Entscheidungsstichwort (Thema)

Höhe des Arbeitslosengeldes

 

Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsbeklagte

Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).

Die Klägerin war von 1972 bis April 1991 als Fleischverkäuferin bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft) beschäftigt, die aus ihrem Schwiegervater, ihrem Ehemann und dessen Bruder bestand. Nach dem Gesellschaftsvertrag waren die Gesellschafter am Gewinn und Verlust der Gesellschaft zu je einem Drittel beteiligt. Die Führung der Gesellschaftsgeschäfte sowie die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Dritten stand den Gesellschaftern nur gemeinschaftlich zu; sie faßten ihre Beschlüsse einstimmig.

Die Klägerin meldete sich, nachdem sie nach Beschäftigungsende zunächst arbeitsunfähig war, am 23. September 1991 arbeitslos und beantragte Alg. Nach der Arbeitsbescheinigung war sie als "Verkäuferin mit Kassentätigkeit" beschäftigt und erzielte zuletzt in den Monaten Januar bis März 1991 ein Arbeitsentgelt von 3.600 DM brutto monatlich bei einer Arbeitszeit von 28 Stunden wöchentlich.

Antragsgemäß bewilligte das Arbeitsamt (ArbA) der Klägerin ab 23. September 1991 Alg, und zwar nach einem Bemessungsentgelt von 550 DM wöchentlich. Dem Bemessungsentgelt legte das ArbA nicht das erzielte Arbeitsentgelt zugrunde, sondern das Tarifgehalt einer Erstverkäuferin im Fleischerhandwerk von 3.311 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden, wobei dieses Tarifgehalt auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin von 28 Stunden entsprechend umgerechnet wurde (Bescheid vom 25. November 1991 idF des Änderungsbescheides vom 27. März 1992). Auf den Widerspruch der Klägerin führte das ArbA im Widerspruchsbescheid vom 15. April 1992 aus, die Klägerin sei im Betrieb ihres Ehemannes beschäftigt gewesen, so daß das Alg gemäß § 112 Abs 5 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nach dem Arbeitsentgelt für familienfremde Beschäftigte in gleichartiger Tätigkeit zu bemessen sei.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA), der Klägerin Alg nach dem monatlichen Arbeitsentgelt von 3.600 DM zu gewähren. Die Berufung der BA hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 7. September 1993 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Bemessung des Alg sei im Fall der Klägerin nach den allgemeinen Regelungen in § 112 Abs 1 bis 4 AFG vorzunehmen. Die Sondervorschrift des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG sei nicht anwendbar. Denn diese Vorschrift verlange, daß der Ehegatte oder ein Verwandter gerader Linie alleiniger Arbeitgeber sei. Der Ehemann der Klägerin sei jedoch nicht allein Arbeitgeber gewesen, sondern er sei neben seinem Vater und seinem Bruder gleichberechtigter Gesellschafter der BGB-Gesellschaft gewesen. Entsprechend den Regelungen des Gesellschaftsvertrages habe er es nicht in der Hand gehabt, gegen den Willen eines anderen Gesellschafters eine Entgelterhöhung oder überhaupt die Höhe des Arbeitsentgelts festzusetzen. Allein die - wenn auch naheliegende - Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Entscheidungen der Gesellschaft führe nicht zur Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG. Der Gesetzeswortlaut lasse eine solch ausdehnende Auslegung nicht zu. Dementsprechend habe das Bundessozialgericht (BSG) einen Fall des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG verneint, wenn der Arbeitnehmer bei einer GmbH beschäftigt war, deren Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer mit ihm in gerader Linie verwandt war.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG und führt aus, die Rechtsform der BGB-Gesellschaft unterscheide sich grundlegend von der Rechtsform der GmbH. Entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG, nämlich der Gefahr der Manipulation von Arbeitsentgelten zu begegnen, sei diese Vorschrift jedenfalls in den Fällen anzuwenden, in denen der Ehegatte oder Verwandte gerader Linie persönlich haftender Gesellschafter der Personengesellschaft sei, bei der der Arbeitslose beschäftigt war.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. September 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

II

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das Urteil des LSG verletzt § 112 Abs 5 Nr 3 AFG. Für eine abschließende Entscheidung über die Höhe des Alg reichen die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht aus.

Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen ist im Fall der Klägerin die Vorschrift des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG in der seither unveränderten Fassung durch das Achte AFG-Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) anzuwenden. Danach ist abweichend von der allgemeinen Regel, wonach der Bemessung des Alg das im Bemessungszeitraum tatsächlich abgerechnete Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist (§ 112 Abs 1 und 2 Satz 1 AFG), für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie höchstens das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten.

Der erkennende Senat hat nach Erlaß des angefochtenen Urteils des LSG entschieden, daß § 112 Abs 5 Nr 3 AFG sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seinem Sinn und Zweck nicht verlangt, daß der Ehegatte oder der Verwandte gerader Linie allein Arbeitgeber ist. Auch Beschäftigungen bei einer Personenmehrheit, zu denen der Ehegatte oder Verwandte gerader Linie gehört, erfaßt die Vorschrift (Urteil vom 15. Dezember 1993 - 11 RAr 95/92 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Tatsache, daß der Ehegatte der Klägerin nicht ihr alleiniger Arbeitgeber war, sondern er neben seinem Vater und seinem Bruder gleichberechtigter Gesellschafter der BGB-Gesellschaft war, schließt also - entgegen der Rechtsansicht des LSG - die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG nicht aus.

