Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindererziehungszeiten im Ausland. Rentenversicherungspflicht nach deutschem Recht. Gleichstellung nach dem EG-Recht. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Nichtberücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung im Ausland, in denen keine Pflichtbeiträge wegen einer nach deutschem Recht rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden sind und die sich auch nicht unmittelbar an solche Pflichtbeitragszeiten anschließen, ist nicht planwidrig, sondern entspricht dem Regelungsentwurf des AVG. Die Pflichtversicherung wegen Kindererziehung ab 1.1.1986 soll eine Lücke beim Aufbau von Rentenanwartschaften schließen, die sich auftut, wenn während und wegen der Erziehung von Kindern im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes Pflichtbeitragszeiten oder statt dessen bewertete Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten in einem Mindestumfang nicht erworben worden sind (vgl BSG vom 12.7.1988 4/11a RA 36/87 = BSGE 63, 282).

2. § 28b Abs 1 S 1 FRG fügt sich in das Regelungskonzept des AVG ein. Eine planwidrige, durch die Rechtsprechung ausfüllbare Regelungslücke besteht insoweit nicht, als eine versicherte Verfolgte nach verfolgungsbedingter Auswanderung Kinder nach dem 31.12.1949 in einem Nichtvertreibungsgebiet erzogen hat, ohne daß ein "Entsendungsfall" vorlag.

3. Es verstößt nicht gegen Europarecht, wenn das deutsche Gesetz die Anrechnung der Kindererziehungszeit im Grundsatz von einer Inlandserziehung abhängig macht.

4. Die Vorschriften der §§ 2a Abs 5 S 1 und 2, 28a Abs 1 S 1 und Abs 3 S 1 AVG verletzen nicht den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 bis 3 GG.

5. Verfassungsbeschwerde nicht angenommen durch Beschluß vom 2.7.1998 - 1 BvR 810/90.

 

Normenkette

AVG § 28a Abs. 1, 3 S. 1, § 2a Abs. 5 Sätze 1-2; RVO § 1251a Abs. 1, 3 S. 1, § 1227a Abs. 5 Sätze 2, 1; FRG § 286 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 2-3; EWGV 1408/71 Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.05.1989; Aktenzeichen L 13 An 111/88)

SG Aachen (Entscheidung vom 08.07.1988; Aktenzeichen S 11 An 191/87)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 02.07.1998; Aktenzeichen 1 BvR 810/90)

 

Tatbestand

Streitig ist die Anrechnung in Belgien zurückgelegter Kindererziehungszeiten auf das Altersruhegeld.

Die am 11. März 1926 in Rudolstadt geborene Klägerin war bis September 1948 im Gebiet der damaligen sowjetischen Besatzungszone versicherungspflichtig beschäftigt. Danach lebte sie mit ihrem im Bergbau beschäftigten Ehemann bis 1957 in Belgien. Dort sind die drei Kinder Claus (30. Januar 1949), Heinrich (3. November 1950) und Marie (20. Juli 1952) geboren. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland war die Klägerin hier von 1962 bis 1977 angestelltenversicherungspflichtig beschäftigt.

Die der Klägerin zunächst gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheide vom 12. Dezember 1978 und 29. August 1979) wandelte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit dem streitigen Bescheid (1) vom 6. August 1986 für die Zeit vom 1. April 1986 an in das vorzeitige Altersruhegeld um. Hierbei lehnte sie es ab, Zeiten der Kindererziehung nach § 28a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu berücksichtigen, weil die Klägerin weder während der Kindererziehung in Belgien noch unmittelbar vor den Geburten Pflichtbeiträge nach dem AVG geleistet habe. Während des Widerspruchsverfahrens setzte die Beklagte wegen der Anerkennung einer weiteren Pflichtversicherungszeit das Altersruhegeld neu fest (streitiger Bescheid -2- vom 5. Juni 1987). Der Widerspruch blieb, soweit ihm nicht durch den vorgenannten Bescheid abgeholfen worden war, erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1987).

