Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Baukindergeld. tarifliche Einkommensteuer tatsächliche Einkommensteuerschuld. Subvention

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung des Jahreseinkommens iS von § 11 BKGG ist dieses um die durch das „Baukindergeld” gemäß § 34f EStG ermäßigte, tatsächlich zu leistende oder geleistete Einkommensteuer zu mindern.

 

Normenkette

BKGG § 10 Abs. 1-3, § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1; BAfög § 21; EStG § 34f

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 31.01.1992; Aktenzeichen L 6 Kg 15/91)

SG Koblenz (Entscheidung vom 18.07.1991; Aktenzeichen S 7 Kg 3/91)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des dem Kläger für das Leistungsjahr 1991 zustehenden Gesamtkindergeldes streitig, das ihm von der Beklagten für seine 1980 und 1983 geborenen Kinder gewährt wurde.

Der Einkommen- und Kirchensteuerbescheid des Klägers und seiner Ehefrau für 1989 vom 5. April 1990 wies einen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 56.025,00 DM aus; die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen betrugen 6.766,00 DM. Die tarifliche Einkommensteuer nach der Splittingtabelle wurde mit 3.706,00 DM errechnet. Nach Abzug der kindbedingten Steuerermäßigung nach § 34 f Einkommensteuergesetz (EStG) – Baukindergeld – von 1.200,00 DM wurde die Einkommensteuer auf 2.506,00 DM und die Kirchensteuer auf 117,54 DM festgesetzt.

Auf dieser Grundlage kürzte die Beklagte den Kindergeldanspruch um 60,00 DM auf den Sockelbetrag von 120,00 DM monatlich.

Widerspruch, Klage und Berufung, womit geltend gemacht wurde, bei der Berechnung des maßgeblichen Jahreseinkommens iS von § 11 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) sei nicht die (um das Baukindergeld gem § 34 f EStG geminderte) tatsächlich festgesetzte, sondern nur die tarifliche Einkommensteuer zu berücksichtigen, blieben erfolglos.

Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe bei der Berechnung der Leistung zu Recht auf das um die tatsächlich zu zahlenden Steuern geminderte Einkommen abgestellt. Die begehrte Berechnung nach der fiktiv zu zahlenden Steuer, dh ohne Berücksichtigung des gem § 34 f EStG gewährten Baukindergeldes, widerspreche sowohl dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG als auch dem Sinngehalt der §§ 10 Abs. 2 und 11 BKGG. Daß nur entsprechend der Absicht des Gesetzgebers die tatsächlich zu leistenden Steuern in Abzug zu bringen seien, ergebe sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des § 11 Abs. 2 BKGG sowie dem Charakter des § 34 f EStG als Subventionsvorschrift. Gegen § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere sei kein Verstoß gegen Art. 3 und 6 Grundgesetz (GG) zu erkennen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision bezieht sich der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen. Zwar spreche der Wortlaut der Norm dafür, daß nur tatsächlich zu leistende Steuern in Abzug zu bringen seien. Der Wortlaut erlaube aber auch eine Auslegung, wonach die fiktiv – ohne Berücksichtigung des gem § 34 f EStG gewährten Baukindergeldes – sich ergebende Steuer abzusetzen sei. Dem Gesetzgeber sei bei der Formulierung der Norm nicht bewußt gewesen, daß es Fälle gebe, in denen gerade das Baukindergeld dafür ausschlaggebend sein könne, daß Kindergeld gemindert werde. Wäre dem Gesetzgeber diese Problematik bekannt gewesen, hätte er eine andere Formulierung gewählt. Eine Rechtslage, wonach die Gewährung der einen Vergünstigung eine andere zum Teil zurücknehme, sei nicht iS des Gesetzgebers. Entgegen der Ansicht des LSG sei eine Anlehnung an den Einkommensbegriff des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG), was zu einem verminderten Kindergeld führe, nicht iS des Gesetzgebers gewesen. § 34 f EStG habe zwar den Charakter einer Subventionsvorschrift. Sie stelle aber keine Art von Verlustausgleich dar. Entgegen der Ansicht des LSG bestünden gegen § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG im Hinblick auf Art. 3 und 6 GG verfassungsrechtliche Bedenken. Zu Unrecht habe das LSG eine Zweckidentität des Kindergeldes und Baukindergeldes angenommen. Ansonsten müßte das Baukindergeld unabhängig von den Einkommensverhältnissen in jedem Fall auf das Kindergeld angerechnet werden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 18. Juli 1991 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1992 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. September 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1990 zu verurteilen, ihm für das Jahr 1991 Kindergeld in Höhe von 180,00 DM monatlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.

