Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedürfnisprüfung. Befugnis. Fortsetzungsfeststellungsklage. Zuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Ermächtigung eines Krankenhausarztes zur Erbringung von Leistungen der Früherkennung von Krankheiten sind die Zulassungsgremien und nicht die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig.

 

Normenkette

SGB V §§ 96-98, 116; Ärzte-ZV §§ 31, 31a; BMV-Ä § 5

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Urteil vom 20.01.1993; Aktenzeichen S 15 Ka 1117/92)

LSG Baden-Württemberg

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 1993 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Ermächtigung des Beigeladenen zu 1., eines Arztes für Gynäkologie und Geburtshilfe und leitenden Krankenhausarztes, zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen.

Der beklagte Berufungsausschuß ergänzte die dem Beigeladenen zu 1. erteilte und bis zum 30. September 1993 befristete Katalogermächtigung auf dessen Widerspruch hin wie folgt: “5. Durchführung von Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten bei der Frau” (Beschluß vom 15. Januar 1992 – Bescheid ohne Datum).

Der hiergegen von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart stattgegeben (Urteil vom 20. Januar 1993). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Beschluß sei, soweit er den Beigeladenen zu 1. zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen ermächtige, rechtswidrig; denn nicht der Beklagte, sondern die KÄV sei für die Erteilung der Ermächtigung zuständig. Rechtsgrundlage hierfür sei § 31 Abs 2 der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) iVm § 5 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) in der ab 1. Oktober 1990 geltenden Fassung. § 5 Abs 3 BMV-Ä, auf den sich die Befugnis zur Erteilung von Ermächtigungen zur Früherkennung gründe, setze eine Bedürfnisprüfung voraus. Damit stehe die Vorschrift in engem Zusammenhang mit § 5 Abs 1 BMV-Ä, der für die von den KÄVen zu erteilende Ermächtigung ebenfalls das Vorliegen eines Bedürfnisses fordere, im Gegensatz zur Regelung des § 5 Abs 2 BMV-Ä, bei dem gerade keine Bedürfnisprüfung verlangt werde. § 5 Abs 3 BMV-Ä könne sich daher nur auf die Regelung des Abs 1 beziehen, so daß für die Erteilung der Ermächtigung zur Früherkennung nur die KÄVen, nicht aber die Zulassungsinstanzen zuständig seien.

Mit der vom SG zugelassenen (Sprung-)Revision rügt der Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Nach § 98 Abs 2 Nr 11 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) müßten die Zulassungsverordnungen Vorschriften über die Voraussetzungen enthalten, unter denen Ärzte, insbesondere in Krankenhäusern und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, oder in besonderen Fällen ärztlich geleitete Einrichtungen durch die Zulassungsausschüsse zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung ermächtigt werden könnten. Dem entspreche die Bestimmung des § 31 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 5 Abs 3 BMV-Ä, die über die Regelung des § 31 Abs 1 Ärzte-ZV hinausgehend Ermächtigungen zur Erbringung bestimmter ärztlicher Leistungen vorsehe. Dies gelte jedoch nur für die Bedürfnisprüfung als solche, betreffe aber nicht die Frage, wer diese vorzunehmen habe. Insoweit verweise § 31 Abs 2 Ärzte-ZV auf Abs 1 der Vorschrift, so daß es bei der Zuständigkeit der Zulassungsgremien verbleibe. Dies entspreche auch der Systematik der § 95 Abs 4, §§ 96, 98 Abs 2 Nr 11 und § 116 SGB V, wonach die Ermächtigung von Krankenhausärzten zur Teilnahme an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung grundsätzlich durch den Zulassungsausschuß erteilt werde. Die vom SG vorgenommene Interpretation des § 5 Abs 3 und Abs 1 BMV-Ä sei im übrigen nicht ermächtigungskonform. Es sei mit § 98 Abs 2 Nr 11 SGB V unvereinbar, wenn § 5 Abs 3 BMV-Ä die Zuständigkeit des Zulassungsausschusses hätte ausschließen wollen. Im übrigen sei davon auszugehen, daß ein berechtigtes Interesse der Klägerin an einer Fortsetzungsfeststellungsklage bestehe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, daß der Beschluß des Beklagten vom 15. Januar 1992 rechtswidrig war.

Sie trägt vor, zwar habe sich der angegriffene Verwaltungsakt durch Zeitablauf erledigt. Der Klageantrag werde jedoch auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt; denn sie habe an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ein berechtigtes Interesse. Der Beigeladene zu 1. habe die Fortführung seiner Ermächtigung zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen beantragt. Das Verfahren sei derzeit vor dem Berufungsausschuß anhängig. Demnach bestehe in absehbarer Zeit die konkrete Gefahr, daß der Beklagte den Beigeladenen zu 1. erneut auf der Grundlage des § 5 Abs 3 BMV-Ä ermächtige. Hinsichtlich der Revision des Beklagten sehe sie, die Klägerin, von einer Antragstellung ab. Auch nach ihrer Ansicht ergebe sich aus § 31 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 5 BMV-Ä nicht zwingend, daß die Zulassungsgremien nicht dazu befugt seien, § 5 Abs 3 BMV-Ä anzuwenden.

