Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 06.08.1992; Aktenzeichen L 1 An 51/91)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. August 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Im Ausgangsverfahren erstrebt der Kläger gemäß § 44 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) die Aufhebung eines Bescheides der Beklagten, durch welchen ein Nachzahlungsbetrag der ihm gewährten Rente zur Befriedigung eines Erstattungsanspruchs der Beigeladenen einbehalten worden ist. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 3. August 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. November 1988 erhobene Klage wurde vom Sozialgericht (SG) Bremen durch Urteil vom 12. Dezember 1989 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Bremen verwarf die Berufung des Klägers durch Urteil vom 6. August 1992 als unzulässig, weil sie nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe (§ 146 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) und sich die Zulässigkeit auch nicht aus § 150 SGG ergebe.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend, auf dem das Berufungsurteil beruhen könne. Das LSG habe verkannt, daß der Rechtsstreit nicht iS von § 146 SGG die Gewährung von Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betreffe, sondern die Frage, ob einem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens stattgegeben werden müsse. In der Verwerfung der Berufung liege auch ein Verstoß gegen Art 19 Abs 4 des Grundgesetzes (GG), weil sich das LSG nicht mit seinem sachlichen Anliegen auseinandergesetzt habe. Außerdem müsse die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden. Es fehle an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des § 146 SGG auch auf Fälle der vorliegenden Art, in denen es nicht um die Gewährung einer Rente für die Vergangenheit, sondern um das Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 44 SGB X gehe.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen – grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel – zugelassen werden. Der Klägers beruft sich sowohl auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache als auch auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels. Damit kann er keinen Erfolg haben.

Das Urteil des LSG leidet nicht an einem gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG beachtlichen Verfahrensmangel. Zwar wäre es ein Revisionszulassungsgrund, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht ein Prozeßurteil anstelle eines Sachurteils erlassen hätte (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 4. Aufl, § 160 RdNr 16 mwN). Im vorliegenden Fall ist die Berufung des Klägers jedoch in zutreffender Weise als unzulässig verworfen worden. Entgegen der Ansicht des Klägers greift § 146 SGG nicht nur dann ein, wenn die Berufung unmittelbar Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, sondern auch in Fällen, in denen die Aufhebung eines Renteneinbehaltungsbescheides im sogenannten Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X erstrebt wird (vgl zu der entsprechenden Situation einer Verteidigung gegen die Rücknahme eines Rentenauszahlungsbescheides BSG SozR 1500 § 146 Nrn 18, 19). Unabhängig von der verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellation soll § 146 SGG die Berufung ausschließen, wenn es in der Sache um Rente für die Vergangenheit geht (vgl BSG SozR 1500 § 146 Nr 18 S 38). Es wäre im übrigen kaum sachgerecht, wenn derjenige, der einen Bescheid über Rente für zurückliegende Zeiträume erst bindend werden läßt (vgl § 77 SGG) und dann gemäß § 44 SGB X dagegen vorgeht, einen weitergehenden Rechtsschutz durch Eröffnung der Berufungsinstanz genießen würde als jemand, der einen entsprechenden Rentenbescheid unmittelbar anficht. Aus diesem Grunde liegt auch eine Verletzung des Art 19 Abs 4 GG fern. Diese Verfassungsnorm verbietet es nur, den Zugang zur jeweils nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl BVerfGE 49, 329, 341).

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist zwar – soweit ersichtlich – vom Bundessozialgericht (BSG) noch nicht ausdrücklich entschieden worden, sie bedarf jedoch gleichwohl keiner höchstrichterlichen Klärung. Denn für ihre Beantwortung gibt die vorhandene Rechtsprechung zu § 146 SGG hinreichende Anhaltspunkte (vgl allgemein Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117). So hat das BSG in seinem Urteil vom 30. Mai 1985 – 11a RA 66/84 -ausgeführt, daß es für die Anwendung des § 146 SGG lediglich darauf ankommt, ob es bei der Berufung um eine Rente für die Vergangenheit geht; die Klageart, die Beteiligtenstellung und die einzelnen Streitpunkte sind dabei unerheblich (vgl BSG SozR 1500 § 146 Nr 18 S 38 mwN). Insofern sind keine Gründe ersichtlich, warum sich diese Beurteilung nicht auch auf einen Antrag nach § 44 SGB X beziehen soll, mit dem letztlich die Auszahlung von Rente für bereits abgelaufene Zeiträume erstrebt wird (zur Anwendung von § 146 SGG bei gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren vergleiche BSG SozR Nr 17 zu § 146 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173115

NJW 1994, 150

Breith. 1994, 345

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