Wie der erkennende Senat in der zitierten Entscheidung - die den Fall eines bei einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) beschäftigten Arbeitnehmers betraf, dessen Ehefrau Gesellschafterin dieser OHG war - im einzelnen dargelegt hat, erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG nicht nur auf die Beschäftigung bei Alleinunternehmern und nicht assoziierten sonstigen Selbständigen. Sie erfaßt nach ihrem Sinn und Zweck, nämlich Manipulationen des für die Bemessung des Alg maßgebenden Arbeitsentgelts entgegenzuwirken, auch Gesellschaften, bei denen - anders als bei der GmbH - keine rechtliche Verselbständigung gegeben ist, vielmehr aufgrund der persönlichen Haftung eine konkrete Beziehung zwischen Arbeitnehmer und persönlich haftendem Gesellschafter besteht. Auf die individuellen Einflußmöglichkeiten des familiär mit dem Arbeitnehmer verbundenen Gesellschafters oder die tatsächliche Wahrnehmung solchen Einflusses kommt es nicht an. Entscheidend für den Anwendungsbereich des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG ist die Rechtsform der Gesellschaft.

Diese Ausführungen des Senats zur Personalgesellschaft in der Rechtsform einer OHG gelten erst recht für die hier vorliegende Gesellschaftsform einer BGB-Gesellschaft. Denn während die OHG immerhin eine gewisse Selbständigkeit insofern aufweist, als - wie in der genannten Entscheidung ausgeführt - nach § 124 Abs 1 Handelsgesetzbuch die OHG unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden kann, ist dies bei der BGB-Gesellschaft nicht der Fall. Die BGB-Gesellschaft ist eine auf Vertrag beruhende Personenvereinigung ohne Rechtsfähigkeit zur Förderung eines von den Gesellschaftern gemeinsam verfolgten Zweckes (§ 705 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Für sie ist ferner kennzeichnend, daß die Geschäftsführung grundsätzlich allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zusteht, das Gesellschaftsvermögen einer gesamthänderischen Bindung unterliegt und jeder Gesellschafter einen gleichen Anteil am Gewinn und Verlust der Gesellschaft hat (§§ 709, 718, 722 BGB). Dementsprechende Regelungen sieht nach den Feststellungen des LSG auch hier der Gesellschaftsvertrag vor. Die BGB-Gesellschaft ist also kein von den Gesellschaftern verschiedenes Rechtssubjekt, sondern eine Personengemeinschaft. Dritten gegenüber haften die Gesellschafter für Gesellschaftsschulden persönlich (Gesamtschuld) mit ihrem ganzen Vermögen nach den allgemeinen Vorschriften der persönlichen Verpflichtung Mehrerer (§§ 420 f BGB). Gerade diese persönliche Verpflichtung des Gesellschafters, mit seinem Privatvermögen für den Arbeitsentgeltanspruch von Arbeitnehmern der Gesellschaft einzutreten, begründet eine konkrete Beziehung zwischen Arbeitnehmer und persönlich haftendem Gesellschafter, hier dem Ehemann der Klägerin, die im Falle des Bestehens einer Ehe oder eines Verwandtschaftsverhältnisses die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 3 AFG rechtfertigt.

Für die Höhe des Alg ist im Falle der Klägerin hiernach höchstens das Arbeitsentgelt maßgebend, welches familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung erhalten. Die von der Klägerin erzielten 3.600 DM brutto monatlich bei einer Arbeitszeit von 28 Stunden wöchentlich - was ausgehend von einer Stundenzahl von 121,33 Arbeitsstunden monatlich (§ 112 Abs 3 Satz 2 AFG) einen Stundenlohn von abgerundet 29 DM ergibt (3.600: 121,33 Arbeitsstunden) - sind daher nur zugrunde zu legen, wenn ein solches Entgelt bei gleichartiger Beschäftigung und gleicher Arbeitszeit auch an familienfremde Arbeitnehmer gezahlt wurde. Die Gleichartigkeit von Arbeit läßt sich nur anhand der wahrgenommenen Aufgaben feststellen. Es kommt also darauf an, die tatsächlichen Aufgaben der Klägerin im Betrieb und das gewöhnliche - nicht notwendig tarifliche - Arbeitsentgelt von familienfremden Arbeitnehmern mit gleichartigen Aufgaben zu ermitteln.

Feststellungen hierzu hat das LSG - nach seiner Rechtsansicht folgerichtig - nicht getroffen.

Mangels ausreichender Feststellungen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Bei einer erneuten Entscheidung, bei der auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein wird, sollte das LSG die Angaben der Klägerin im Revisionsverfahren prüfen, die der Senat nach §§ 166, 163 SGG nicht berücksichtigen durfte.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517672

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