Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Arbeitszeitgestaltung. Art. 7. Jahresurlaub. Arbeitszeit. Überstunden. Berechnung der Arbeitszeit auf Monatsbasis. Kein Mehrarbeitszuschlag bei Inanspruchnahme von Urlaub

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG

 

Beteiligte

Koch Personaldienstleistungen

DS

Koch Personaldienstleistungen GmbH

 

Tenor

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Oktober 2020, in dem Verfahren

DS

gegen

Koch Personaldienstleistungen GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Sechsten Kammer I. Ziemele (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Siebten Kammer sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von DS, vertreten durch R. Buschmann,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DS und der Koch Personaldienstleistungen GmbH (im Folgenden: Koch) über die Frage der Berücksichtigung von bezahltem Jahresurlaub bei der Berechnung der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4 und 5 der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.

(5) Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. …”

Rz. 4

Art. 7 („Jahresurlaub”) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.”

Deutsches Recht

Rz. 5

Der Manteltarifvertrag für Zeitarbeit in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: MTV) enthält in § 3.1. („Arbeitszeit”) folgende Passagen:

„3.1.1. Die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt für Vollzeitbeschäftigte 151,67 Stunden. …

3.1.2. Die individuelle regelmäßige Arbeitszeit pro Monat richtet sich nach der Anzahl der Arbeitstage.

In Monaten mit

– 23 Arbeitstagen beträgt die Monatsarbeitszeit 161 [Stunden].

…”

Rz. 6

§ 4.1.2. MTV sieht vor:

„Mehrarbeitszuschläge werden für Zeiten gezahlt, die in Monaten mit

– 23 Arbeitstagen über 184 geleistete [Stunden] hinausgehen.

Der Mehrarbeitszuschlag beträgt 25 Prozent.

…”

Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage

Rz. 7

Im August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete DS, der bei Koch als Leiharbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt ist, an den ersten 13 Arbeitstagen des Monats 121,75 Stunden und nahm für die verbleibenden zehn Tage bezahlten Jahresurlaub, der 84,7 Arbeitsstunden entsprach.

Rz. 8

Da DS der Ansicht war, dass die für den bezahlten Jahresurlaub abgerechneten Tage bei der Bestimmung der geleisteten Arbeitsstunden zu berücksichtigen seien, erhob er bei den deutschen Gerichten Klage und beantragte, Koch zur Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 25 % für 22,45 Stunden, also von 72,32 Euro, zu verurteilen, was der die Schwelle von 184 Stunden übersteigenden Arbeitszeit entspreche.

Rz. 9

Nachdem seine Klage im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz abgewiesen wor...

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