Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 20.07.1994)

KreisG Erfurt-Nord (Urteil vom 09.06.1993)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 20. Juli 1994 und des Kreisgerichts Erfurt vom 9. Juni 1993 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Zahlung von höherem Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Mai 1992 (175,20 DM wöchentlich statt gezahlter 135,60 DM wöchentlich).

Die am 27. Januar 1940 geborene Klägerin, Mutter eines im Jahre 1973 geborenen, noch in Ausbildung befindlichen Kindes, auf deren Lohnsteuerkarte für das Jahr 1992 die Lohnsteuerklasse IV eingetragen war, meldete sich zum 1. Februar 1992 arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor war sie bis 13. März 1991 als Zuschneiderin beschäftigt gewesen. Dabei hatte sie bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Zeitraum von Februar 1989 bis Oktober 1990 (unter Umrechnung von Mark in DM mit dem Kurs von 1:1) insgesamt 21.016,69 DM erzielt. Danach bezog sie überwiegend Kurzarbeitergeld (Kug) bei einem Anspruch auf Arbeitsentgelt nach einem Stundenlohn von 7,80 DM; tatsächliche Arbeitsentgeltzahlungen erfolgten insoweit nur im Dezember 1990 in Höhe von 123,70 DM (für 16 Stunden) und im Januar 1991 in Höhe von 62,40 DM (für 8 Stunden). Vom 14. März 1991 bis 31. Januar 1992 war die Klägerin bei einer anderen Arbeitgeberin als Näherin (bei 40 Stunden vereinbarter wöchentlicher Arbeitszeit) beschäftigt; in den Monaten Juni bis November 1991 bezog sie für Ausfallzeiten Kug. Beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis waren die Verdienste bis Ende Dezember 1991 (ab Mai 1991 nach einem vereinbarten Stundenlohn von 6,50 DM) abgerechnet und der Klägerin zugeflossen.

Die Beklagte bewilligte (Bescheid vom 26. Februar 1992; Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1992) Alg zunächst in Höhe von 112,20 DM wöchentlich (Leistungsgruppe D; 68 vH; Bemessungsentgelt in Höhe von 260,00 DM); während des Klageverfahrens erhöhte sie die Leistung unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A auf 135,60 DM wöchentlich (Bescheid vom 27. Oktober 1992).

Die Klage auf höheres Alg hatte erst- und zweitinstanzlich Erfolg (Urteil des Kreisgerichts vom 9. Juni 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. Juli 1994). Das LSG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Mai 1992 Alg in wöchentlicher Höhe von 175,20 DM abzüglich der für diesen Zeitraum bereits erbrachten Leistungen zu zahlen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Klägerin stehe dieses höhere Alg gemäß § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu. Zwar habe die Klägerin in der während der letzten drei Jahre vor Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübten Tätigkeit als Zuschneiderin (25,5 Monate) im Durchschnitt insgesamt weniger verdient als sich aus dem Bemessungszeitraum (Juli bis Dezember 1991) an Bemessungsentgelt errechne; die Vorschrift des § 112 Abs 7 AFG müsse indes im Beitrittsgebiet für eine Übergangszeit auch dann herangezogen werden, wenn bei einem Vergleich des aus der überwiegend ausgeübten Tätigkeit zuletzt erzielten höchsten Entgelts mit dem während des Bemessungszeitraums erzielten Entgelts letzteres mindestens 10 vH niedriger sei, der Dreijahreszeitraum im zeitlichen Umfang erheblich vor dem 1. Juli 1990 liege und das im Dreijahreszeitraum aus der überwiegend ausgeübten Tätigkeit zuletzt erzielte höchste Entgelt im Vergleich zur allgemeinen Lohnentwicklung nicht außergewöhnlich gestiegen sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor; ihr sei deshalb Alg in Höhe von 175,20 DM unter Zugrundelegung einer von der Beklagten während des Berufungsverfahrens durchgeführten Bestimmung des fiktiven (ortsüblichen) Arbeitsentgelts zuzugestehen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 7 AFG, da die Entscheidung des LSG von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Auslegung des § 112 Abs 7 AFG abweiche.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des Kreisgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist im wesentlichen auf die Ausführungen im Urteil des LSG.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die Klägerin wendet sich mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) gegen die Entscheidung der Beklagten, höheres Alg als 135,60 DM nicht zu gewähren. Ob der gemäß § 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Änderungsbescheid vom 27. Oktober 1992 den ersten Bescheid vom 26. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Juni 1992 in vollem Umfang ersetzt hat und sich die Klage damit nur noch gegen den Folgebescheid richtet, bedarf keiner Entscheidung. Eine höhere Leistung steht der Klägerin ohnedies nicht zu.

