Tenor

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Die als Beamte im Dienst der Deutschen Bundespost stehenden Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die disziplinargerichtliche Bestätigung der Feststellung, sie hätten durch ihre Weigerung, auf bestreikten Arbeitsplätzen Dienst zu tun, ein Dienstvergehen begangen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerden nach § 93a BVerfGG liegen nicht vor. Den Verfassungsbeschwerden kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt.

1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Bundesdisziplinargericht die in den die eingeleiteten Disziplinarverfahren einstellenden Verfügungen enthaltene Feststellung bestätigt hat, die Beschwerdeführer hätten dadurch, daß sie sich geweigert haben, den angeordneten Dienst in der bestreikten Dienststelle zu leisten, ein Dienstvergehen begangen.

a) Die an die Beschwerdeführer als Postbeamte gerichtete Anordnung, während des Streiks des Tarifpersonals der Bundespost am 28. und 29. April 1992 zu dessen Aufgaben gehörende Arbeiten zur Aufrechterhaltung des Postbetriebs auszuführen, war allerdings objektiv rechtswidrig, weil bei einem rechtmäßigen Streik im Bereich der Deutschen Bundespost der Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen ohne eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den darin liegenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Postgewerkschaft (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht angeordnet werden darf (vgl. BVerfGE 88, 103 ≪116 f.≫) und eine solche gesetzliche Grundlage im Zeitpunkt der Anordnung nicht bestand.

b) Die Gehorsamspflicht des Beamten (§ 55 Satz 2 BBG), die zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört (vgl. BVerfGE 9, 268 ≪286≫), besteht jedoch grundsätzlich auch bei rechtswidrigen Weisungen (vgl. nur Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarordnung, Handkommentar, 7. Aufl., Einleitung C Rdnr. 32a). Dies ergibt sich aus der in § 38 Abs. 2 BRRG, § 56 Abs. 2 BBG getroffenen Regelung über das sogenannte Remonstrationsverfahren. Danach muß der Beamte nach dessen erfolgloser Durchführung – von Ausnahmefällen abgesehen – die Anordnung umgehend ausführen, ist aber von der eigenen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des ihm aufgetragenen dienstlichen Verhaltens befreit.

c) Von der Gehorsamspflicht unberührt bleibt dem Beamten die Möglichkeit, die von ihm bezweifelte Rechtmäßigkeit der an ihn gerichteten dienstlichen Anordnung gerichtlich überprüfen zu lassen. Ist der angewiesene Beamte der Auffassung, daß die an ihn ergangene dienstliche Weisung zugleich in rechtswidriger Weise in seine persönliche Rechtsstellung eingreift und macht er – wie die Beschwerdeführer – geltend, die Anordnung verletze ihn in seinen ihm auch als Beamten zustehenden Grundrechten, so kann er dagegen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, was ihn allerdings von der Pflicht zur sofortigen Ausführung der Weisung nicht entbindet.

2. Es stößt auch auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken, daß das Bundesdisziplinargericht außer bei Erfüllung der in § 56 Abs. 2 Satz 3 BBG genannten Ausnahmetatbestände eine Unverbindlichkeit von Weisungen in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur nur annimmt, wenn sich diese als offenkundig rechtswidrig darstellen.

a) Die Beschränkung der Befreiung von der grundsätzlich auch rechtswidrige Anordnungen umfassenden Befolgungspflicht des Beamten gemäß § 55 Satz 2 BBG auf Evidenzfälle entspricht einem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG (vgl. zur Rechtslage nach §§ 10, 13 Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 ≪RGBl. S. 61≫Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., Tübingen 1911, § 47 unter II., S. 460 ≪461 f.≫; Schulze, Das Reichsbeamtengesetz, Leipzig 1908, § 10 Anm. 3, S. 76 f.; zur Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung vgl. Brand, Das Beamtenrecht, Berlin 1926, § 160 unter 2c), 3, S. 478 f.).

Diese Beschränkung rechtfertigt sich aus dem die Gehorsamspflicht tragenden Grund der zu wahrenden Funktionstüchtigkeit der öffentlichen Verwaltung und der deshalb gebotenen Effektivität des Entscheidungsprozesses und Handlungsvollzugs. Könnte der einzelne Beamte den Ablauf und Vollzug einer in den Bereich seiner Dienstaufgaben fallenden Verwaltungsentscheidung hemmen, wenn er aufgrund einer abweichenden Rechtsauffassung die von ihm weisungsgemäß auszuführende Amtshandlung für “schlicht” rechtswidrig hält, wäre angesichts der Fülle offener und nicht abschließend geklärter Rechtsfragen ein effektives Arbeiten der Verwaltung nicht möglich und damit die Erfüllung der ihr übertragenen öffentlichen Aufgaben ernsthaft gefährdet. Das aber wäre mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar, der die Institution des Berufsbeamtentums in ihrer Funktionsfähigkeit im Interesse der Allgemeinheit erhalten und gewährleisten will (vgl. BVerfGE 64, 367 ≪379≫ m.w.N.).

b) Eine weitergehende Entbindung der Beamten von der Gehorsamspflicht ist auch bei verfassungswidrigen Weisungen nicht geboten. Angesichts der durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten Freiheit von rechtswidrigem Zwang (vgl. BVerfGE 9, 83 ≪88≫; 42, 20 ≪27 f.≫) müßte andernfalls schon jeder “schlicht” rechtswidrige Dienstbefehl, weil er zugleich verfassungswidrig ist, nicht mehr befolgt werden. Die Gehorsamspflicht kann daher auch bei verfassungswidrigen Anordnungen nur entfallen, wenn ein evidenter, besonders schwerer Verfassungsverstoß vorliegt (vgl. dazu auch BVerfGE 28, 191 ≪205≫).

Demgegenüber liegt der Grund für das Nichtbestehen der Befolgungspflicht bei angesonnenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in der dadurch begründeten eigenen Verantwortlichkeit des so handelnden Beamten.

3. Daß das Bundesdisziplinargericht die offensichtliche Rechtswidrigkeit der an die Beschwerdeführer gerichteten Anordnungen in konkreter Rechtsanwendung verneint hat, läßt keine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Willkür erkennen.

In dem für die disziplinarrechtliche Beurteilung des Verhaltens der Beschwerdeführer maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der Weisungen (1992) war aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 69, 208) und des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 49, 303) von der rechtlichen Zulässigkeit des Beamteneinsatzes auf bestreikten Arbeitnehmer-Dienstposten der Deutschen Bundespost auszugehen. Auch wenn die Frage in der Literatur umstritten war, kann jedenfalls von einer offenkundigen Rechtswidrigkeit, die die Beschwerdeführer berechtigt hätte, die Befolgung der Anordnungen zu verweigern, keine Rede sein.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Böckenförde, Klein, Sommer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1084362

DVBl. 1995, 192

DVBl. 1995, 35

DVBl. 1995, 36

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