Das Sozialgericht Aachen (SG) hat die Klage durch Urteil vom 8. Juli 1988 abgewiesen, das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) die Berufung zurückgewiesen und in der angefochtenen Entscheidung vom 23. Mai 1989 im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Anrechnung vor 1986 zurückgelegter Kindererziehungszeiten nicht, weil sie ihre drei Kinder in Belgien, also nicht im Geltungsbereich des AVG, erzogen habe (§ 28a Abs 1 AVG). Die Erziehung im Ausland sei auch nicht nach §§ 28a Abs 3, 2a Abs 5 AVG unschädlich; die Klägerin und ihr Ehemann seien weder während der Kindererziehung noch unmittelbar vor der Geburt der Kinder nach deutschem Recht versicherungspflichtig gewesen noch hätten sie zu dem von der Versicherungspflicht befreiten Personenkreis des § 2a Abs 5 Satz 2 AVG gehört. Der Ausschluß der Klägerin von der Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten beruhe auf keiner von der Rechtsprechung ausfüllbaren Regelungslücke und sei nicht verfassungswidrig, verstoße insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Zwischenstaatliches Recht begründe den Anspruch ebenfalls nicht. Soweit das deutsch-belgische Abkommen über soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 in Art 4 eine Gebietsgleichstellung vorsehe, könne diese das Erfordernis der Inlandserziehung nicht ersetzen. Gleiches gelte für die Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die zu- und abwandern (EWGV 1408/71); die Anrechnung von Kindererziehungszeiten werde zudem nicht als "Familienleistung" vom sachlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 erfaßt.

Die Klägerin trägt zur Begründung der - vom LSG zugelassenen - Revision vor, die Beschränkung auf inländische Erziehungszeiten stelle nach dem vom Gesetz verfolgten Zweck auch eines Familienlastenausgleichs kein angemessenes Abgrenzungsmerkmal dar; es seien bessere Lösungen denkbar. Die Nichtanrechnung der Kindererziehungszeit im Ausland verstoße auch gegen Art 6 GG. Darüber hinaus werde dadurch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beeinträchtigt (Hinweis auf Art 51 EWG-Vertrag), weshalb das Sozialkommissariat der Europäischen Gemeinschaft bereits mit einem Schreiben vom 30. August 1989 die Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach deutschem Recht als mit dem Europäischen Recht unvereinbar beanstandet und deshalb das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet habe.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 1989 und des Sozialgerichts Aachen vom 8. Juli 1988 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihrer Bescheide vom 6. August 1986 und vom 5. Juni 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1987 zu verurteilen, beim Altersruhegeld zusätzlich Kindererziehungszeiten für die Kinder Claus (geboren am 30. Januar 1949), Heinrich (geboren am 3. November 1950) und Marie (geboren am 20. Juli 1952) zu berücksichtigen, hilfsweise, die Streitsache zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 28a AVG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, weiter hilfsweise, die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie entgegnet, daß die Anknüpfung des Gesetzes an die Inlandserziehung nicht evident unsachlich sei und daher nicht gegen das GG verstoße. Die EWGV 1408/71 beziehe sich nur auf den Erwerb von Leistungsansprüchen und helfe nicht, Versicherungszeiten zu begründen. Die Voraussetzung der Inlandserziehung werde durch EWG- Recht nicht berührt. Die Regelungen des deutsch-belgischen Versicherungsabkommens seien gegenüber der EWGV 1408/71 subsidiär und kämen schon deshalb nicht zur Anwendung.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung der streitigen Kindererziehungszeiten bei ihrem Altersruhegeld.

Rechtsgrundlage der Anerkennung von "Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986" (§ 27 Abs 1 Buchst c AVG) ist § 28a AVG. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift idF des Art 7 Nr 2 Buchst a des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261), rückwirkend in Kraft getreten am 1. Januar 1986 (Art 85 Abs 2 RRG 1992), werden für die Erfüllung der Wartezeit Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Gemäß § 28a Abs 1 Buchst a Satz 1 AVG, eingefügt durch Art 7 Nr 2 Buchst b RRG 1992, steht der Erziehung und dem gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Erziehung und der gewöhnliche Aufenthalt im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze oder in Berlin vor dem 1. Februar 1949 gleich. Dies gilt nicht, wenn Beitragszeiten während desselben Zeitraumes aufgrund einer Versicherungslastregelung mit einem anderen Staat nicht in die Versicherungslast der Bundesrepublik Deutschland fallen würden (Satz 2 aaO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die Klägerin hat ihre drei Kinder in Belgien erzogen.