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung gegen das Urteil des Kreisgerichts kraft nachträglicher Zulassung (im Wege der auf die Beschwerde der Beklagten hin erfolgten Abhilfe) statthaft (§§ 143, 144, 145 Abs 5 SGG). An die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist durch das LSG ist der Senat wegen §§ 67 Abs 4 Satz 2, 202 SGG iVm § 548 Zivilprozeßordnung gebunden (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 67 RdNr 19 mwN). Ob das LSG im Hinblick auf § 145 Abs 4 Satz 1 SGG überhaupt insoweit noch entscheiden durfte, ist ohne Bedeutung.

Der Klägerin steht kein höheres als das ihr von der Beklagten bewilligte Alg zu. Dies ergibt sich aus § 111 AFG (idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 – BGBl I 2477), § 112 AFG (idF des Einigungsvertragsgesetzes und des Gesetzes zu der Vereinbarung vom 18. September 1990 vom 23. September 1990 – BGBl II 885) und § 113 AFG (idF des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28. Juni 1990 – BGBl I 1221).

Nach § 111 AFG beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (Abs 1 Nr 1). Der konkrete Leistungssatz wird jeweils für ein Kalenderjahr vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung (AFG-Leistungsverordnung) bestimmt (Abs 2 Satz 1), wobei zwischen verschiedenen Leistungsgruppen unterschieden wird (Abs 2 Satz 2); die Eingruppierung ist davon abhängig, welche Lohnsteuerklasse zu Beginn des Kalenderjahres in der Lohnsteuerkarte eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Spätere Änderungen in der eingetragenen Lohnsteuerklasse sind allerdings nach Maßgabe des § 113 AFG zu berücksichtigen.

Bemessungskriterien sind also die Steuerklasse – vorliegend nach den unangegriffenen und damit bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zum Inhalt der Lohnsteuerkarte für das Jahr 1992 die Steuerklasse IV –, aus der gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchst a AFG die Leistungsgruppe A resultiert, der Familienstatus, der – wie hier – günstigstenfalls eine Nettolohnersatzquote von 68 vH zur Folge hat, und das Bemessungsentgelt. Das Bemessungsentgelt (§ 112 AFG) ist das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose – bei Nichtberücksichtigung bestimmter Zuschläge und Zuwendungen – im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat (Abs 1). Der Bemessungszeitraum umfaßt die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat (Abs 2 Satz 1). Enthalten diese Lohnabrechnungszeiträume weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, so verlängert sich der Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind (Abs 2 Satz 3). Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts wird dann das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (Abs 3 Satz 1). Als tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ist die vereinbarte Arbeitszeit zugrunde zu legen, wenn nicht nur vorübergehend weniger als die tariflichen oder üblichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten vereinbart waren (Abs 4 Nr 3).

Das Bemessungsentgelt ist damit das Produkt aus dem im (zunächst zu bestimmenden) Bemessungszeitraum erzielten „tatsächlichen” Stundenlohn (Lohnfaktor) mit der „üblichen” wöchentlichen Arbeitszeit (Zeitfaktor). Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte zu Recht ein Bemessungsentgelt von 260,00 DM errechnet, aus dem sich nach der AFG-Leistungsverordnung für das Jahr 1992 ein Alg-Betrag von 135,60 DM ergibt.

