Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Der Kläger, der in B… eine Landwirtschaft betreibt, brachte am 30. Januar 1973 gegen 18.00 Uhr seine damals 8 3/4 Jahre alte Tochter zu einer zahnärztlichen Behandlung nach R… und zog sich bei einem Unfall auf der Rückfahrt schwere Verletzungen zu. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 2. Mai 1974 eine Entschädigung ab. Sie ging davon aus, der Kläger habe, wie von ihm angegeben, in B… (zwischen B… und …) eine Schaufel für seinen landwirtschaftlichen Betrieb kaufen wollen, sei jedoch zunächst weiter nach R… zum Zahnarzt gefahren und auf der Rückfahrt vor B… verunglückt. Der Kläger habe sich hierbei auf einem Weg befunden; Versicherungsschutz hätte erst wieder beim Erreichen der Stelle bestanden, an der er den direkten Weg zum Einkauf der Schaufel verlassen habe. Im Unfallzeitpunkt habe er eine eigenwirtschaftliche, dem Versicherungsschutz nicht unterliegende Tätigkeit verrichtet.

Das Sozialgericht (SG) Stade hat durch Urteil vom 29. Oktober 1975 die Klage abgewiesen: Der Unfall habe sich nicht auf dem Weg zum Einkauf der Schaufel, sondern auf einem Abweg ereignet. Die Begleitung eines Kindes zum Arzt sei nicht Teil der landwirtschaftlichen Haushaltung i.S. des § 777 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger Verletztengeld vom 30. Januar 1973 bis zum 28. Oktober 1973 und Verletztenrente für die folgende Zeit zu gewähren (Urteil vom 17. Mai 1976). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Haushaltung des Klägers sei Teil seines landwirtschaftlichen Unternehmens gewesen, da sie dem Unternehmen wesentlich gedient habe (§ 777 Nr. 1 RVO). Dies ergebe sich aus Art und Umfang der landwirtschaftlichen Tätigkeiten - Acker- und Viehwirtschaft auf einer Fläche von 11 ha - sowie dem Umfang des Haushalts, dem außer dem Kläger dessen Ehefrau und 5 Töchter sowie ein Onkel und eine Tante des Klägers angehörten. Eine landwirtschaftliche Haushaltstätigkeit sei versichert, wenn sie von dem Unternehmer oder seiner Ehefrau zum Nutzen des Betriebes verrichtet werde. Ausgenommen sei nur die Erledigung persönlicher Angelegenheiten. Die Betreuung der Kinder, insbesondere das Ernähren, Kleiden und Beaufsichtigen gehöre jedoch zu den versicherten Haushaltstätigkeiten. Auch die Verschaffung ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung sei - zumindest in dringenden Fällen - der Betreuung eines Kindes zuzurechnen. Ein solcher Fall sei hier gegeben. Der Zahnarzt habe dem Kläger eine möglichst sofortige Behandlung der Tochter empfohlen. Hierzu sei eine Begleitung des Kindes erforderlich gewesen; das ergebe sich aus der Tages- und Jahreszeit (18.00 Uhr im Januar), aus der Entfernung von B… nach R… (etwa 12 km) und aus dem Alter des Kindes. Auf der Fahrt nach R… und zurück habe der Kläger somit eine versicherte Haushaltstätigkeit verrichtet und daher im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden, ohne daß es auf sonstige Beweggründe der Fahrt (Abholen einer Schaufel in B…) ankomme.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und wie folgt begründet: Nach der Auffassung des LSG sei die Dringlichkeit der zahnärztlichen Behandlung entscheidungserheblich. Mit der Feststellung, diese Voraussetzung sei hier erfüllt gewesen, habe das LSG gegen die §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen. Unabhängig davon könne auch eine dringliche ärztliche Behandlung nicht der Haushaltung eines landwirtschaftlichen Unternehmers zugerechnet werden. Arztbesuche zählten seit jeher zum höchstpersönlichen und somit unfallversicherungsrechtlich ungeschützten Bereich; sie seien auch nicht dem Begriff der Haushaltung zuzuordnen. Für die Begleitung eines Familienmitglieds zum Arzt könne nichts anderes gelten. Es handele sich insoweit um familiäre und höchstpersönliche Pflichten oder freiwillig übernommene Aufgaben, die von ernstlichen, wirtschaftlich nützlichen Arbeitsleistungen im Haushalt zu unterscheiden seien. Die Auffassung des LSG führe dazu, daß in der Landwirtschaft kaum ein von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht erfaßter Bereich verbleibe. Der beabsichtigte Einkauf einer Schaufel in B… begründe keinen Versicherungsschutz, weil der Unfall sich auf einem Abweg ereignet habe.

Die Beklagte beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Als Mitglied der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft war der Kläger bei seiner Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer gegen Arbeitsunfall versichert (§§ 539 Abs. 1 Nr. 5, 548 RVO). Das LSG hat keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, ob der Kläger auch unterwegs war, um eine Schaufel zu besorgen, und ob die Fahrt im Unfallzeitpunkt mit dieser seinem landwirtschaftlichen Unternehmen dienenden Besorgung in ursächlichem Zusammenhang gestanden hat. Zutreffend hat das LSG dies als für die Entscheidung unerheblich erachtet, weil der Kläger, als er sein Kind zur zahnärztlichen Behandlung brachte, bei einer Tätigkeit für seine landwirtschaftliche Haushaltung verunglückt ist und ihm schon deshalb der erhobene Entschädigungsanspruch zusteht.