Der Beigeladene zu 4. beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er schließt sich, ebenso wie die Beigeladene zu 2., dem Vorbringen des Beklagten an.

Die übrigen Beteiligten haben sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist iS der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache begründet.

Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig. Unschädlich ist, daß der die Sprungrevision zulassende Beschluß des SG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ergangen ist. Auch die verfahrensfehlerhaft beschlossene nachträgliche Zulassung der Sprungrevision nur durch den Kammervorsitzenden des SG bindet das Bundessozialgericht (BSG – Großer Senat vom 18. November 1980 – BSGE 51, 23, 28 ff = SozR 1500 § 161 Nr 27).

Die Klägerin ist in der Revisionsinstanz von der Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen. Diese ist zulässig. Der ursprüngliche prozessuale Anspruch, der auf Aufhebung der dem Beigeladenen zu 1. bis zum 30. September 1993 befristeten Ermächtigung zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen gerichtet war, hat sich während des Revisionsverfahrens durch Zeitablauf erledigt. Damit ist auch das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage entfallen.

Hat sich der angefochtene Verwaltungsakt erledigt, spricht das Gericht nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG auf Antrag aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig war, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt erst im Revisionsverfahren erledigt hat, weil auch dies das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage entfallen läßt (vgl BSG, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 14a RKa 1/93 = SozR 3-1500 § 88 Nr 1). Unerheblich ist für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage, ob der Kläger Revisionskläger oder – wie hier – Revisionsbeklagte(r) ist.

Die Klägerin hat an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des vom Beklagten erlassenen Bescheides vom 15. Januar 1992, soweit er die Ermächtigung des Beigeladenen zu 1. zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen betrifft, ein berechtigtes Interesse. Es folgt aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr. Darunter ist die hinreichend bestimmte Gefahr für die Klägerin zu verstehen, daß der Beklagte unter im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen einen gleichartigen Verwaltungsakt wie den erledigten erlassen wird. Die Wiederholungsgefahr ist hier schon deshalb zu bejahen, weil der Beigeladene zu 1. für die Zeit ab 1. Oktober 1993 wiederum die Ermächtigung zur Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen bei der Frau begehrt und das entsprechende Verwaltungsverfahren bei dem Beklagten anhängig ist.

In der Sache hat der Beklagte zu Recht über die Erteilung der streitigen Ermächtigung entschieden. Der entgegenstehenden Auffassung des SG ist nicht zu folgen.

Rechtsgrundlage für die Ermächtigung des Beigeladenen zu 1. ist § 116 SGB V iVm § 31a Abs 1 Ärzte-ZV, beide idF des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266), das gegenüber den zuvor gültig gewesenen Fassungen durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) inhaltlich jedoch keine Änderung gebracht hat (vgl zur Berücksichtigung nachfolgender Rechts- oder Sachverhaltsänderungen bei reinen Anfechtungsklagen zuletzt: Urteil des Senats vom 22. Juni 1994 – 6 RKa 34/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Nach diesen Vorschriften ist ein Krankenhausarzt mit abgeschlossener Weiterbildung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten zu ermächtigen, soweit und solange ohne diese Ermächtigung eine Versorgungslücke besteht. Zuständig für die Erteilung der Ermächtigung ist gem § 116 Satz 1 SGB V, § 31a Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV der Zulassungsausschuß (§ 96 SGB V). Aus § 5 Abs 3 BMV-Ä läßt sich für Früherkennungsuntersuchungen und Mutterschaftsvorsorgeleistungen Gegenteiliges nicht herleiten.

Die in § 5 BMV-Ä enthaltenen Berechtigungen bzw Regelungen beziehen sich auf verschiedene Verwaltungsträger. § 5 Abs 1 BMV-Ä wendet sich ausdrücklich an die KÄVen, Abs 2 der Vorschrift ausdrücklich an die Zulassungsinstanzen. Abs 3 der Vorschrift enthält eine derartige Zuordnung nicht. In dieser Regelung, die nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (s Urteil des Senats vom heutigen Tage – 6 RKa 22/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), ist bestimmt, daß bei der Prüfung des Bedürfnisses für die Ermächtigung zur Erbringung von Leistungen der Mutterschaftsvorsorge und Früherkennung von Krankheiten zu berücksichtigen ist, ob und inwieweit durch eine Ermächtigung eines Arztes, der in die Behandlung der Versicherten einbezogen ist, die Inanspruchnahme dieser Untersuchungen gefördert wird.

