Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 11.03.1988)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. März 1988 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Herstellung einer Versicherungsunterlage für in Polen zurückgelegte Beitragszeiten.

Der 1919 in Lodz/Polen geborene Kläger, der als Jude nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen erlitt, war nach seinen Angaben in Lodz von September 1938 bis September 1939 als Buchhalter beschäftigt, wobei Beiträge zur polnischen Rentenversicherung entrichtet worden seien. Er wanderte im Jahre 1957 von Polen nach Israel aus, dessen Staatsangehöriger er ist und wo er seitdem wohnt.

Im Juli 1980 beantragte er bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Anerkennung der Zeit seiner Beschäftigung in den Jahren 1938/1939 als Versicherungszeit und die Herstellung einer Versicherungsunterlage. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Juli 1983, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 22. März 1984, ab, da durch die behauptete Beschäftigung eine Versicherungspflicht nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht nicht ausgelöst worden wäre.

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 29. Januar 1987; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin vom 11. März 1988). Das Berufungsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, es sei unerheblich, ob der Kläger Beitrags- oder Beschäftigungszeiten glaubhaft machen könne. Eine Herstellung von Versicherungsunterlagen könne schon deshalb nicht erfolgen, weil die Voraussetzungen des § 17 Abs 1 Buchst b des Fremdrentengesetzes (FRG) nicht erfüllt seien. Sofern Beiträge an einen nichtdeutschen Rentenversicherungsträger entrichtet worden seien, könnten diese nicht als nach den Reichsversicherungsgesetzen entrichtete Beiträge behandelt werden. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (OstgebietsVO – OGVO) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777) und den hierzu erlassenen Ausführungsbestimmungen sei die OGVO ua nicht auf sogenannte „Schutzangehörige polnischen Volkstums”, zu denen der Kläger als Jude polnischen Volkstums gehört habe, anzuwenden gewesen. Es sei nicht verfassungswidrig, daß keine Regelung bestehe, die den Kläger so stelle, als seien Beiträge zur polnischen Rentenversicherung auf die Reichsversicherung übergeleitet worden.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 17 Abs 1 FRG. Die Vorschrift des § 1 Abs 1 OGVO sei nichtig. Deshalb hätten von ihm an den polnischen Rentenversicherungsträger entrichtete Beiträge nicht von der Anwendung der Reichsversicherungsgesetze ausgeschlossen werden dürfen. Da das LSG offengelassen habe, ob er überhaupt Beiträge entrichtet habe, sei der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger stellt den Antrag,

„den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.”

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuverweisen.

Sie hält den Anspruch des Klägers auch nach der Novellierung des § 17 Abs 1 Buchst b FRG nicht für begründet, da die von ihm behaupteten Beitragszeiten weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des SozialgerichtsgesetzesSGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der beantragten Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Sachentscheidung nicht aus.

Nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) sind auf Antrag des Versicherten (Beschäftigten) auch außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens nach Maßgabe des FRG Versicherungsunterlagen für Zeiten herzustellen, die nach dem FRG anrechenbar sind. Da der Kläger weder die Voraussetzungen des § 1 FRG noch die des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) erfüllt, kommt die Anrechnung einer Beitragszeit, die er nach seinen Angaben von September 1938 bis September 1939 in Polen zurückgelegt hat, nur über § 17 Abs 1 Buchst b FRG in Betracht. Nach dieser Vorschrift in der vom LSG anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 1989 gültig gewesenen Fassung findet § 15 FRG auch auf Personen Anwendung, die nicht zu dem Personenkreis des § 1 Buchst a bis d FRG gehören, wenn Beiträge an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind und ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung sie bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte. Eine derartige Pflicht, die sich hier nur aus der OGVO hätte ergeben können, bestand nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für einen deutschen Rentenversicherungsträger (§ 3 FRG) nicht, da polnische Staatsangehörige grundsätzlich nicht zu dem von der OGVO erfaßten und damit in die Anwendung der Reichsversicherungsgesetze einbezogenen Personenkreis gehörten (BSG SozR 5050 § 17 Nr 12; s auch BSGE 62, 109, 110 ff = SozR 5050 § 17 Nr 11; BSG – Urteile vom 15. Oktober 1987 – 1 RA 41/86 und 43/86).

Der Vorschrift des § 17 Abs 1 Buchst b FRG ist nunmehr durch Art 15 Abschnitt A Nr 3 Buchst a) bb) des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) folgender Halbsatz angefügt worden: „dies gilt auch für die Beiträge von Personen, deren Anspruch nach der Verordnung vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777) ausgeschlossen waren.” Nach der Begründung des Entwurfes des RRG 1992 (BT-Drucks 11/4124 S 218, zu Nr 3 zu bb) soll die Ergänzung des Abs 1 Buchst b gewährleisten, daß Personen, die von der Anwendung der OGVO durch dessen § 1 Abs 1 Satz 2 und den Erlaß vom 29. Juni 1942 (AN II 408) ausgeschlossen waren, nach § 17 Abs 1 FRG Rentenleistungen für die an den polnischen Versicherungsträger entrichteten Beiträge erhalten können, sofern sie die Stichtagsvoraussetzungen der OGVO und die allgemein gültigen innerstaatlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllen. Die am 1. Januar 1990 in Kraft getretene (Art 85 Abs 5 RRG 1992) Gesetzesänderung erfaßt auch den vorliegenden Sachverhalt, da sie – rückwirkend – ab 1. Januar 1959 gilt (§ 17 Abs 3 FRG, eingefügt durch Art 15 Abschnitt A Nr 3 Buchst c) aaO, ebenfalls am 1. Januar 1990 in Kraft getreten).

Mithin kommt es auf die vom LSG – aus seiner damaligen Sicht zu Recht – offengelassene Frage an, ob der Kläger die behauptete Beitragszeit von September 1938 bis September 1939 glaubhaft machen kann. Die dazu erforderlichen Feststellungen kann der Senat als Revisionsinstanz nicht selbst treffen.

Die Revision des Klägers mußte daher zur Zurückverweisung der Streitsache an das LSG führen, das die notwendigen Ermittlungen durchzuführen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173887

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