Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Berufungsausschluß nach § 145 Nr 2 SGG bei Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 BKVO

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung der Schadenshöhe für die Übergangsleistung nach BKVO § 3 Abs 2 ist die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (RKG § 45 Abs 1 Nr 1) zu berücksichtigen (Fortführung von BSG 1969-09-25 5 RKnU 2/69 = BSGE 30, 88, Abgrenzung zu BSG 1975-08-22 5 RKnU 5/74 = BSGE 40, 146, 149, 15O).

 

Orientierungssatz

1. Begehrt der Kläger lediglich eine höhere Übergangsleistung für einen bei der Berufungseinlegung bereits abgeschlossenen Zeitraum besteht gleichwohl kein Berufungsausschluß nach § 145 Nr 2 SGG, denn die Übergangsleistung ist nicht als eine Rente iS dieser Vorschrift anzusehen.

2. Eine entsprechende Anwendung des § 145 Nr 2 SGG ist nicht zulässig, weil die Vorschrift als Ausnahmeregelung nicht erweiternd auszulegen ist (vgl BSG 1979-11-15 11 RZLw 1/79 = SozR 5866 § 12 Nr 5).

 

Normenkette

BKVO § 3 Abs 2 Fassung: 1976-12-08; RKG § 45 Abs 2; SGG § 145 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 22.04.1980; Aktenzeichen L 15 BU 47/79)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 17.09.1979; Aktenzeichen S 3 BU 127/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Höhe und Berechnungsweise der dem Kläger in der Zeit von Mai 1977 bis April 1978 zustehenden Übergangsleistung gem § 3 Abs 2 Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Der 1937 geborene Kläger arbeitete von 1952 an im Bergbau, von 1955 bis 1975 unter Tage, zuletzt als Hauer. Als sich 1975 beim Kläger der Verdacht einer Quarzstaublungenerkrankung ergab, forderte die Beklagte den Kläger auf, die Untertagetätigkeit einzustellen. Der Kläger kam dieser Aufforderung am 12. Dezember 1975 nach. Er war dann zunächst arbeitslos. Seit dem 4. Mai 1977 arbeitet er als Kauenwärter in der Lohngruppe 03 über Tage.

Seit dem 24. Dezember 1976 gewährt die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente (BK-Rente) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH. Seit dem 1. Januar 1977 bezieht der Kläger außerdem von der Bundesknappschaft die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Für die Zeit vom 1. Mai 1977 bis zum 30. April 1978 gewährte die Beklagte dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 Abs 2 der BKVO (Bescheid vom 7. März 1979; Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1979). Die Höhe der Zahlungen ermittelte sie, indem sie die Bergmannsrente als Einkommen anrechnete. Außerdem berücksichtigte sie bei der Festsetzung der Übergangsleistungen die Hälfte der BK-Rente. Sie begründete diese Handhabung damit, daß sie die BK-Rente nicht abgezogen, sondern lediglich im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt habe.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. September 1979). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 22. April 1980 das Urteil des SG geändert sowie die Bescheide der Beklagten teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über die Höhe der Übergangsleistung für die Zeit vom 1. Mai 1977 bis zum 30. April 1978 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Begehrens des Klägers (Verurteilung zur Zahlung ohne Anrechnung der Bergmannsrente und ohne Anrechnung der BK-Rente, sowie Anfechtung des Bescheides vom 30. Juli 1979 bezüglich der Übergangsleistungen für den anschließenden Zeitraum 1978/1979) hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Ein abstrakt berechneter Schadensausgleich, wie er bei der BK-Rente gewährt werde, dürfe bei dem konkret zu berechnenden Schadensersatz im Rahmen von § 3 Abs 2 BKVO jedenfalls nicht bei der Ermittlung der Schadenshöhe berücksichtigt werden. Das gelte auch für die Bergmannsrente, die ebenfalls abstrakt zu berechnen sei. Bei der der Beklagten obliegenden Ermessensausübung dürfe sie allerdings berücksichtigen, daß die Übergangsleistung nicht ohne weiteres auf den vollen Ausgleich aller mit der vorbeugenden Maßnahme zusammenhängenden Einkommenseinbußen gerichtet sei und daß möglicherweise nur ein Teil des Minderverdienstes auf der drohenden Berufskrankheit beruhe, ein anderer Teil dagegen auf schicksalsbedingten Erkrankungen, wie zB den Herzbeschwerden des Klägers. Doch dürfe das nicht zu einer vollständigen Entziehung der berücksichtigten Renten führen. Auch eine pauschale Minderung - etwa wie hier im Hinblick auf die BK-Rente geschehen - um 50 vH entspreche nicht dem Gebot einer gewissenhaften, auf den Einzelfall bezogenen Ermessensentfaltung.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 3 BKVO. Die Bergmannsrente stelle keinen abstrakten Ausgleich dar, der losgelöst von einem konkret eingetretenen Einkommensschaden bezahlt werde. Sie hänge von einem konkreten Minderverdienst ab. Denn sie setze voraus, daß der Versicherte nicht mehr zu einer wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeit in der Lage sei. Daß die Bergmannsrente anzurechnen sei, ergebe sich auch aus dem Ausnahmecharakter des § 3 Abs 3 BKVO.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung

gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen

vom 17. September 1979 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend*-

