Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld. Ausländer. Asylberechtigter. Urteil. Rechtskraft. Verfassungsmäßigkeit. Aufenthaltserlaubnis. Aufenthaltstitel. FlüAbk Art. 24. Abtreibung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erziehungsgeld für nach dem 30. Juni 1989 geborene Kinder steht auch anerkannten Asylberechtigten nur zu, wenn diese einen der in § 1 BErzGG für Ausländer geforderten Aufenthaltstitel besitzen.

2. Ein rechtskräftiges Urteil auf Anerkennung der Asylberechtigung steht in § 1 BErzGG genannten Aufenthaltstiteln nicht gleich (Festhaltung an BSGE 70, 197 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7).

 

Normenkette

BErzGG § 1; GG Art. 16, 16a

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 24.05.1994; Aktenzeichen L 3 Eg 3/94)

SG Hannover (Gerichtsbescheid vom 07.01.1994; Aktenzeichen S 20 Eg 9/93)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1994 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 7. Januar 1994 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige und lebt seit Dezember 1989 im Geltungsbereich des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG). Sie wurde durch Verwaltungsgerichtsurteil vom 30. März 1992, das seit dem 16. Juni 1992 rechtskräftig ist, als asylberechtigt anerkannt. Die Aufenthaltserlaubnis wurde ihr am 7. Januar 1993 erteilt. Der Beklagte bewilligte ihr Erziehungsgeld (Erzg) für ihr am 27. Mai 1992 geborenes Kind für die Zeit ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Erzg für die Zeit vom 27. Mai 1992 bis zum 6. Januar 1993 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1. Januar 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten unter Zurückweisung der Berufung im übrigen verurteilt, Erzg ab 16. Juni 1992 zu gewähren (Urteil vom 24. Mai 1994). Es ist dabei von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen, daß Ausländern auch bei ihrer Anerkennung als asylberechtigt Erzg erst für die Zeit nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zusteht, und hat deswegen die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Auf die Revision des Beklagten war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen. Das LSG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, Erzg auch für die Zeit vom 16. Juni 1992 bis zum 6. Januar 1993 zu gewähren. Der Beklagte hat diese Leistung zu Recht erst für die Zeit ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 7. Januar 1993 bewilligt.

Bei der Geburt des Kindes am 27. Mai 1992 richtete sich der Anspruch auf Erzg nach dem BErzGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1992 (BGBl 1, 68). Der Anspruch für die streitige Zeit scheitert nach § 1 Abs. 1 S 2 BErzGG daran, daß dem hiernach erforderlichen Aufenthaltstitel die rechtskräftige Anerkennung als asylberechtigt entgegen der Auffassung des LSG nicht gleichgestellt werden kann. Maßgebend ist § 1 Abs. 1 S 2 BErzGG idF des Art. 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354), die mit Wirkung vom 1. Januar 1991 anzuwenden ist (Art. 15 Abs. 2 AuslRNG).

Das für Ausländer geltende Erfordernis bestimmter Aufenthaltstitel wurde in das BErzGG erstmals durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften (BErzGGuaÄndG) vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1297) eingefügt und durch das AuslRNG ohne inhaltliche Änderung lediglich an die neuen Bezeichnungen der Aufenthaltstitel angeglichen. Der Anspruch eines Ausländers auf Erzg setzt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 idF des BErzGGuaÄndG neben dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes ua voraus, daß er „im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist” (Satz 2 des § 1 Abs. 1 BErzGG). Die Vorschrift lautet in der hier anzuwendenden Fassung durch das AuslRNG: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist”. Diese Fassung blieb für den streitigen Zeitraum bis zum 6. Januar 1993 bestehen. Durch Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte – Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I, 944) wurde zwar die Regelung des § 1 Abs. 1 S 2 BErzGG neugefaßt, aber erst mit Wirkung vom 27. Juni 1993 (a.a.O. Art. 43 Abs. 1: Tag nach der Verkündung) und damit ohne Auswirkung auf den streitigen Anspruchszeitraum vom 16. Juni 1992 bis zum 6. Januar 1993.

