Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und enthält die für das bestehende Rechtssystem wichtigsten Vorschriften. Im Arbeitsrecht spielen die im Grundgesetz zum Zeichen ihrer ganz herausragenden Bedeutung vorangestellten Grundrechte (– 19, 33 GG) eine bedeutende Rolle.[1]

[1] Vgl. hierzu Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, Berlin. Dieser bezeichnet die Arbeitsgerichtsbarkeit als die "Grundrechtfreudigste aller Zivilgerichtsbarkeiten" (S. 16 m.w.N.).

5.2.1.1 Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte

Zwar binden die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG nur Gesetzgebung (Legislative), vollziehende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) als unmittelbar geltendes Recht. Nur Art. 9 Abs. 3 (Koalitionsfreiheit) und Abs. 33 GG (Zugang zu öffentlichen Ämtern) weichen von diesem System ab und gelten für das Arbeitsrecht unmittelbar. Nach der Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte[1] gilt aber der Rechtsgehalt der Grundrechte imbürgerlichen Recht mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften, der besonders in den sog. Generalklauseln (z.B. § 138 BGB: Sittenwidrigkeit, Wucher; § 226 BGB: Schikaneverbot; § 242 BGB: Treu und Glauben; § 315 BGB: Ausübung des Direktionsrechts) realisierbar ist. Diese Grundrechte sind zudem zu berücksichtigen bei der Anwendung der kündigungsrechtlichen Generalklauseln, d.h. des wichtigen Grundes in § 626 BGB (§ 54 BAT) und derVerhaltens- oder Personenbedingtheit einer Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG,[2] aber auch bei einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG.

 
Praxis-Beispiel

Aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse sind im Betrieb der Firma Lauftnix GmbH betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Otto und Max verrichten die gleiche Arbeit. Das KSchG findet Anwendung. Otto hat eine Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren, keine Kinder zu unterhalten, ist verheiratet, seine Gattin berufstätig. Max ist seit 9 Jahren im Betrieb, hat keine Kinder zu unterhalten und ist ledig.

Wem von beiden ist im Rahmen einer Sozialauswahl zu kündigen?

Kann zu Lasten des Otto berücksichtigt werden, das dessen Ehefrau berufstätig ist?

Lösung:

Über die arbeitsrechtliche Generalklausel der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) findet aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte der Rechtsgehalt der Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 3 GG Anwendung. Diese Vorschriften stellen die Ehe und Familie unter besonderen Schutz und verbieten eine Schlechterstellung ohne sachlichen Grund. Das verbietet aber gerade eine Schlechterbehandlung aufgrund der Ehe im Verhältnis zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften (da diese nicht dokumentiert sind, können sie nicht erfaßt und damit bei einer Sozialauswahl nicht berücksichtigt werden).[3] Damit kann nur die Betriebszugehörigkeit ausschlaggebend sein, also ist Max zu kündigen.

[1] Grundlegend: BVerfG 15.01.1958 (Lüth-Urteil), BVerfGE 7, 198; BVerfG DB 1987, 279; BAG Großer Senat, NJW 1985, 2968; BAG, NZA 1986, 21.
[2] Löwisch, Rdnr. 144.
[3] Vgl. hierzu BAG, Urt. v. 08.08.1985 – EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 21.

5.2.1.2 Die wichtigsten Grundrechte der Arbeitnehmer

  • Art. 1 Abs. 1 GG (Würde des Menschen)

    Der Begriff "Würde" geht davon aus, dass der Mensch als geistig-sittliches Wesen darauf angelegt ist, in Freiheit und Selbstbewußtsein sich selbst zu bestimmen und auf die Umwelt einzuwirken.[1] Die "Menschenwürde" lässt sich am ehesten vom Verletzungsvorgang her bestimmen: der Mensch darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiert,[2] ihn als Subjekt in Frage stellt oder Ausdruck der Verachtung des Wertes ist, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt.[3]

  • Art. 2 GG

    Die Vorschrift enthält vier Grundrechte:

    1. Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

    2. Recht auf Leben (Abs. 2)

    3. Recht auf körperliche Unversehrtheit (Abs. 2)

    4. Recht auf Freiheit der Person (Abs. 2)

    Im Arbeitsrecht werden meist Art. 1 und 2 GG gemeinsam zu überprüfen sein.

 
Praxis-Beispiel

Schikanierende Weisungen sind unwirksam; die heimliche Video- oder Tonbandüberwachung von Arbeitnehmern ist unzulässig, dadurch gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden;[4] der Arbeitgeber darf nicht untätig zusehen, wenn einzelne Arbeitnehmer "gemobbt" werden. Der Schutz vor sexuellen Belästigungen ist mittlerweile in §§ 2 ff Beschäftigtenschutzgesetz[5] geregelt. Ein anderesBeispiel ist die ungehörige Form einer Kündigung, etwa durch Ausspruch auf der Toilette[6] oder die Bekanntgabe eines Diebstahlsverdachts am schwarzen Brett.

  • Art. 3 GG

    Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zählt zu den elementarsten Verfassungsgrundsätzen. Er enthält als Grundrecht einen Anspruch auf Gleichbehandlung.[7] Abs. 1 fordert keine schematische Gleichbehandlung, sondern eine angemessene, d.h. Gleiches ist gleich und Verschiedenes nach seiner Eigenart zu behandeln.[8] Unterscheidungen dürfen nur aus sachlichen Gründen vorgenommen werden. Der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt, wenn einvernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für ein...

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