Auch nach § 28a Abs 3 Satz 1 iVm § 2a Abs 5 Satz 1 und 2 AVG können die streitigen Kindererziehungszeiten nicht angerechnet werden. § 28a Abs 3 Satz 1 AVG bestimmt, daß ua § 2a Abs 5 AVG für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten vor 1986 entsprechend anzuwenden ist. § 2a Abs 5 AVG betrifft in unmittelbarer Anwendung die Pflichtversicherung von Müttern und Vätern wegen der Erziehung von Kindern ab 1. Januar 1986. Nach Abs 5 Satz 1 aaO gelten die Vorschriften über die Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung vor 1986 auch für Mütter und Väter, die ihr Kind in einem Staat außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben, wenn sie wegen einer Beschäftigung oder Tätigkeit in diesem Staat während der Kindererziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz - dem AVG - haben. Abs 5 Satz 2 bestimmt, daß die Regelung des Satzes 1 auch für die Ehegatten der in Satz 1 genannten oder der in § 6 AVG aufgeführten versicherungsfreien oder der von der Versicherungspflicht befreiten Personen gilt. Aus dem vom LSG festgestellten, den Senat bindenden Sachverhalt (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ergibt sich, daß weder die Klägerin noch ihr Ehemann "wegen einer Beschäftigung oder Tätigkeit" in Belgien "während der Kindererziehung oder unmittelbar vor der Geburt" der Kinder Pflichtbeiträge nach dem AVG entrichtet haben. Wie der erkennende Senat hierzu im Urteil vom 12. Juli 1988 - 4/11a RA 36/87 - (BSGE 63, 282, 285 = SozR 2200 § 1251a Nr 2) erläutert hat, setzt § 2a Abs 5 Satz 1 AVG die Entrichtung von Pflichtbeiträgen aufgrund einer der Versicherungspflicht in der deutschen Angestelltenversicherung unterliegenden Beschäftigung oder Tätigkeit im Ausland voraus. Das folgt schon aus dem Wortlaut der Norm, ergibt sich aber auch aus ihrem Zweck und ihrer Stellung im Regelungszusammenhang des § 2a AVG. Danach soll die Pflichtversicherung wegen Kindererziehung ab 1. Januar 1986 eine Lücke beim Aufbau von Rentenanwartschaften schließen, die sich auftut, wenn während und - vom Gesetzgeber vermutet - wegen der Erziehung von Kindern im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes Pflichtbeitragszeiten oder statt dessen bewertete Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten in einem Mindestumfang (§ 32 Abs 6a AVG) nicht erworben worden sind (BT-Drucks 1026/77 S 28; Funke/Francke/Heller, Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, DAngVers 1985, 300 ff, 310). Die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht wegen einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind aber grundsätzlich nur auf Erwerbstätigkeiten im Inland anwendbar, auf solche im Ausland hingegen nur, wenn ein völkerrechtlich zulässiger Anknüpfungstatbestand vorliegt, der bei einer Entsendung aufgrund eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses iS von § 4 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV; sog Ausstrahlung), einer Beschäftigung bei einer amtlichen Vertretung des Bundes iS von § 2 Abs 1 Nr 2 AVG oder einer zeitlich begrenzten Auslandsbeschäftigung iS von § 2 Abs 1 Nr 10 AVG gegeben ist. Für diese Fälle sieht § 2a Abs 5 Satz 1 AVG vom Erfordernis der Inlandserziehung ab, weil auch hier eine ausgleichsbedürftige Einbuße an deutschen Pflichtbeitragszeiten infolge der Kindererziehung droht. Folgerichtig schließt § 2a Abs 5 Satz 3 AVG demgegenüber die Eltern von der Pflichtversicherung wegen Kindererziehung aus, die sich zwar mit ihren Kindern gewöhnlich im Inland aufhalten und sie hier erziehen, aber in ihrer inländischen Beschäftigung oder Tätigkeit den deutschen Bestimmungen über Versicherungspflicht nicht unterliegen. Diese Grundsätze gelten nach § 28a Abs 3 Satz 1 AVG für Versicherungszeiten wegen Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 entsprechend (vgl auch § 32a Abs 5 AVG). Somit ist es unerheblich, daß die Klägerin bis September 1948 im Gebiet der damaligen sowjetischen Besatzungszone eine Beschäftigungszeit zurückgelegt hat, die nach § 15 Abs 1 Satz 1 iVm § 17 Abs 1 Buchstabe a) des Fremdrentengesetzes (FRG) einer nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeit gleichsteht.