Während in der Zeit bis zum Inkrafttreten des BErzGGuaÄndG am 1. Juli 1989 eine nachträgliche Anerkennung als Asylberechtigter nach der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung des 4. Senats und des nunmehr für diese Angelegenheiten allein zuständigen erkennenden Senats den Anspruch auf Erzg rückwirkend begründen konnte (vgl BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr. 7; BSGE 70, 197, 199 = SozR 3–7833 § 1 Nr. 7), gilt das seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. Seit dem 1. Juli 1989 haben alle Ausländer, und damit auch solche, die später als asylberechtigt anerkannt werden, nur dann Anspruch auf Erzg, wenn sie im fraglichen Leistungszeitraum eine Aufenthaltsberechtigung oder eine nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilte (sog zweckgebundene) Aufenthaltserlaubnis besitzen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt: Urteil vom 9. Februar 1994 – 14/14b REg 10/93 – nicht veröffentlicht und BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 12 mwN und Nr. 10). Die gegen die letztgenannte Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos (BVerfG vom 2. Mai 1994 – 1 BvR 1913/92 –).

Das LSG folgt zwar der Rechtsprechung des Senats, daß das gesetzliche Erfordernis bestimmter Aufenthaltstitel auch für Asylbewerber gilt, die später als Asylberechtigte anerkannt werden, meint aber, daß bei dieser Gruppe die rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung der Behörde zur Anerkennung der Asylberechtigung den im Gesetz geforderten Aufenthaltstiteln entgegen der Rechtsprechung des Senats gleichstehe. Eine solche Auslegung entspreche Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über den Aufenthaltstitel. Würde die Behörde zur Anerkennung rechtskräftig verpflichtet, so würde der Aufenthaltstitel in aller Regel später erteilt und ein weiteres verfahrensverzögerndes Abwarten sei nicht erforderlich.

Bei einer unanfechtbaren Anerkennung als asylberechtigt ist zwar auch nach Auffassung des Senats (vgl BSG Urteil vom 9. Februar 1994 – 14/14b REg 11/93 –, nicht veröffentlicht) die Erteilung der dauerhaften Aufenthaltserlaubnis in aller Regel gesichert, weil diese nur dann versagt werden darf, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist (§ 68 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz ≪AsylVfG≫). Der Gesetzgeber hat sich aber aus Gründen der Rechtsklarheit und zur Vermeidung von Streitigkeiten darüber, wie gesichert im Einzelfall der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis ist, dafür entschieden, auf die tatsächliche Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abzustellen. Die dadurch eintretenden unvermeidlichen Verzögerungen und auch Härten (vgl dazu BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 10) hat er – ohne daß dies verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre – in Kauf genommen. Dem ist hinzuzufügen, daß die Aufzählung bestimmter, im Ausländerrecht vorgesehener Aufenthaltstitel, die an eine Änderung der ausländerrechtlichen Bezeichnung dieser Aufenthaltstitel angepaßt wurde, nur im Wege einer lückenfüllenden Auslegung um den Titel der rechtskräftigen Verurteilung zur Anerkennung als asylberechtigt ergänzt werden könnte. Um eine solche an das Vorliegen einer unbeabsichtigten Gesetzeslücke gebundene Auslegung handelt es sich auch dann, wenn das vom LSG gefundene Auslegungsergebnis dahin umschrieben wird, daß von dem auch nach Auffassung des LSG für alle Ausländer geltenden Erfordernis des Aufenthaltstitels zwar nicht für alle Asylberechtigten, wohl aber für die anerkannten Asylberechtigten für die Zeit nach ihrer Anerkennung eine Ausnahme gelte.