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Das Revisionsgericht hat bei der zugelassenen Revision von Amts wegen zu prüfen, ob das angefochtene Urteil frei von Verfahrensmängeln ist, die auch in der Revisionsinstanz fortwirken, auf deren Befolgung die Beteiligten nicht verzichten können und die das Verfahren im ganzen unzulässig machen. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Berufung zulässig war. Das ist hier der Fall. Zwar begehrt der Kläger lediglich eine höhere Übergangsleistung für einen bei der Berufungseinlegung bereits abgeschlossenen Zeitraum. Gleichwohl besteht kein Berufungsausschluß nach §145 Nr 2 SGG. Die Übergangsleistung ist nicht als eine Rente iS dieser Vorschrift anzusehen. Renten können nicht alle wiederkehrenden Leistungen sein, wie ein Vergleich mit § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ergibt. Eine entsprechende Anwendung des § 145 Nr 2 SGG ist nicht zulässig, weil die Vorschrift als Ausnahmeregelung nicht erweiternd auszulegen ist (vgl Bundessozialgericht -BSG- in BSGE 26, 73; 27, 188 = SozR Nr 1 zu § 560 Reichsversicherungsordnung -RVO-; BSGE 46, 168 = SozR 1500 § 146 Nr 8; SozR 1500 § 145 Nr 3 = SozR 5866 § 12 Nr 5).

Zu Recht hat das LSG unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, daß die BU-Rente des Klägers als abstrakt berechneter Schadensausgleich bei dem konkret zu berechnenden Schadensersatz im Rahmen des § 3 Abs 2 BKVO bei der Ermittlung der Schadenshöhe nicht berücksichtigt werden darf (vgl BSGE 19, 157; 30, 88, 90; SozR Nr 3 zu § 3 der 7. BKVO).

Anders als das LSG meint, ist aber die Bergmannsrente bereits bei der Ermittlung der Höhe des konkreten Schadens zu berücksichtigen, den die Übergangsleistung ersetzen will. Im Gegensatz zur Verletztenrente (§§ 580, 581 RVO) enthält die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (§ 45 Abs 1 Nr 1 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-) das konkrete Element, daß der Versicherte nicht mehr imstande sein darf, den bisherigen Beruf auszuüben sowie andere im wesentlichen gleichwertige Arbeiten von Personen mit gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben. § 45 Abs 2 RKG macht damit die Bergmannsrente jedenfalls in der Regel von einem konkreten wirtschaftlichen Schaden (prozentualen Einkommensverlust, vgl BSGE 43, 233) abhängig. Der Senat hat daraus in mehreren Entscheidungen (BSGE 30, 88 = SozR Nr 3 zu § 5 BKVO Saar; Urteil vom 1976-03-23 - 5 RKnU 7/75 -) den Schluß gezogen, daß der durch die Übergangsleistung zu ersetzende Schaden durch die Zahlung der Bergmannsrente im Wege der Vorteilsausgleichung gemindert wird. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Soweit sich aus dem Urteil des Senats vom 22. August 1975 (BSGE 40, 146, 149, 150), das sich primär mit der etwaigen Kausalität zwischen einer silikoseunabhängigen Erkrankung und der Aufgabe der silikosegefährdenden Tätigkeit befaßt, eine abweichende Rechtsauffassung ergeben sollte, wird diese aufgegeben.

Die Verurteilung der Beklagten zur Neufeststellung der Leistungen an den Kläger "unter Beachtung der Rechtsauffassung" des LSG kann daher hinsichtlich der Außerachtlassung der Bergmannsrente bei der Ermittlung der Schadenshöhe nicht bestehen bleiben. Gleichwohl kann die Revision der Beklagten nicht zu einer Bestätigung der Klageabweisung durch das SG führen, weil derzeit noch nicht gesagt werden kann, ob die streitige Höhe der Übergangsleistung im angefochtenen Bescheid ermessensfehlerfrei festgesetzt worden ist. Zutreffend wird im LSG-Urteil darauf hingewiesen, daß eine pauschale Berücksichtigung der BK-Rente zu 50 % bei der Festsetzung der Übergangsleistung nicht erkennen läßt, ob die Beklagte hierbei alle konkreten Umstände des Einzelfalles beachtet und demzufolge das ihr insoweit zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt hat. Der bloße Hinweis im angefochtenen Bescheid auf die Entscheidung des BSG in BSGE 19, 157 genügt hierfür nicht. Eine diesbezügliche Prüfung in den durch § 54 Abs 2 Satz 2 SGG gezogenen Grenzen wird das LSG noch durchzuführen haben.

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661085

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