Bemessungszeitraum waren hier die Monate Juli bis Dezember 1991, da nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) nachstehende Monate als Lohnabrechnungszeiträume beim Ausscheiden der Klägerin aus dem Arbeits-und Beschäftigungsverhältnis am 31. Januar 1992 abgerechnet und ausgezahlt waren:

  • Juli 1991 234,00 DM in 36 Arbeitsstunden an 4,5 Arbeitstagen zuzüglich Kug nach einem ausgefallenen Arbeitsentgelt von 962,00 DM
  • August 1991 260,00 DM in 40 Arbeitsstunden an 5 Arbeitstagen zuzüglich Kug nach einem ausgefallenen Arbeitsentgelt von 844,60 DM (gemeint waren 884,60 DM)
  • September 1991 624,00 DM in 96 Arbeitsstunden an 12 Arbeitstagen zuzüglich Kug nach einem ausgefallenen Arbeitsentgelt von 520,00 DM
  • Oktober 1991 364,00 DM in 56 Arbeitsstunden an 7 Arbeitstagen zuzüglich Kug nach einem ausgefallenen Arbeitsentgelt von 832,00 DM
  • November 1991 572,00 DM in 88 Arbeitsstunden an 11 Arbeitstagen zuzüglich Kug nach einem ausgefallenen Arbeitsentgelt von 520,00 DM
  • Dezember 1991 1.144,00 DM in 176 Arbeitsstunden an 22 Arbeitstagen.

Der Bemessungszeitraum umfaßt vorliegend sechs Monate, weil erst durch den Rückgriff auf frühere volle Lohnabrechnungszeiträume (vgl das Urteil des Senats vom 9. Februar 1995 – 7 RAr 2/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) die gesetzliche Mindestzahl von 60 Arbeitstagen erreicht wird. Kurzarbeitsbedingte Ausfalltage können nicht zugrunde gelegt werden, da das der Klägerin gezahlte Kug für diese Ausfalltage kein Arbeitsentgelt darstellt (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 17). Ausgehend von den oben angeführten Verdiensten und tatsächlichen Arbeitsstunden beträgt der Lohnfaktor 6,50 DM; zur Bestimmung des Bemessungsentgelts ist er mit dem Zeitfaktor 40 zu multiplizieren. Dabei ist das LSG – aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar – von einer vereinbarten und einer entsprechenden tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ausgegangen. Daß das Urteil keine tatsächlichen Angaben enthält, die den rechtlichen Schluß auf die Tariflichkeit der vereinbarten 40 Stunden zulassen, ist wegen § 112 Abs 4 Nr 3 AFG unschädlich.

Entgegen der Ausführungen des LSG ist das für das Alg maßgebliche Arbeitsentgelt nicht hiervon abweichend nach § 112 Abs 7 AFG zu ermitteln.

Nach dieser Vorschrift ist von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen (§ 129) maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Voraussetzung ist aber, daß es mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach den Absätzen 1 bis 6 auszugehen (Alt 1), oder daß der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Entstehung des Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt (Alt 2). Keiner dieser Tatbestände ist erfüllt. Weder liegt der zeitlich letzte Tag des Bemessungszeitraums länger als drei Jahre zurück, noch kann eine unbillige Härte bejaht werden.

In seiner bereits zitierten Entscheidung vom 9. Februar 1995 (7 RAr 2/94) hat der Senat ausführlich den Grundgedanken des § 112 Abs 7 Alt 1 AFG dargelegt: Es soll ein Ausgleich für die Fälle geschaffen werden, in denen der Arbeitslose gerade in dem verhältnismäßig kurzen Bemessungszeitraum, dessen Lohnbedingungen die Faktoren des Regelbemessungsentgelts zu entnehmen sind, ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hat, als es der überwiegend ausgeübten beitragspflichtigen Tätigkeit entspricht.

Eine überwiegende Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG ist anzunehmen, wenn sie – absolut gesehen – länger als alle anderen, zusammenzurechnenden Tätigkeiten ausgeübt worden ist (Senatsurteil vom 9. Februar 1995). Allerdings können für die Bestimmung der überwiegend ausgeübten Tätigkeit uU mehrere Tätigkeiten iS einer einheitlichen Betrachtung zusammengerechnet und bestimmte Zeiten als solche beruflicher Tätigkeit mit fiktivem Verdienst gewertet werden (BSG aaO). Über den Wortlaut des § 112 Abs 7 AFG hinaus hat der Senat im übrigen zur Bejahung einer unbilligen Härte nicht zwingend einen Tätigkeitswechsel für erforderlich gehalten, sondern im Einzelfall einen auf Krankheit oder schwankenden Einnahmen beruhenden Minderverdienst ausreichen lassen (BSG aaO).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung läßt sich hier die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG unter keinem Aspekt rechtfertigen. Die Klägerin hat im Dreijahreszeitraum vor der Arbeitslosmeldung (1. Februar 1989 bis 31. Januar 1992) 25,5 Monate als Zuschneiderin gearbeitet. Im Durchschnitt hat sie indes in diesem gesamten Zeitraum weniger verdient, als für die Bemessung des Alg aus der Tätigkeit als Näherin zugrunde zu legen war (vgl zu diesen Voraussetzungen: BSG aaO mwN).