Nur wenn eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke vorliegt, könnten zu deren Ausfüllung die vom LSG angesprochenen rechtspolitischen Erwägungen zur Zweckmäßigkeit einer Ausnahme vom Erfordernis bestimmter Aufenthaltstitel herangezogen werden, oder wenn diesen Erwägungen zu entnehmen wäre, daß eine solche Regelung verfassungsrechtlich geboten wäre. Beides ist zu verneinen. Für die Annahme, daß der Gesetzgeber die Gruppe der anerkannten Asylberechtigten übersehen haben könnte, gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Auch kann nicht übersehen worden sein, daß die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis der Anerkennung als asylberechtigt regelmäßig nachfolgt und daß der Zeitabstand zwischen Anerkennung und Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Ansehung der Erzg-Bezugszeit, die anfangs nur 10 Monate betrug (§ 4 BErzGG vom 6. Dezember 1985 ≪BGBl I 2154≫), nicht unerheblich ist. Zudem bestätigt die spätere Gesetzgebung, daß die Gruppe der anerkannten Asylberechtigten nicht übersehen wurde, beziehungsweise daß der Gesetzgeber für diese Gruppe keine Ausnahme vom Erfordernis des Aufenthaltstitels machen will.

Der Gesetzgeber war nach Erlaß der Entscheidung des Senats vom 24. März 1992 (BSGE 70, 197) verschiedentlich mit dem Problem des Aufenthaltstitels als Voraussetzung einer Sozialleistung befaßt. Wenn die Rechtsprechung zur leistungsrechtlichen Folge einer späteren Anerkennung als asylberechtigt seinen Vorstellungen zuwider liefe, hätte er dies in der Fassung der Änderungsgesetze oder in der jeweils gegebenen amtlichen Begründung zum Ausdruck gebracht. Durch Art IV Nr. 1 FKPG wurde § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG gestrichen. Die in ihm enthaltene Regelung wurde in § 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG übernommen, wobei als Aufenthaltstitel nur noch die Aufenthaltsberechtigung und die Aufenthaltserlaubnis genannt sind, die Aufenthaltsbefugnis also nicht mehr ausreicht. Damit sollte der Anspruch auf Ausländer begrenzt werden, von denen zu erwarten ist, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; das ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers allein bei denjenigen der Fall, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind (BT-Drucks 12/4401 S 74). Es findet sich kein Hinweis, daß dies für später als asylberechtigt anerkannte Ausländer nicht gelten soll.

Im Kindergeldrecht hatte der Gesetzgeber zunächst eine vom BErzGG abweichende Lösung gefunden. Nach § 1 Abs. 3 BKGG, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (12. BKGGÄndG) vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1294), hatten Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn ihre Abschiebung auf unbestimmte Zeit unzulässig ist oder wenn sie auf Grund landesrechtlicher Verwaltungsvorschriften auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr. Diese erst in der Ausschußberatung eingefügte Vorschrift soll klarstellen, daß Ausländer ohne rechtlich gesicherten Aufenthalt erst für die Zeit nach Ablauf eines Aufenthaltsjahrs einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen können (BT-Drucks 11/4765 S 5). Nach der Rechtsprechung des 10. Senats des BSG begründet die spätere Anerkennung als Asylberechtigter keinen rückwirkenden Anspruch auf Kindergeld; anerkannte Asylberechtigte können eine Nachzahlung von Sozialleistungen, die ihnen bei einer sofortigen Anerkennung zugestanden hätten, nur verlangen, soweit das in dem jeweils maßgebenden Leistungsgesetz vorgesehen ist (BSG SozR 3–1300 § 34 Nr. 2).

Inzwischen hat der Gesetzgeber durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353; 1994, 72) die Regelung im Kindergeldrecht (§ 1 Abs. 3 BKGG) an die des BErzGG in Kenntnis der zum BErzGG ergangenen Rechtsprechung angeglichen. Mit dieser Regelung sollte der Kindergeldanspruch auf die Ausländer begrenzt werden, von denen zu erwarten ist, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; das sei allein bei denjenigen der Fall, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind (BT-Drucks 12/5502 S 44 zu Art. 5, zu Nummer 1).