Er hat keinen Anspruch auf ein höheres Kindergeld für das Leistungsjahr 1991. Die Beklagte hat das dem Kläger zustehende Kindergeld für das Jahr 1991 richtig berechnet. Sie hat dabei zu Recht auf das um die tatsächlich zu zahlenden Steuern geminderte Einkommen abgestellt.

Grundlage für die Höhe des dem Kläger zu zahlenden Kindergeldes ist § 10 Abs. 2 BKGG. Danach ist das volle Kindergeld für das Jahr 1991 iS des § 10 Abs. 1 BKGG iVm Art. 1 Nr. 4 des Zwölften Änderungsgesetzes zum BKGG vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1294) (50,00 DM + 130,00 DM) stufenweise ua bis auf den Sockelbetrag von 70,00 DM für das zweite Kind zu mindern, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag von wenigstens 480,00 DM übersteigt. Für je 480,00 DM, um die das Jahreseinkommen den Freibetrag übersteigt, wird das Kindergeld um 20,00 DM monatlich gemindert (§ 10 Abs. 2 Satz 4 BKGG).

Der Freibetrag nach § 10 Abs. 2 Satz 3 BKGG beläuft sich im Falle des Klägers für das Jahr 1991 auf 45.000,00 DM. wobei für den Kläger und seine Ehefrau 26.600,00 DM sowie für jedes ihrer zwei Kinder 9.200,00 DM anzusetzen sind. Das dem gegenüberzustellende Jahreseinkommen, das bei der Bemessung des Kindergeldes nach § 10 Abs. 2 BKGG zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus § 11 BKGG. Nach § 11 Abs. 1 BKGG gilt als Jahreseinkommen die Summe der vom Kläger im Jahre 1989 (§ 10 Abs. 3 BKGG) erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs. 1 und 2 EStG. Ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten ist nicht zulässig (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BKGG). Entsprechend den Feststellungen des LSG belief sich dieses Einkommen im maßgebenden Jahr 1989 auf 56.025,00 DM. Davon waren gern § 11 Abs. 2 BKGG die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 6.766,00 DM abzuziehen (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 BKGG). Außerdem waren die Einkommen- und die Kirchensteuer, die für das maßgebliche Jahr 1989 zu leisten waren, abzusetzen (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG). Nach den Feststellungen des LSG betrug die Einkommensteuer 3.706,00 DM. Sie verminderte sich durch das Baukindergeld nach § 34 f EStG (für zwei Kinder) um 1.200,00 DM (§ 34 f Abs. 2 EStG idF des Wohnungseigentumsförderungsgesetzes vom 15. Mai 1986 ≪BStBl 86 I 278≫), so daß im Jahr 1989 die auf 2.506,00 DM Einkommensteuer zu zahlen war. Ferner war die für 1989 erhobene Kirchensteuer in Höhe von 117,54 DM vom Einkommen abzuziehen. Für den Kläger errechnete sich so ein Jahreseinkommen in Höhe von 46.635,46 DM, das den maßgeblichen Freibetrag um 1.635,46 DM überstieg. Dies bedeutet, daß das Kindergeld für das zweite Kind um drei Stufen gem § 10 Abs. 2 Satz 1 BKGG (3 × 480 DM = 1.440,00 DM) auf den Sockelbetrag von 70,00 DM zu mindern war. Dem Kläger stand damit für das Jahr 1991 ein Gesamtkindergeld in Höhe von 120,00 DM pro Monat zu.

Die Beklagte hat bei der Berechnung des für das Jahr 1991 zu zahlenden Kindergeldes zu Recht auf das um die tatsächlich geleisteten Steuern geminderte Einkommen abgestellt. Entgegen der Ansicht des Klägers kann bei der Berechnung seines maßgeblichen Jahreseinkommens die gem § 34 f EStG gewährte Steuerermäßigung, das sog Baukindergeld, nicht unberücksichtigt bleiben.

