Art. 3 Abs. 2 GG), den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG sowie auf bestimmte Lebensbereiche oder Differenzierungsmerkmale bezogene Gleichheitsgebote (s. etwa Art. 6 Abs. 5 GG [Gleichstellung nichtehelicher Kinder], Art. 33 GG [staatsbürgerliche Rechte und Zugang zum öffentlichen. Dienst], Art. 38 GG [Wahlgleichheit], Art. 21 GG [Gleichbehandlung der Parteien], Art. 12 a Abs. 2 und 3 GG [Ersatzdienst]). Im Verhältnis zu speziellen Gleichheitssätzen tritt Art. 3 Abs. 1 GG zurück, soweit diese das aufgeworfene Gleichheitsproblem abschließend regeln (BVerfG, Urt. v. 16.12.1981 - 1 BvR 8/98[1]). Der allg. Gleichheitssatz kann aber zusätzlich auf denselben Sachverhalt Anwendung finden, soweit Differenzierungsmerkmale betroffen sind, die die spezielleren Gleichheitssätze nicht erfassen.

Für den Zugang zu Ämtern im öffentlichen Dienst gelten Art. 33 Abs. 2 und 3 GG als speziellere "grundrechtsgleiche"[2] Garantien. Sie gewährleisten im Rahmen der vorrangigen haushalts- oder beschäftigungspolitischen Entscheidungen über die Einrichtung oder Besetzung von Dienstposten für deutsche Staatsangehörige und nach Maßgabe des Art. 48 EGV auch für EU-Angehörige den chancengleichen (Abs. 2) und diskriminierungsfreien (Abs. 3) Zugang zu Ämtern im öffentlichen Dienst. Art. 33 Abs. 3 GG hat insbesondere für die Beurteilung der Frage nach der Zulässigkeit von Quotenregelungen in Frauenfördergesetzen (näher unter Das Bundesgesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern) Bedeutung erlangt.

[1] U.a. = BVerfGE 59, 128, 156.
[2] BVerfG, Urt. v. 19.09.1989 – 2 BvR 1576/88

2.2 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt in seiner Abwehrfunktion ein subjektiv-öffentliches Recht auf Gleichbehandlung, einen Abwehranspruch dagegen, durch eine hoheitliche Gewalt im Verhältnis zu anderen Grundrechtsträgern gleichheitswidrig behandelt zu werden. Gleichheitswidrig ist es, wenn vergleichbare Sachverhalte, Gruppen oder Personen in wesentlicher Hinsicht ungleich oder wesentlich unterschiedliche Sachverhalte, Gruppen oder Personen gleich behandelt werden. Der allgemeine Gleichheitssatz verteidigt anders als die Freiheitsrechte keinen speziellen Schutzbereich und ist ergebnisoffen. Er fordert lediglich als sog. "modales Abwehrrecht" den wertenden Vergleich zweier Sachverhalte, die sich hinsichtlich bestimmter Merkmale unterscheiden. Aussagen über Beachtung oder Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes setzen also konkrete zum Vergleich gestellte Sachverhalte voraus - bei personenbezogenen Differenzierungen ist der Begriff Vergleichsgruppenbildung gebräuchlich-, sodann die Identifizierung des Differenzierungsmerkmals und schließlich die Feststellung des mit der Ungleichbehandlung verfolgten Differenzierungszieles. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Verhältnis von Differenzierungsmerkmal und -ziel nach Art. 3 Abs. 1 GG zu bewerten.[1] Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt immer dann vor, wenn dieses Verhältnis nach einer objektiven Gesamtbetrachtung aller Umstände als nicht sachgerecht (oder "willkürlich") erscheint. Das ist weitaus schwieriger, als es zunächst den Anschein hat. In der Praxis zeigt sich, dass die (oft entscheidende Weichenstellung der) Vergleichsgruppenbildung ihrerseits wiederum das Ergebnis einer wertenden Beurteilung darstellt. Das zeigen praktische Beispiele, die sich im privaten Arbeitsrecht unter dem Stichwort "§ 242 BGB, arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz" finden lassen, sehr deutlich.

 
Praxis-Beispiel

(Nach BAG, Urt. v. 15.05.2001 - 1 AZR 672/00) Die Annahme eines Arbeitgebers, er sei auf Mitarbeiter angewiesen, die ihre berufliche Qualifikation in einem rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen System erlangt haben (Differenzierungsziel), konnte es jedenfalls im Jahr 1996 nicht mehr sachlich rechtfertigen, Arbeitnehmern, die am 2.10.1990 ihren Wohnsitz in der DDR hatten (Differenzierungsmerkmal), generell ein niedrigeres Gehalt zu zahlen als Arbeitnehmern, die in diesem Zeitpunkt in den alten Bundesländern ansässig waren. In diesem Beispiel hat das Bundesarbeitsgericht eine sachfremde Vergleichsgruppenbildung angenommen.

Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber und subsidiär auch die Rechtsprechung in seiner Schutzfunktion bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung gleichheitswidrige Regelbildungen auszuschließen. In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich aus dem allgemeinen. Gleichheitssatz die Pflicht des Staates, gravierende soziale Unterschiede soziologisch zutreffend zu erfassen und bei der Regelbildung zu berücksichtigen. Daraus allein lassen sich allerdings Indivi...

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