Der genannten Vorschrift ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß die KÄVen für die Erteilung von Ermächtigungen zu Früherkennungsuntersuchungen zuständig sein sollen. Diese Annahme kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch nicht auf einen Zusammenhang des § 5 Abs 3 BMV-Ä mit Abs 1 der Regelung gestützt werden. Nach der letztgenannten Vorschrift können die KÄVen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen über die Ermächtigungstatbestände des § 31 Abs 1 Ärzte-ZV hinaus gemäß § 31 Abs 2 Ärzte-ZV geeignete Ärzte und in Ausnahmefällen ärztlich geleitete Einrichtungen zur Durchführung bestimmter, in einem Leistungskatalog definierter Leistungen auf der Grundlage des BMÄ ermächtigen, wenn dies zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung erforderlich ist. Zwar setzt die Ermächtigung nach Abs 1 das Vorliegen eines Bedürfnisses voraus, und Abs 3 aaO bezieht sich ebenfalls auf die Bedürfnisprüfung, die für die Ermächtigung zu Früherkennungsuntersuchungen vorzunehmen ist. Allein der Umstand, daß in beiden Regelungen die Bedürfnisprüfung angesprochen wird, vermag jedoch eine Zuständigkeit der KÄVen nicht zu begründen.

Vielmehr sprechen sowohl der Sachzusammenhang zwischen § 5 Abs 2 und Abs 3 BMV-Ä, der Regelungscharakter der Vorschrift und ihre ermächtigungskonforme systematische Einordnung dafür, daß die Erteilung der Ermächtigung zu Früherkennungsuntersuchungen in der Zuständigkeit der Zulassungsgremien verbleiben soll.

§ 5 Abs 3 BMV-Ä steht im engen sachlichen Zusammenhang mit § 5 Abs 2 BMV-Ä, in dem festgelegt ist, daß die Zulassungsausschüsse – nicht die KÄVen – Ermächtigungen ohne Prüfung eines Bedürfnisses für die zytologischen Untersuchungen von Krebserkrankungen und für ambulante Untersuchungen und Beratungen zur Planung der Geburtsleitung gemäß den Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen erteilen können. Indem er sich ebenfalls auf die Prüfung des Bedürfnisses bezieht, schließt § 5 Abs 3 BMV-Ä logisch an den vorhergehenden Absatz der Norm an, so daß unter diesem Blickwinkel in Abs 3 aaO nur die Prüfung des Bedürfnisses durch die Zulassungsausschüsse gemeint sein kann.

Der Regelungscharakter der Vorschrift läßt ebenfalls allein den Schluß zu, daß sie sich an die Zulassungsausschüsse wendet. § 5 Abs 3 BMV-Ä begründet nämlich nicht die Befugnis zur Erteilung von Ermächtigungen für Früherkennungsuntersuchungen. Die Norm bezieht sich, wie ihr Wortlaut aufzeigt, auf die Bedürfnisprüfung und damit lediglich auf eine Tatbestandsvoraussetzung, die für die Erteilung von Ermächtigungen erfüllt sein muß. Sie schafft mithin keinen eigenständigen Ermächtigungstatbestand, sondern enthält lediglich einen Maßstab für die Ausübung des Beurteilungsspielraums bei der Prüfung des Bedürfnisses. Da es schon an einem eigenständigen Tatbestand für die Ermächtigung zu Früherkennungsuntersuchungen fehlt, kann aus § 5 Abs 3 BMV-Ä nicht geschlossen werden, daß darin die Befugnis zu Ermächtigungen auf die KÄVen übertragen worden ist.

Da mithin § 5 Abs 3 BMV-Ä keine spezielle Zuständigkeitsregelung trifft, verbleibt es bei der Zuständigkeit der Verwaltungsinstanzen, die im Regelfall für die Erteilung von Ermächtigungen zuständig ist. Dies sind nach der Systematik des Zulassungs- und Ermächtigungsrechts die Zulassungsgremien (§§ 96, 97 SGB V).

Nach allem war auf die Revision des Beklagten die Entscheidung des SG aufzuheben. Da – auf der Grundlage der vorinstanzlichen Auffassung zu Recht – eine inhaltliche Prüfung der streitigen Ermächtigung des Beigeladenen noch nicht erfolgt ist, hat der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen (§ 170 Abs 2 Satz 2, Abs 4 SGG). Bei der erneuten Entscheidung, in der auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein wird, wird das LSG das Urteil des Senats vom heutigen Tage – 6 RKa 22/93 –, in dem er sich zu den inhaltlichen Voraussetzungen des § 5 Abs 3 BMV-Ä geäußert hat, zu berücksichtigen haben.

 

Fundstellen

Breith. 1995, 305

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