Es kann dahinstehen, ob bei der Bildung des Vergleichsverdienstes für die überwiegend ausgeübte Tätigkeit als Zuschneiderin für die Monate November 1990 bis März 1991, in denen die Klägerin vornehmlich Kug bezogen hat, allein auf tatsächliche Arbeitsentgeltzahlungen oder auf den ohne die Kurzarbeit bestehenden Arbeitsentgeltanspruch abzustellen wäre (vgl zur Möglichkeit der Zuteilung bestimmter Verdienstwerte das Senatsurteil vom 9. Februar 1995). Selbst unter Berücksichtigung des während der Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsentgelts, also des Entgeltanspruchs insgesamt, berechnet nach den (vom LSG bindend festgestellten) gearbeiteten und ausgefallenen Arbeitsstunden auf der Basis des vereinbarten Stundenlohns von 7,80 DM (November 1.373,22 DM, Dezember 1.248,– DM, Januar 1.435,20 DM, Februar 1.248,– DM, März 561,60 DM), ergibt sich nämlich bei Umrechnung von Mark in DM mit dem Kurs von 1:1 lediglich ein durchschnittlicher monatlicher Verdienst von etwa 1.054,22 DM (= 243,28 DM wöchentlich); dieser liegt unter dem Bemessungsentgelt von 260,00 DM. Daß bei der Bildung des Durchschnittsverdienstes das in Mark der DDR tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG so zu behandeln ist, als ob es in DM erzielt worden wäre, hat der Senat bereits im Anschluß an eine Entscheidung des 11. Senats (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 19) entschieden (Senatsurteil vom 9. Februar 1995).

Die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG ließe sich selbst dann nicht begründen, wenn man abweichend vom dargestellten System die Gesamtzeit der Tätigkeit als Zuschneiderin wegen einer eventuellen Zäsur am 1. Juli 1990 nicht einheitlich beurteilen wollte, sondern wegen der besonderen politischen Umbruchsituation und der damit – möglicherweise ab diesem Zeitpunkt – verbundenen wesentlich unterschiedlichen Verdiensthöhe in zwei Zeiträume aufteilen wollte und rechtlich drei getrennte Tätigkeitsphasen annähme. Auch dann hätte die Klägerin die Tätigkeit als Zuschneiderin mit einem höheren Durchschnittsverdienst im Dreijahreszeitraum nur 8 1/2 Monate, also nicht länger als alle sonstigen beruflichen Tätigkeiten verrichtet. Dies würde selbst dann gelten, wenn man die Zeit von Mitte März bis Ende April 1991 mit einem höheren Verdienst als Näherin noch hinzurechnen würde. Die Tätigkeit mit einem besseren Verdienst (10 Monate) würde nicht in einem absoluten Sinne überwiegen (in diesem Sinne auch das Senatsurteil vom 9. Februar 1995).

Die Klägerin hat – höhere Verdienste schon ab 1. Juli 1990 unterstellt – allenfalls in einem verhältnismäßig kurzen Zwischenzeitraum von 10 Monaten mehr verdient als es dem Regelbemessungsentgelt und dem Verdienst der letzten 9 Beschäftigungsmonate entspricht. Es fehlt unter diesen Umständen an der für § 112 Abs 7 Alt 1 AFG maßgeblichen Ausgangslage, daß vom aktuellen Verdienst wegen der Kürze des Bemessungszeitraums keine indizielle Wirkung für die künftig erzielbaren Verdienste ausgeht und jener Verdienst deshalb als Grundlage des Lohnersatzes ausscheidet (Senatsurteil vom 9. Februar 1994 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174562

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