AVG und FRG enthalten im Blick auf Fälle der vorliegenden Art keine planwidrige, durch die Rechtsprechung auszufüllende Regelungslücke. Nach dem Konzept des AVG (§§ 2a, 28a, 32 Abs 6a, 32a Abs 5) wird für nach dem 31. Dezember 1985 eintretende Versicherungsfälle der Nachteil beim Aufbau einer Anwartschaft in der deutschen Angestelltenversicherung, den die Beanspruchung durch Kindererziehung - regelmäßig infolge Einschränkung der Möglichkeit, versicherungspflichtig in der deutschen Angestelltenversicherung beschäftigt oder tätig zu sein - typischerweise bewirkt, nur dann ausgeglichen, wenn und soweit während der Zeit der Kindererziehung keine Beitrags-, Ersatz-, Ausfall-oder Zurechnungszeiten zumindest in Höhe des Werts zurückgelegt worden sind, der einem Bruttoarbeitsentgelt von 75 vH des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller rentenversicherten Arbeitnehmer entspricht. Nur wenn und soweit dieser Wert durch Pflichtbeiträge nicht erreicht und die Differenz auch durch freiwillige Beiträge oder beitragslose Versicherungszeiten nicht behoben worden ist, liegt der nach dem Plan des Gesetzes auszugleichende, erziehungsbedingte Nachteil im deutschen Rentenversicherungsschutz vor. Die Nichtberücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung im Ausland, in denen keine Pflichtbeiträge wegen einer nach deutschem Recht rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden sind und die sich auch nicht unmittelbar an solche Pflichtbeitragszeiten anschließen, ist somit nicht planwidrig, sondern entspricht dem Regelungsentwurf des AVG. Für eine richterliche Lückenfüllung oder Rechtsfortbildung läßt das AVG keinen Raum.

§ 28b Abs 1 Satz 1 FRG (idF des Kindererziehungsleistungs-Gesetzes vom 12. Juli 1987 - BGBl I 1585) fügt sich in das Regelungskonzept des AVG ein. Danach stehen bei den in § 1 FRG genannten Personen (anerkannte Vertriebene und ihnen Gleichgestellte) und bei Personen, die ihren persönlichen Aufenthalt im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik hatten, für die Versicherung und die Anrechnung von Versicherungszeiten wegen Erziehung die Erziehung und der gewöhnliche Aufenthalt im jeweiligen Herkunftsgebiet der Erziehung und den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich. Soweit diese Personen nicht im Geltungsbereich des AVG oder im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze Kinder erzogen haben (vgl § 28a AVG), beruht die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten auf dem das FRG tragenden Prinzip der Eingliederung. Es handelt sich mithin um eine Regelung der Auswirkungen des Vertreibungsschicksales in bezug auf den Verlust von Versicherungsanwartschaften und -leistungen.

Der vom LSG festgestellte Sachverhalt bietet sonach keinen Anhalt für die Annahme, daß in bezug auf Aufenthalt und Erziehung der Kinder in Belgien zugunsten der Klägerin der Tatbestand des § 28b Abs 1 Satz 1 FRG erfüllt sein könnte.

Aus über- oder zwischenstaatlichem Recht ergibt sich nichts anderes.

Auf das Allgemeine Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (BGBl II 1963 S 406), nämlich auf die in dessen Art 4 enthaltene Gebietsgleichstellung, kann sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil an die Stelle dieses Regelungskomplexes die EWGV 1408/71 getreten ist (Art 6 Buchst a EWGV 1408/71). Zu den Bestimmungen, die (ausnahmsweise) anwendbar bleiben, gehört Art 4 des Abkommens nicht (vgl Art 7 Abs 2 Buchst c der EWGV 1408/71 iVm Anhang III A Nr 2).

Mit der EWGV 1408/71 läßt sich der geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht begründen. Soweit die Klägerin mit der Revision das Kapitel 7 ("Familienleistungen und -beihilfen", Art 72 ff) anspricht, hat das LSG sinngemäß darauf hingewiesen, daß von der Bundesrepublik Deutschland in der gemäß Art 5 EWGV 1408/71 abgegebenen Erklärung (vgl ABl EG Nr C 107/1 vom 22. April 1987) Kindererziehungszeiten nicht (besonders) genannt sind. Einer näheren Erörterung hierzu bedarf es indessen nicht. Denn jedenfalls läßt sich der in der Revisionsbegründung erwähnte Art 72 aaO auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwenden. Danach berücksichtigt bei den Voraussetzungen für die Gewährung von Familienleistungen und Beihilfen der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig ist, soweit erforderlich, auch Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat, als handelte es sich um Zeiten, die nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.