Nach § 777 Nr. 1 RVO gelten als Teile des landwirtschaftlichen Unternehmens u.a. die Haushaltungen des Unternehmers, wenn sie dem Unternehmen der Landwirtschaft (§ 776 Abs. 1 Nr. 1 RVO) wesentlich dienen. Im Gesetz ist der Begriff der Haushaltung nicht bestimmt oder erläutert. Die Einbeziehung der Haushaltung in die landwirtschaftliche Unfallversicherung und die damit verbundene Versicherung landwirtschaftlicher Unternehmer gegen Unfälle bei Tätigkeiten, die mit der Haushaltung zusammenhängen, geht auf das Fünfte Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung (5. ÄndG) vom 17. Februar 1939 (RGBl. I 267) zurück. Nach der amtlichen Begründung zu Art. 1 Nr. 56 dieses Gesetzes (wiedergegeben bei Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Anm. 1 zu § 777) umfaßt die Haushaltung sowohl die hauswirtschaftliche als auch die sonstige häusliche Betätigung, nicht jedoch Angelegenheiten rein persönlicher Art, wie z.B. Essen und Trinken, An- und Auskleiden und ähnliche Verrichtungen. Da die Haushaltung als Ganzes in die Versicherung einbezogen werden sollte wurde jede von einer versicherten Person im Interesse der Haushaltung vorgenommene Tätigkeit als dem Versicherungsschutz unterliegend angesehen (amtl. Begr. a.a.O.). Rechtsprechung und Schrifttum sind dieser Abgrenzung der dem Haushalt i.S. des Gesetzes zuzurechnenden Betätigungen gefolgt (vgl. Reichsversicherungsamt - RVA - in EuM 4, 8 und 168; 50, 8; Teutsch, ZfS 1947, 15, 30; Albrecht, WzS 1959, 292; für die Zeit nach dem Inkrafttreten des § 777 Nr. 1 RVO i.d.F. des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 - BGBl. I 241 -: BSG in SozR Nr. 2 zu § 777 RVO; Boller, SozVers 1967, 107; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl., S. 496a; Lauterbach a.a.O. Anm. 4 zu § 777). Schon das RVA hat insbesondere die Betreuung der zum Haushalt gehörenden Personen - in erster Linie die Wartung, Pflege und Erziehung der Kinder - zu den sonstigen häuslichen Betätigungen gerechnet, die mit der Haushaltung in innerer Beziehung stehen und im Interesse der Haushaltung vorgenommen werden (RVA in EuM 48, 168). Diese Auffassung, die - soweit ersichtlich - keinen Widerspruch gefunden hat, teilt auch der erkennende Senat (ebenso u.a.: BSG in SozR a.a.O.; Teutsch a.a.O.; Albrecht a.a.O.; Boiler a.a.O.; Brackmann a.a.O.; Lauterbach a.a.O.). Als eine Verrichtung zur Betreuung eines in seinem Haushalt lebenden Familienangehörigen war danach die Fahrt des Klägers zum Zahnarzt, um sein 8 3/4 Jahre altes Kind behandeln zu lassen, eine der Haushaltung zuzurechnende Tätigkeit. Wie schon das RVA (EuM 48, 168) überzeugend ausgeführt hat, sind unter Angelegenheiten rein persönlicher Art, bei deren Ausführung kein Versicherungsschutz besteht, nur die persönlichen Angelegenheiten des Versicherten selbst zu verstehen, nicht aber die Verrichtungen, die der Versicherte - wie hier - im Interesse und zum Nutzen einer zum Haushalt gehörenden Person vornimmt. Da das Kind des Klägers nach den bindenden Feststellungen des LSG den Weg zum Zahnarzt nicht allein zurücklegen konnte, bedarf es aus Anlaß dieses Falles keiner Entscheidung, ob die Notwendigkeit, sein Kind zum Arzt zu begleiten, Voraussetzung für die Zurechnung des Weges zur landwirtschaftlichen Haushaltung ist. Der ursächliche Zusammenhang mit der Haushaltung würde darüber hinaus auch gegeben sein, wenn die Behandlung entgegen den von der Revision angegriffenen Feststellungen des LSG nicht dringend gewesen wäre, sondern ohne Schaden für das Kind auf den nächsten Tag oder einen späteren Zeitpunkt hätte verschoben werden können.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG war die Haushaltung des Klägers auf seinen landwirtschaftlichen Betrieb ausgerichtet und erhielt von dort ihr Gepräge; die Landwirtschaft bildete die wesentliche Grundlage der Existenz, des Unterhalts und der Lebenshaltung des Klägers und seiner Familie. Mit Recht wendet sich die Revision nicht gegen die Auffassung des LSG, daß hiernach die Haushaltung des Klägers dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich diente (§ 777 Nr. 1 RVO; vgl. Brackmann a.a.O.; Lauterbach a.a.O. Anm. 7 zu § 777).

Da der Kläger wegen der Unfallfolgen bis zum 28. Oktober 1973 arbeitsunfähig war und seitdem in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. gemindert ist - auch insoweit sind die Feststellungen des LSG nicht angegriffen -, konnte das LSG die Beklagte dem Grunde nach verurteilen, dem Kläger Verletztengeld und Verletztenrente zu gewähren (§ 130 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518695

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