Mit dem Zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2374) wurde in § 1 Unterhaltsvorschußgesetz (UhVorschG) vom 4. Januar 1993 (BGBl I 38) als Absatz 2a die Regelung eingefügt, daß ein Ausländer einen Anspruch nach diesem Gesetz nur hat, wenn er oder der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichnete Elternteil im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Das entspricht nach der amtlichen Begründung der in Art. 5 Nr. 11 1. SKWPG vorgesehenen Änderung des BKGG sowie einer entsprechenden, seit dem 1. Juli 1993 geltenden Regelung des BErzGG (BT-Drucks 12/5510 S 13).

Hätte der Gesetzgeber die zunächst im BErzGG verwandte Formulierung hinsichtlich der Asylberechtigten als lückenhaft angesehen und hätte er diese Lücke nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG schließen wollen, so hätte er dies bei den späteren Änderungen im Gesetzeswortlaut oder zumindest in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht.

Die damit vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung verstößt nicht gegen Art. 24 der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FlüAbk) vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953, 559). Ob das Erzg zur Sozialen Sicherheit iS von Art. 24 Abs. 1 Buchst b FlüAbk gehört, kann offen bleiben. Art. 24 läßt, wie vom Senat schon ausgeführt (BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 7) besondere Bestimmungen unberührt, die nach dem im Aufenthaltsland geltenden Recht vorgeschrieben sind und Leistungen betreffen, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden, wie das beim Erzg der Fall ist. Die Revision meint, das Erzg müsse im Zusammenhang mit der Abtreibungsproblematik als eine auch ordnungspolitisch zu bewertende Maßnahme gesehen werden. Darauf kommt es indes nach Art. 24 FlüAbk schon nach dessen Wortlaut nicht an.

Die Revision beruft sich ferner auf Art. 16 der Sozialcharta. Dieser verpflichtet indes lediglich die vertragsschließenden Staaten, gewährt den Bürgern aber keine Individualansprüche, wie vom Senat bereits entschieden (SozR 3–6935 Allg Nr. 1) unter Hinweis auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1992 – zum Landeserziehungsgeld (BVerwGE 91, 327 ff = DVBl 1993, 787), mit der die von der Revision für ihre gegenteilige Auffassung angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. März 1992 – 10 S 1666/90 – (NVwZ-RR 1993, 83) aufgehoben wurde.

Die Regelung ist auch nicht verfassungswidrig. Es verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Asyl (Art. 16 Grundgesetz ≪GG≫ aF, Art. 16a GG), daß auch durch rechtskräftiges Urteil anerkannte Asylberechtigte einer Aufenthaltserlaubnis bedürfen, und daß dies auch in Ansehung des Erzg gilt. Insoweit könnte es zwar gegen das Asylgrundrecht verstoßen, wenn der Staat für die Anerkennung als asylberechtigt und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nur ungenügende Verwaltungs- und Gerichtskapazitäten zur Verfügung stellen würde. Die Anstrengungen des Staates, trotz der hohen Zahl der Asylbewerber eine angemessene Verfahrensdauer zu erreichen, sind jedenfalls so groß, daß sie einen Verfassungsverstoß unabhängig davon ausschließen, welche Anforderungen im einzelnen zu stellen sind. Im Falle der Klägerin liegt zwischen dem Eintritt der Rechtskraft hinsichtlich der Anerkennung als asylberechtigt und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis allerdings ein Zeitraum von 51/2 Monaten. Indes kann auch eine rechtswidrige Verzögerung des Verfahrens keinen Herstellungsanspruch auf Erzg auslösen (BSG SozR 3–7833 § 1 Nr. 12), sondern nur einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung. Das Grundrecht auf Asyl zwingt den Gesetzgeber nicht dazu, den Asylberechtigten von dem Risiko, infolge einer rechtswidrigen Verzögerung der Aufenthaltserlaubnis kein Erzg zu erhalten, in einem weiteren Umfang freizustellen, als dies geschehen ist. Der Senat verkennt nicht die im Falle rechtswidriger Verzögerung der Aufenthaltserlaubnis mit der Durchsetzung eines Amtshaftungsanspruchs (Art. 34 GG, § 839 BGB) verbundenen Schwierigkeiten. Das Grundrecht auf Asyl erfordert es indes nicht, daß der Gesetzgeber einen Schadensersatzanspruch schon bei objektiv überlanger Verfahrensdauer einräumt oder sonstige Erleichterungen schafft.