Auch allgemeine Vorschriften der EWGV 1408/71 helfen nicht weiter. Nach Art 3 Abs 1 aaO haben die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. Es handelt sich hierbei um die Gleichstellung der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Für andere Tatbestände gilt dies nicht; es ist möglich, daß trotz dieser Gleichstellung Tatumstände deswegen keinen Leistungsanspruch begründen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat eingetreten sind (vgl Europäischer Gerichtshof -EuGH-, Urteil vom 9. Juli 1975 - RS 20/75 = EuGHE 1975, 891 = SozR 6050 Art 45 Nr 1, wonach der Arbeitslose nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates hat als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden ist). Ebenso wie es dem innerstaatlichen Recht vorbehalten bleibt, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person in ein bestimmtes System der sozialen Sicherheit einbezogen wird, solange es dabei nicht zu einer Diskriminierung zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten kommt (vgl EuGH, Urteil vom 24. April 1980 - 110/79 = EuGHE 1980, 1445 = SozR 6050 Art 1 Nr 11 mwN), kann es nicht gegen Europarecht verstoßen, wenn das deutsche Gesetz die Anrechnung der Kindererziehungszeit im Grundsatz von einer Inlandserziehung abhängig macht. Der Vorlage an den EuGH bedarf es hiernach und auch mit Blick auf das von der EG-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren nicht; dem vorgelegten Schriftverkehr der Klägerin zufolge sieht die EG-Kommission eine Vertragsverletzung nur in bestimmten (Grenzgänger-) Fällen, nämlich dann, wenn die Erziehende (jeweils) vor und nach dem ersten Lebensjahr des Kindes in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist und lediglich das Erziehungsjahr in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt hat.

Soweit es im vorliegenden Fall für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Gültigkeit der §§ 2a Abs 5 Satz 1 und 2, 28a Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 AVG ankommt (Art 100 Abs 1 Satz 1 GG), bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die den Senat zwängen, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind diese Vorschriften nicht grundgesetzwidrig. Was der Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 12. Juli 1988 (BSGE 63, 282, 290) ausgeführt hat, gilt auch hier: Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 bis 3 GG ist nicht verletzt. Eine Unterscheidung nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Heimat, Herkunft oder Glauben (Art 3 Abs 2 und 3 GG) läßt das Gesetz nicht zu. Es differenziert nicht danach, ob die Versicherten Deutsche, Ausländer oder Verfolgte sind, sondern betrifft alle Versicherten in gleicher Weise. Ausschließliches materielles Differenzierungskriterium für die Anrechnung oder Nichtberücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung (§ 27 Abs 1 Buchst c AVG) im Ausland - außerhalb der Vertreibungsgebiete - ist, ob der erziehende Elternteil oder der Ehegatte zu dem Kreis der Personen zu rechnen war, die während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine angestelltenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit im Ausland ausgeübt und deswegen Pflichtbeitragszeiten nach dem AVG haben oder solche Pflichtbeitragszeiten nur deswegen nicht zurückgelegt haben, weil sie in ihrer dem Grunde nach angestelltenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit waren (§ 2a Abs 5 Satz 1 und 2 AVG).

Dieses Unterscheidungskriterium ist nicht willkürlich iS von Art 3 Abs 1 GG, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Die Vorschrift verbietet dem Gesetzgeber eine objektiv willkürliche Ungleichbehandlung des - trotz gewisser Verschiedenheiten - in den wesentlichen Punkten Gleichen. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden. Er kann grundsätzlich die Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen, die er also als im Rechtssinne "gleich" ansehen will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte evidentermaßen nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt (BVerfG st Rspr, BVerfGE 9, 334, 337; 13, 31, 36; 71, 39, 58; 71, 255, 271). Im Zweifelsfall kommt es darauf an, welche Aufgabe dem Gesetz gestellt war und welcher rechtlichen Mittel es sich bei ihrer Lösung bedient hat (BVerfGE 9, 291, 294; 19, 119, 125). Dabei sind die sozialpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind (BVerfGE 14, 288, 301).

