Verfahrensgang

SG Nordhausen (Entscheidung vom 21.02.2017; Aktenzeichen S 3 R 818/15)

Thüringer LSG (Urteil vom 17.12.2020; Aktenzeichen L 2 R 521/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 17. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Mit Urteil vom 17.12.2020 hat das Thüringer LSG einen im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Festsetzung eines höheren Werts seiner Altersrente verneint. Zuvor hatte das SG die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verurteilt, dem Kläger ab dem 1.1.2009 höhere Altersrente ohne Abschläge iS des § 77 SGB VI unter Berücksichtigung von Vertrauensschutz nach § 236a SGB VI in der bei Rentenbeginn im Jahr 2003 geltenden Fassung (der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) zu gewähren. Vertrauensschutz könne der Kläger beanspruchen, weil er bei Rentenbeginn berufsunfähig nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht gewesen sei. Maßgeblich sei der vom Kläger bis zum Oktober 1974 ausgeübte Beruf eines BMSR-Mechanikers/Brigadeleiters, den der Kläger wegen einer damals erlittenen Herzmuskelentzündung nicht mehr habe ausüben können.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 17.5.2021 begründet hat.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung vom 17.5.2021 nicht.

Als Verfahrensmangel rügt der Kläger allein eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) und der zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen dienenden gerichtlichen Hinweispflichten, weil das LSG weder in noch vor der mündlichen Verhandlung einen Hinweis darauf gegeben habe, dass nach seiner Auffassung die gesundheitlichen Gründe für die Aufgabe der Tätigkeit als Brigadier nicht hinreichend nachgewiesen seien, obwohl dies von der Beklagten noch vor dem SG nicht in Zweifel gezogen worden sei. Ein solcher Hinweis hätte ihn in die Lage versetzt, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Bereits mit Schriftsatz vom 8.12.2020 habe er noch einmal die Belege hinsichtlich seiner gesundheitlichen Situation zusammengefasst und ein Sachverständigengutachten für den Fall angeboten, dass das LSG Zweifel haben sollte. Für diesen Fall habe er um einen richterlichen Hinweis gebeten.

Mit diesem und dem weiteren Vortrag der Beschwerdebegründung hat der bereits im Berufungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger eine Gehörsverletzung aufgrund einer Überraschungsentscheidung entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar bezeichnet. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 44; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 590 mwN). Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - juris RdNr 18 mwN). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Hiervon kann jedoch nach dem Inhalt der Beschwerdebegründung nicht ausgegangen werden.

So beruft sich der Kläger zwar darauf, aufgrund des Verlaufs der Verhandlung in erster Instanz, während der die Beklagte eine Lösung vom Beruf des Brigadiers aus gesundheitlichen Gründen noch zugestanden habe, und seines Schriftsatzes vom 8.12.2020 davon ausgegangen zu sein, dass auch das LSG eine gesundheitsbedingte Lösung vom Beruf seiner Entscheidung zugrunde legen werde. Jedoch versäumt er es bereits - wie erforderlich - darzulegen, dass die Annahme einer solchen Lösung vom Beruf des Brigadiers aus gesundheitlichen Gründen durch das SG nicht etwa mit der Berufung der Beklagten angegriffen worden und somit im Berufungsverfahren (erneut) streitig geworden ist. Darüber hinaus räumt er selbst ein, das LSG habe in einem Hinweisbeschluss Zweifel angedeutet, weil seine (des Klägers) Vita Anhaltspunkte dafür biete, dass er die Tätigkeit als Brigadier aus freien Stücken aufgegeben habe. Wieso ein kundiger Prozessbeteiligter hieraus nicht den Schluss ziehen musste, dass auf Seiten des LSG Zweifel an den gesundheitlichen Ursachen der Tätigkeitsaufgabe bestanden, ist nicht schlüssig dargetan. Eine mögliche Gehörsverletzung wird dabei auch im Hinblick auf den genannten Schriftsatz nicht erkennbar. Der Kläger verkennt insoweit, dass das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör nur gebietet, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Es gibt einem Beteiligten jedoch keinen Anspruch darauf, mit seinem Vorbringen auch in der Sache Erfolg zu haben, letztlich also "erhört" zu werden (vgl BVerfG Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).

Eine Sachaufklärungsrüge wegen Verstoßes des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) hat der Kläger jedenfalls nicht ausdrücklich erhoben. Sie wäre ebenfalls unzulässig. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Der Kläger stützt seine Beschwerde jedoch ua gerade darauf, dass ein solcher Beweisantrag wegen des unterbliebenen Hinweises durch das LSG nicht gestellt worden sei.

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14755207

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