Das Erfordernis eines Aufenthaltstitels verstößt nach der Zielsetzung des Erzg nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Durch das Erzg sollen weder tatsächliche Einkommenseinbußen ausgeglichen noch der tatsächliche Betreuungsaufwand entschädigt, sondern lediglich die Betreuung und Erziehung eines Kindes allgemein gefördert werden (BVerfG, 1. Senat 2. Kammer vom 22. Dezember 1993 – 1 BvR 54/93 – FamRZ 1994, 363). Diese Zielsetzung ist ein sachlicher Grund dafür, die Leistung von einem dauerhaften Aufenthaltsrecht iS eines erlaubten und rechtlich beständigen Inlandsaufenthalts abhängig zu machen, und es nicht genügen zu lassen, daß der Ausländer tatsächlich nicht abgeschoben wurde (BVerfG, 1. Senat 3. Kammer vom 14. Mai 1991, SozR 3–7833 Nr. 4). Das Erzg ist zwar im Hinblick auf die Möglichkeit straffreier Abtreibung auch als lebensschützende Maßnahme zu sehen. Diesem Nebenzweck kommt indes weder bei langjährig nicht abgeschobenen Ausländern noch bei Asylberechtigten vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der für alle Ausländer geforderte Aufenthaltstitel tritt neben das Wohnsitz- oder Aufenthaltserfordernis. Diese zusätzliche Anspruchsvoraussetzung ist geeignet, die Anforderungen an die Berechtigung eines Daueraufenthalts iS einer gleichmäßigen Gesetzesanwendung zu konkretisieren und der Verwaltung die Prüfung zu erleichtern. Eine ungeschriebene Ausnahme vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels ist allerdings anzuerkennen, soweit Erzg ohne Inlandsaufenthalt gewährt wird, etwa an Entwicklungshelfer und deren Ehegatten; denn die Sicherung einer gleichmäßigen Gesetzesanwendung kommt für ein ohnehin nicht anzuwendendes Tatbestandsmerkmal nicht in Betracht (BSG Urteil vom 22. Februar 1995 – 14 REg 4/94 –). Der materiell asylberechtigte Antragsteller unterliegt indes dem Erfordernis eines erlaubten und rechtlich beständigen Inlandsaufenthalts. Für ihn ist, wie ausgeführt, die Annahme einer Gesetzeslücke nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz, auch für anerkannte Asylberechtigte, einen Aufenthaltstitel fordern im Hinblick darauf, daß auch der anerkannte Asylberechtigte nach § 68 Abs. 2 AsylVfG keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hat, wenn er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen wurde. Es mag als gerechter angesehen werden, wenn der Gesetzgeber für rechtskräftig anerkannte Asylberechtigte auf den Aufenthaltstitel verzichtet bzw die rechtskräftige Anerkennung der Asylberechtigung zusätzlich als Aufenthaltstitel aufgeführt und die Komplizierung der Rechtslage durch die Vermehrung der anzuwendenden Rechtssätze in Kauf genommen hätte. Verfassungsrechtlich geboten war dies nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1049505

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