Entscheidungsstichwort (Thema)

Beanstandung von Beitragsentrichtungen

 

Orientierungssatz

1. Die Beanstandung von Beiträgen kann auch im Leistungsfall in der Weise erfolgen, daß die Berücksichtigung der beanstandeten Beiträge im Rentenfeststellungsverfahren abgelehnt wird.

2. Nach § 145 Abs 3 AVG kann der Versicherte einen - eigenen - Anspruch auf Feststellung der Wirksamkeit der Beitragsentrichtung geltend machen. Daraus kann nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß jede Beanstandung von Beitragsentrichtungen durch einen gesonderten Verwaltungsakt zu geschehen hat.

 

Normenkette

AVG § 145 Abs 3; RVO § 1423 Abs 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 19.10.1989; Aktenzeichen L 1 An 210/87)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Altersruhegeldes (ARG) des Klägers. vom 15. August bis 31. Dezember 1972 entrichteten Pflichtbeiträgen auf der Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von 2.100,-- DM ein Bruttoarbeitsverdienst von 9.590,-- DM zugrunde, obwohl in der Versicherungskarte des Klägers ein Arbeitsentgelt von 10.500,-- DM bescheinigt war (Bescheid vom 20. Mai 1985, Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1986). Zur Begründung führte sie aus, da die Firma des früheren Arbeitgebers des Klägers nicht mehr bestehe und die zuständige Krankenkasse nur die Beitragsentrichtung, nicht aber die Entgelt- bzw Beitragshöhe bestätigen könne, sei davon auszugehen, daß eine Beitragsentrichtung zur Rentenversicherung auch tatsächlich nur für ein Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 9.590,-- DM erfolgt sei. Das Sozialgericht (SG) Kassel hat der Klage des Klägers stattgegeben; das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. § 112 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF lege nur die Beitragsbemessungsgrenze für Monats- und Jahresbezüge fest. Bei Teilbeschäftigungen innerhalb eines Monats sei der Beitragsentrichtung aber eine auf den Kalendertag bezogene Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, um zu vermeiden, daß bei mehreren Beschäftigungen innerhalb eines Monats nicht Beiträge in einer Höhe abgeführt würden, bei der die Beitragsbemessungsgrenze überstiegen werde. Diesen Grundsätzen habe die Berechnung der Beklagten entsprochen. Der Kläger könne sich auch nicht auf den Aufrechnungsschutz des § 145 Abs 2 Nr 1 AVG berufen, da die Voraussetzungen der Vorschrift bei der am 22. Dezember 1976 aufgerechneten Versicherungskarte im Zeitpunkt der Rentenbewilligung (Bescheid vom 20. Mai 1985) noch nicht erfüllt gewesen seien. Die Beanstandung der Beitragsentrichtung habe auch im Rentenbescheid vorgenommen werden können. Ein gesonderter "Beanstandungsbescheid" sei nicht geboten gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet.

Nach § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darf das Bundessozialgericht (BSG) die Revision gegen das Urteil eines LSG ua nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