Ziel der Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist es, eine individuelle Einbuße beim Erwerb von Anwartschaften in der deutschen Rentenversicherung während der Erziehung eines Kindes im ersten Lebensjahr bis zu einer bestimmten Obergrenze auszugleichen. Dieser Gesetzeszweck beruht auf der Erwägung, die Beanspruchung durch die Erziehung eines Kindes schränke vor allem die Möglichkeit ein, eine rentenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auszuüben und durch Pflichtbeitragsleistungen eigene Rentenansprüche aufzubauen (BT- Drucks 10/2677 S 28). Das ist keine offensichtlich fehlsame Annahme. Die gesetzliche Abgrenzung des Kreises der im Ausland erziehenden Personen, auf die sie zutrifft, dh das oben genannte materielle Differenzierungskriterium, ist ebenfalls nicht evident unsachlich. Infolge der Belastung mit Kindererziehung konnten nämlich nur Personen an der - vollen - Ausübung einer angestelltenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gehindert gewesen sein, die eine solche verrichtet haben oder sie am Ort der Erziehung hätten fortsetzen können. Der Versicherungspflicht in der deutschen Angestelltenversicherung unterliegen aber grundsätzlich nur Erwerbstätigkeiten, die im Inland ausgeübt werden, und Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (§ 2 AVG, § 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV). Folgerichtig und sachlich einleuchtend wird für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gefordert, daß der Erziehende sich während der Erziehung im Inland gewöhnlich aufgehalten und sein Kind hier erzogen hat. Diese Anknüpfung an Inlandsaufenthalt und Inlandserziehung liegt auch deswegen nahe, weil Pflichtbeiträge als öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben nur in den von der Gebietshoheit des Staates gesetzten Grenzen erhoben und beigetrieben werden dürfen. Nur scheinbar durchbricht § 2a Abs 5 AVG diesen Grundsatz. Soweit danach bei Eltern, die sich gewöhnlich im Ausland aufgehalten und ihr Kind dort erzogen haben, Pflichtbeitragszeiten nach deutschem Rentenversicherungsrecht verlangt werden, knüpft das Gesetz lediglich an die Erstreckung der Versicherungspflicht auf eine im Ausland ausgeübte Erwerbstätigkeit nach § 4 SGB IV und § 2 Abs 1 Nr 2 und Nr 10 AVG an, die zulässig ist, weil ein inländisches oder ein Beschäftigungsverhältnis mit einem deutschen Arbeitgeber zugrundeliegt und jedenfalls ein inländischer Rechtsträger zur Zahlung der Beiträge verpflichtet ist. Soweit ferner auch Pflichtversicherungszeiten nach deutschem Recht "unmittelbar vor der Geburt des Kindes" für die Anrechnung ausreichen, folgt dies unmittelbar aus dem Zweck des Gesetzes, Ausgleich für entgangene Pflichtbeitragszeiten zu gewähren, wenn wegen Kindererziehung eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufgegeben wird. Schließlich sind die Ehegatten solcher Erwerbstätigen in die Anrechnung einbezogen worden, die versicherungsfrei iS von § 6 AVG oder von der Versicherungspflicht befreit (§§ 8, 9 AVG) worden sind und deswegen selbst nach § 8a AVG grundsätzlich nicht der Pflichtversicherung bei Kindererziehung unterliegen. Das rechtfertigt sich - was keiner Darlegung bedarf - schon aus dem Gleichberechtigungsgebot (Art 3 Abs 2 GG) und aus der besonderen Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG), die es nicht gestattet, es dem Erziehenden zum Nachteil gereichen zu lassen, wenn er das Inland verläßt, um mit dem im Ausland erwerbstätigen Ehegatten und dem Kind als Familie zusammenzuleben. Außerdem knüpft das Gesetz auch hier daran an, daß der Ehegatte im Ausland eine in Deutschland dem Grunde nach angestelltenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausübt.

Demgegenüber unterscheidet sich der Sachverhalt, der in der von der Klägerin repräsentierten Fallgruppe vorliegt, mit Blick auf den genannten Gesetzeszweck wesentlich. Die Erwägung, nicht die Erziehung der Kinder, sondern die Integration in ein ausländisches Rechts-, Wirtschafts- und Sozialsystem hätten hier den Aufbau einer deutschen Rentenanwartschaft durch Verrichtung einer angestelltenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit entgegengestanden, ist weder offensichtlich unsachlich, noch widerspricht sie der Wertordnung des GG. Versicherte, die keiner angestelltenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen, sich mit ihren Kindern gewöhnlich im Ausland aufhalten und sie dort erziehen, sind in aller Regel und typischerweise nicht in der Lage, inländische Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer ausländischen Erwerbstätigkeit zurückzulegen. Falls sie ein Beschäftigungsverhältnis eingehen oder eine selbständige Tätigkeit aufnehmen, wird davon nur ihr ausländischer Versicherungsschutz, nicht ihre Anwartschaft in der deutschen Rentenversicherung berührt. Wird aber ihre ausländische Anwartschaft durch Kindererziehung beeinträchtigt, liegt kein Risiko vor, das den Gesetzgeber zwänge, die deutsche Angestelltenversicherung eintreten zu lassen.

Nach alledem konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649567

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