Denn nicht nur der eindeutige Wortlaut des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG, auch der Sinn dieser Vorschrift, den Effekt der steuerlichen Entlastung um 1.200,00 DM realitätsgemäß bei der Einkommensberechnung zu berücksichtigen, spricht gegen die Rechtsauffassung des Klägers. Demgemäß wird nur die tatsächlich verbliebene Einkommen- und Kirchensteuerschuld abgezogen, die für das maßgebliche Kalenderjahr wirklich zu leisten war oder ist, dh die letztlich für das Einkommen gezahlte oder zu zahlende Steuer und nicht eine nicht vorhandene Steuerschuld (vgl BVerwG, Urteil vom 29. April 1982, ZfS 1982, 307 zur parallelen Vorschrift des § 21 BAföG).

Gestützt wird dieses Ergebnis durch die in der Entstehungsgeschichte des § 11 BKGG zum Ausdruck gekommene Absicht des Gesetzgebers, worauf das LSG zutreffend hinweist. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz (HBeglG) 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1587) wurde die einkommensabhängig gestaffelte Kürzung des Kindergelds vom zweiten Kind an eingeführt. § 11 BKGG, der ua den Begriff des maßgeblichen Jahreseinkommens regelt, sollte sich nach der Begründung zum Entwurf des HBeglG 1983 (BT-Drucks 9/2140, S 86) ausdrücklich an die entsprechende Regelung des § 21 Abs. 1 BAföG idF des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG-ÄndG) vom 13. Juli 1981 (BGBl I 625) anlehnen. Letzterer legt einen einheitlichen Einkommensbegriff für das BAföG fest und bildet die wichtigste Grundlage, um die Leistungsfähigkeit des Einkommensbeziehers zu ermitteln. Nur so kann festgestellt werden, welche Mittel dem Auszubildenden anderweitig zur Verfügung stehen. Der vom Gesetzgeber gewollte grundsätzliche Ausschluß des Verlustausgleichs zwischen verschiedenen Einkommensarten sowie zwischen Ehegatten, und die deshalb durch das 7. BAföG-ÄndG angeordnete Anknüpfung an die Summe der positiven Einkünfte, soll eine wirklichkeitsnähere Erfassung der Leistungsfähigkeit bewirken (Rothe/Blanke, BAföG, Teil 1, 5. Aufl, Stand Mai 94, § 21 RdNr. 2). Diese Neuregelung des Einkommensbegriffes in § 21 Abs. 1 BAföG diente einer doppelten Zielrichtung: Einerseits sollte gewährleistet sein, daß der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens die Feststellungen der Finanzbehörde im Steuerbescheid zugrunde gelegt werden können. Andererseits sollte die Neuregelung die Zahl der Fälle vermindern, in denen über die Besteuerung vorgenommene Subventionierungen auf die Berechnung der Sozialleistung Ausbildungsförderung durchschlagen (Bericht des Bundestags-Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu § 21 BAföG, BT-Drucks 9/603, S 23 zu 2.7).

Wie in § 21 Abs. 1 BAföG so sollte auch im BKGG der durch die Anknüpfung an das Einkommensteuerrecht eintretene Effekt, daß sich über die Besteuerung vorgenommene Subventionierungen auf die Berechnung des Kindergeldes auswirken, durch eine Neudefinition des Einkommensbegriffes verhindert werden. Im Hinblick auf die knapper werdenden Haushaltsmittel wurde es für erforderlich gehalten, beim Kindergeld Einsparungen vorzunehmen (vgl BT-Drucks 9/2140, S 1, 85, 86). § 34 f EStG hat den Charakter einer Subventionsvorschrift (vgl Littmann, Einkommensteuerrecht, Bd. 2, 1985, § 34 f EStG RdNr. 2). Gerade bei einem Abzug des sog Baukindergeldes nach § 34 f EStG, um das die tarifliche Einkommensteuerschuld gemindert wird, vom Einkommen iS des § 11 BKGG würde ein vom Gesetzgeber unerwünschter Effekt erzielt. Denn die zur Förderung des Erwerbs von Wohnungseigentum gewährte Steuerermäßigung des § 34 f EStG würde sich dann – jenseits der wahren Belastung – nochmals auf die Berechnung des Kindergeldes auswirken.