Die - behauptete - Unrichtigkeit des Urteils des LSG ist hingegen kein Revisionszulassungsgrund. Gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnet werden. Genügt die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen nicht, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger die geltend gemachte Abweichung des Urteils des LSG von der Entscheidung des BSG in SozR 2200 § 1255 Nr 9 hinreichend "bezeichnet" hat. Jedenfalls liegt keine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG vor. Zwar findet sich in der genannten Entscheidung des BSG der Satz, wonach der Kalendermonat die kleinste Zeiteinheit für die Rentenberechnung darstellt. Diese Aussage bezieht sich nach den folgenden Ausführungen jedoch allein auf die Berücksichtigung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, der Beitrags- und Ersatzzeiten sowie von Ausfall- und Zurechnungszeiten. Die Entscheidung enthält aber keinen Rechtssatz, wonach bei mehreren Teilbeschäftigungen innerhalb eines Monats für die Beitragsbemessung der Monat ebenfalls die kleinste Zeiteinheit sei. Mangels eines entsprechenden Rechtssatzes konnte das Urteil des LSG hiervon nicht abweichen.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger nicht "dargelegt" (zur Darlegungslast und dazu, daß die ungenügende Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde führt: BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Nach Ansicht des Klägers soll der Frage rechtsgrundsätzliche Bedeutung zukommen, ob bei der Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze der Kalendermonat die kleinste Zeiteinheit darstellt. Unterstellt man, daß damit eine Rechtsfrage hinreichend deutlich formuliert ist, so ist jedoch nicht dargelegt, daß die angestrebte Entscheidung dieser Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung besitze, daß sie also in einer bisher nicht geschehenen, jedoch die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen werde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Hier fehlt es bereits an der grundsätzlichen Bedeutung wegen der fehlenden Klärungsbedürftigkeit; denn die aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil die Antwort auf sie praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4). Bei der Anrechnung von Versicherungszeiten und Versicherungsjahren, auf die der Kläger verweist, führen mehrere in einem Monat zurückgelegten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeittatbestände immer nur zur Anrechnung eines Kalendermonates. Würde dieses "Monatsprinzip" für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze auch bei mehreren in einem Monat zurückgelegten Beschäftigungsverhältnissen zugrunde gelegt, hätte das sachwidrige Ergebnisse zur Folge. So könnte zB mit dem Beitrag für nur einen Beschäftigungstag die monatliche Beitragsbemessungsgrenze erreicht werden, ein im selben Monat nachfolgendes Beschäftigungsverhältnis demnach beitragsfrei sein. Zur Vermeidung solcher Ungereimtheiten und des Ausschlusses von Manipulationsmöglichkeiten hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) zur Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis die Beitragsberechnungs-Richtlinien vom 16. September 1975 (BABl S 587) erlassen. In ihnen ist festgelegt, daß die Berechnung der Beitragsbemessungsgrenze für einen Teil-Lohnzahlungszeitraum so erfolgt, daß der auf den Kalendertag entfallende Teil der Jahres-Beitragsbemessungsgrenze (1/360) ungerundet mit der Anzahl der auf den Teil-Lohnzahlungszeitraum entfallenden Kalendertage zu vervielfachen ist (Punkt 1.1 der Richtlinien). Der Gesetzgeber hat diese Handhabung des BMA dadurch gebilligt, daß er in § 28n Nr 1 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften-, eingefügt durch das Gesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2330), eine Verordnungsermächtigung ua über die Berechnung der Beitragsbemessungsgrenzen für kürzere Zeiträume als ein Kalenderjahr aufgenommen hat. Dies erfolgte mit dem ausdrücklichen Ziel, den Inhalt der Beitragsberechnungs-Richtlinien, die in der Praxis beachtet würden, als Rechtsverordnung zu verkünden und damit verbindlich zu machen (Begr RegEntw, BT-Drucks 11/2221 S 26, zu § 28n). Damit ist auch für die Zukunft davon auszugehen, daß die Beitragsbemessungsgrenze für Teil-Lohnzahlungszeiträume entsprechend den aufgezeigten Grundsätzen zu berechnen ist, ohne daß es insoweit noch einer höchstrichterlichen Klärung bedürfte.

Der Kläger hat weiterhin die grundsätzliche Bedeutung der von ihm ebenfalls aufgeworfenen Frage, ob die "Beanstandung" von Eintragungen auf Versicherungskarten nur durch einen gesonderten Verwaltungsakt möglich ist, nicht "dargelegt". Ungeachtet dessen, daß bereits nicht der nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagende Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere der Schritt aufgezeigt worden ist, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfragen notwendig macht, mißt der Senat der angeführten Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Beanstandung von Beiträgen kann auch im Leistungsfall in der Weise erfolgen, daß die Berücksichtigung der beanstandeten Beiträge im Rentenfeststellungsverfahren abgelehnt wird. Dem Kläger mußte in Verbindung mit den Versicherungsverläufen vom 16. September 1980 und 12. April 1983, in denen jeweils die Entgeltminderung mitgeteilt worden war, auch deutlich geworden sein, daß nicht mehr als 9.590,-- DM an Pflichtbeiträgen zu berücksichtigen waren, das darüber hinausgehende Entgelt also beanstandet worden war. Dem steht nicht entgegen, daß er gemäß § 145 Abs 3 AVG einen - eigenen - Anspruch auf Feststellung der Wirksamkeit der Beitragsentrichtung geltend machen kann. Daraus kann nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß jede Beanstandung von Beitragsentrichtungen durch einen gesonderten Verwaltungsakt zu geschehen hat.

Nach alledem war die Beschwerde abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667036

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