Verfahrensgang

SG Neuruppin (Entscheidung vom 02.02.2021; Aktenzeichen S 7 R 217/19)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 06.07.2021; Aktenzeichen L 2 R 111/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Verpflichtung der Beklagten, seine Beschäftigungszeiten vom 1.10.1971 bis zum 30.6.1990 in der ehemaligen DDR als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Die Beklagte lehnte den Erlass entsprechender Bescheide ab, weil der Kläger zum Stichtag am 30.6.1990 nicht mehr in einem volkseigenen Betrieb, sondern in einer GmbH beschäftigt gewesen sei und es sich zudem bei dem Betrieb nicht um einen Produktionsdurchführungsbetrieb gehandelt habe. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG Neuruppin zurückgewiesen (Urteil vom 6.7.2021). Die betrieblichen Voraussetzungen für eine fiktive Einbeziehung in die AVItech lägen schon deshalb nicht vor, weil der VEB Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin kein Produktionsbetrieb iS der AVItech gewesen sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt Verfahrensmängel. Ein nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangener Schriftsatz vom 14.10.2021 enthält weitere klarstellende Hinweise.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

a) Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.

Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Er formuliert schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten Regelung des revisiblen Rechts mit höherrangigem Recht. Vielmehr behauptet er lediglich in wenigen Sätzen, es sei willkürlich, für die Gewährung der "Intelligenz-Rente" danach zu unterscheiden, in welchem Ausmaß die Tätigkeitsabläufe in dem Beschäftigungsbetrieb automatisiert gewesen seien. Dabei fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit den Gründen, die das BSG veranlasst haben, für einen Anspruch auf nachträgliche (fiktive) Einbeziehung in die AVItech unter Anknüpfung an die Texte dieser Versorgungsordnung und der sie ergänzenden Bestimmungen der ehemaligen DDR die Erfüllung bestimmter persönlicher, sachlicher und auch betrieblicher Voraussetzungen zu verlangen. Insbesondere befasst sich der Kläger nicht damit, dass das BSG die Anwendung der abstrakt-generellen Vorgaben der Versorgungsordnung im Rahmen einer fiktiven Einbeziehung gerade deshalb verlangt hat, um eine Verfestigung willkürlicher Vorgehensweisen der Stellen in der ehemaligen DDR (Instrumentalisierung von Versorgungszusagen zu politischen Zwecken) zu vermeiden (vgl BSG Urteil vom 24.3.1998 - B 4 RA 27/97 R - SozR 3-8570 § 5 Nr 3 S 10; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 4 RA 117/00 R - SozR 3-8570 § 5 Nr 6 S 39 f). Auch mit dem im LSG-Urteil zitierten Beschluss des BVerfG (Kammer) vom 26.10.2005 (1 BvR 1921/04 - SozR 4-8560 § 22 Nr 1) setzt sich der Kläger nicht auseinander. Nach dieser Entscheidung ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass das BSG das Bestehen eines fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in Zusatzversorgungssysteme vom Wortlaut der jeweiligen Versorgungsordnung abhängig gemacht hat (BVerfG ≪Kammer≫ aaO RdNr 43 = juris RdNr 47). Zu einer rückwirkenden Korrektur von Ungleichbehandlungen, die durch die Normsetzung der ehemaligen DDR hervorgerufen worden sind, ist die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland nicht verpflichtet (BVerfG ≪Kammer≫ aaO RdNr 44 = juris RdNr 48). Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, inwiefern die vom Kläger als willkürlich empfundene Rechtsetzung der DDR zu den betrieblichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVItech eine Verletzung seiner Rechte aus Art 3 Abs 1 GG bewirken könnte bzw inwieweit dazu noch weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf besteht.

b) Die Beschwerdebegründung bezeichnet auch einen Verfahrensmangel nicht in ausreichender Weise.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung des Klägers erfüllt diese Anforderungen nicht.

aa) Der Kläger rügt eine Verletzung der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG), weil das LSG keine Ermittlungen dazu angestellt habe, ob es sich bei dem VEB Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin nicht doch um einen Produktionsbetrieb iS der AVItech gehandelt hat. Jedoch benennt er keinen darauf bezogenen und von ihm bis zum Schluss angebrachten Beweisantrag, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auch ein vor dem LSG nicht durch Prozessbevollmächtigte vertretener Beteiligter - wie der Kläger - muss, wenn er eine Verletzung der Amtsermittlung rügen will, dem Berufungsgericht zumindest laienhaft verdeutlichen, zu welchen konkreten Umständen er weitere Sachaufklärung für geboten hält und auf welche Beweismittel das LSG hierfür zurückgreifen soll (vgl BSG Beschluss vom 17.7.2015 - B 9 SB 17/15 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung enthält keine Angaben, ob und gegebenenfalls in welcher Form dies geschehen ist.

bb) Außerdem macht der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Dazu trägt er vor, das LSG habe sich im Urteil auf Unterlagen im Verwaltungsverfahren bezogen, die ihm nicht vorgelegen hätten und ihm auch in der mündlichen Verhandlung am 6.7.2021 nicht zur Stellungnahme vorgelegt worden seien. Das LSG habe ihm in der äußerst kurzen Verhandlung keine hinreichende Gelegenheit gegeben, zu entscheidungsrelevanten Umständen vorzutragen und sich zu positionieren. Insbesondere habe er nichts bestreiten können, was nicht mit ihm erörtert worden sei.

Dieser Vortrag enthält keine schlüssige Darlegung von Umständen, aus denen sich - ihre Richtigkeit unterstellt - eine Gehörsverletzung ergibt. Zwar darf nach der besonderen Ausprägung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs in § 128 Abs 2 SGG ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten vor der Entscheidung haben äußern können. Dazu genügt es aber, wenn die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zu einer Äußerung haben und ihnen zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen eine angemessene Zeit eingeräumt wird (vgl BSG Beschluss vom 8.5.2019 - B 14 AS 37/18 B - juris RdNr 6 mwN). Dem Vorbringen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, aus welchen konkreten Umständen geschlossen werden könnte, dass ihm das LSG keine hinreichende Gelegenheit zu einem Vortrag zu den entscheidungsrelevanten Fragen gegeben habe. Insbesondere trägt er nicht vor, was das Protokoll des Termins vom 6.7.2021 über die wesentlichen Vorgänge der mündlichen Verhandlung aussagt (vgl § 122 SGG iVm § 160 Abs 2 und § 165 ZPO). Er teilt auch nicht mit, ob die ihm übermittelte Terminsmitteilung einen Hinweis auf die Beiziehung der Akten der Beklagten enthalten und ob er selbst eine Einsichtnahme in diese Akten vor oder während des Termins (etwa nach Äußerungen des Gerichts zur Sach- und Rechtslage) verlangt hat. Dass das LSG einen Antrag des Klägers auf Akteneinsicht abgelehnt habe, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Damit ist nicht ersichtlich, dass der Kläger selbst alles Zumutbare unternommen hat, um rechtliches Gehör zu erlangen. Schließlich fehlt es auch an hinreichendem Vortrag zu der Frage, inwiefern die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Gehörsverletzung beruhen kann.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14934854

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