Nach dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes kann der Kläger also nicht verlangen, daß im Rahmen von § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG derjenige fiktive Betrag an Einkommensteuer abgezogen wird, den er ohne die Geltendmachung des Baukindergeldes nach § 34 f EStG hätte zahlen müssen, auch wenn man berücksichtigt, daß die durch die Steuerermäßigung des § 34 f EStG erreichten steuerlichen Vorteile bei der Ermittlung des maßgeblichen Jahreseinkommens des § 11 Abs. 1 BKGG infolge Abzugs von geringeren Steuerbeträgen zu einem Teil wieder verloren gehen. Dieses Ergebnis allein entspricht dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes. Eine dem Kläger günstigere Auslegung ist nicht möglich. Wenn der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG bestimmt, daß nur die Einkommensteuer und Kirchensteuer abgezogen werden kann, die für das maßgebliche Kalenderjahr zu leisten waren oder sind, so ist diese Regelung nicht auf dem Wege gerichtlicher Auslegung zu erweitern.

Entgegen der Ansicht des Klägers enthält § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG auch keine Gesetzeslücke iS einer bewußten oder unbewußten Regelungslücke, die dahin ausgefüllt werden könnte, daß nicht die tatsächliche, sondern die tarifliche Einkommensteuer gemeint sei. Vielmehr ergeben Wortlaut und Entstehungsgeschichte, daß keine „planwidrige Unvollständigkeit” (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373) vorliegt.

Doch selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, daß § 11 BKGG idF des HBeglG 1983 anfangs eine Gesetzeslücke aufwies, weil – wie der Kläger meint – der Gesetzgeber das regelungsbedürftige Problem der Minderung des Kindergeldes durch das Baukindergeld übersehen habe, ist durch die spätere Rechtsentwicklung die Existenz einer Gesetzeslücke widerlegt. Denn bei der parlamentarischen Beratung des Entwurfs des 11. Gesetzes zur Änderung des BKGG hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 1985 (BR-Drucks 615/84 S 4, 5) vorgeschlagen, § 11 BKGG wie folgt zu ändern:

„In § 11 Abs. 2 Satz 1 wird der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 4 angefügt: 4. Die Steuerermäßigung nach § 34 f EStG.”.

Zur Begründung ist ausgeführt, das sog „Baukindergeld” sei nicht in den Freibetrag nach § 10 Abs. 2 Satz 3 BKGG eingearbeitet. Die gezielte Entlastung der Familien durch § 34 f EStG könne durch entsprechende Kürzungen beim Kindergeld verloren gehen, da bei der Jahreseinkommensberechnung nach § 11 BKGG nur die um die Steuerermäßigung nach § 34 f EStG bereits verminderte Einkommensteuer berücksichtigt werde. Dieser Änderungsvorschlag des Bundesrates fand im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens keine Berücksichtigung, weil keine Möglichkeit gesehen wurde, ein derartiges Vorhaben zu verwirklichen (vgl BR-Drucks 241/1/85 vom 3. Juni 1985, S 2). Angesichts dieser ausdrücklichen Behandlung des Problems des Baukindergeldes im Gesetzgebungsverfahren kann jedenfalls seit dem 11. Gesetz zur Änderung des BKGG vom 27. Juni 1985 (BGBl I S 1251) nicht mehr von einer verdeckten Lücke in § 11 BKGG ausgegangen werden.

Die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Verfassungsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieser Grundsatz vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154; 75, 382, 393; 79, 106, 121).

Entgegen der Meinung des Klägers ist die Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG nicht insoweit verfassungswidrig, als die tatsächlich zu leistende Steuer vom Einkommen abgezogen wird und nicht derjenige (fiktive) Betrag der Einkommensteuer, der ohne Berücksichtigung des gemäß § 34f EStG gewährten Baukindergeldes hätte gezahlt werden müssen.

Zwar führt die Anwendung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG dazu, daß die durch den Abzug des Baukindergeldes gemäß § 34f EStG erreichten steuerlichen Vorteile bei der Ermittlung des Jahreseinkommens iS von § 11 BKGG infolge des Abzugs von geringeren Steuerbeträgen zu einem Teil wieder verloren gehen. Dieses Ergebnis verletzt kein Verfassungsrecht. Insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen Art. 3 oder 6 GG.

Es liegt darin ferner kein Verstoß gegen das Prinzip der Systemgerechtigkeit (Mangoldt/Klein/Starck, Das Grundgesetz, Art. 3 RdNr. 34; Bonner Komm – Rüfner, Art. 3 RdNr. 32). Denn eine Systemwidrigkeit, eine Abweichung von dem vom Gesetzgeber gewählten Regelungssystem, liegt nicht vor. Die Abweichung ist sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber wollte im Hinblick auf die knapper zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel mit der Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG verhindern, daß sich eine bereits über die Besteuerung erfolgte Subventionierung weiter auf die Berechnung des Kindergeldes auswirke. Im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums erscheint die Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG unter keinem Gesichtspunkt willkürlich, so daß von einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung keine Rede sein kann. Anderenfalls würde außerdem der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, innerhalb dessen eine sozial ausgewogenen Haushaltssanierung betrieben werden kann, in unvertretbarer Weise eingeengt (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Beschluß vom 15. September 1986 – 1 BvR 363/86 – FamRZ 1987, 901).

Das BVerfG hat es grundsätzlich für sachlich gerechtfertigt gehalten (BVerfGE 82, 60, 99), fiktive Verluste, die sich aus der Auswirkung der über die Besteuerung vorgenommenen Subventionierung ergeben, bei der Sozialleistung nicht auszugleichen. Denn die für den Lebensstandard der Familie maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse würden durch solche Verluste, deren steuerliche Anerkennung eine Subvention darstellt, nicht beeinträchtigt. Die Kindergeldberechtigten, deren Einkommen aufgrund von steuerlichen Förderungstatbeständen und Subventionsregelungen lediglich rechnerisch, nicht jedoch effektiv, gemindert ist, seien unter sozialen Gesichtspunkten nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie Berechtigte, die tatsächlich nur entsprechend geringere Einkünfte erzielt haben und denen daher die Mittel in Höhe des fiktiven Verlustes nicht zur Verfügung stehen (BVerfGE 82, 60, 99). Durfte danach der Gesetzgeber nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 BKGG den Verlust als solchen unberücksichtigt lassen, dann war er auch nicht verpflichtet, die auf diesen Verlust entfallende fiktive Steuer zum Abzug von den Einkünften zuzulassen. Diese Steuerbelastung ist den betroffenen Kindergeldberechtigten tatsächlich nicht entstanden und kann daher ihre soziale Bedürftigkeit nicht beeinträchtigen (BVerfGE 82, 60, 104).

Die Entscheidung des erkennenden Senats verletzt nicht das aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Verbot, Kinderlose gegenüber Personen mit Kindern zu bevorzugen. Abgesehen davon, daß es Baukindergeld iS des § 34 f EStG für Kinderlose nicht gibt, wäre der Kläger gegenüber sog Kinderlosen trotz der Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG noch besser gestellt, weil ihm bei Berücksichtigung der Steuerermäßigung von 1.200,00 DM bei einer Kürzung des Kindergeldes um jährlich 720,00 DM noch ein Vorteil von 480,00 DM verbliebe.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 82, 60) kann sich zwar eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergeben. Sie kann grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob durch das Zusammenwirken von §§ 11 Abs. 2 Nr. 1, 10 Abs. 2 BKGG und der maßgeblichen Bestimmungen des EStG das steuerlich zu schonende Existenzminimum beschnitten werden könnte. Denn beim Kläger liegt auch bei Berücksichtigung seiner vierköpfigen Familie jedenfalls im Hinblick auf den Gesamtbetrag der Einkünfte von 56.025,00 DM und der daraus resultierenden Einkommensteuer von 2.506,00 DM bei der Höhe des verbleibenden Familieneinkommens nach jeder Berechnungsweise (vgl BVerfGE 87, 153, 174) noch kein Verstoß gegen die Steuerfreiheit des Existenzminimus vor. Zu einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG besteht daher kein Anlaß. Im übrigen bleiben die vom BVerfG im oa Beschluß vom 25. September 1992 als verfassungswidrig erkannten Regelungen des EStG mit Wirkung bis zum 31. Dezember 1996 anwendbar (BVerfGE 87, 153).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1995, 3205

NVwZ 1996, 207

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