Im Arbeitsrecht ist eine Fülle unterschiedlichster Vorschriften zu beachten, die von verschiedenen Institutionen geschaffen wurden (z.B. Bundestag, Landtag, EU, Tarifpartnern, Betriebspartnern, Vertragspartnern) und inhaltlich häufig gar nicht aufeinander abgestimmt sind. Damit man aber überhaupt erkennen kann, welche sich u.U. widersprechenden Regelungen im Einzelfall gelten, muss eine Reihenfolge der unterschiedlichen Regelungen gebildet werden. Das ist die Aufgabe der Lehre von den Rechtsquellen des Arbeitsrechts.

 
Praxis-Tipp

Ein systematisches Vorgehen ist zwingend erforderlich, um feststellen zu können, welche Regelungen im aktuellen Fall gelten, wenn es sich widersprechende Vorschriften gibt. Ein systematisches Vorgehen ist auch erforderlich, um einen Schritt zuvor überhaupt erkennen zu können, das es unterschiedliche und sich widersprechende Regelungen gibt.

5.1 Grundsätzliches

In der Literatur wurden viele Versuche gemacht, die unterschiedlichen Rechtsquellen des Arbeitsrechts zu ordnen.[1] In einer Grobeinteilung kann unterschieden werden zwischen staatlichem Recht (Gesetze, Rechtsverordnungen), internationalem Recht (Völkerrecht, EU-Recht), kollektivem Recht (Tarifverträge, Betriebs-, Dienstvereinbarungen), Richterrecht (meist Entscheidungen des BAG, die oft von Instanzgerichten übernommen werden, aber nicht übernommen werden müssen und der LAG;[2] Entscheidungen des BVerfG gehören hier auch dazu, gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG haben sogar Entscheidungsformel und die die Entscheidung tragenden Gründe Gesetzescharakter, d.h. sie müssen eingehalten werden[3]) und Individualvertrag (Arbeitsvertrag und dem daraus resultierenden Direktions-Weisungsrecht des Arbeitgebers).

Für die praktische Handhabung empfiehlt sich folgender Aufbau:

Rangordnung der Rechtsgrundlagen

[1] Vgl. z.B. Schaub, AH § 3, S. 9 ff; Brox Kapitel 2 S. 18 ff; Löwisch S. 18 ff; Däubler, Das Arbeitsrecht 1, Nr. 1.2. S. 35 ff.
[2] Vgl. zur richterlichenRechtsfortbildung Teil I. Nr. 1.2.
[3] Vgl. Wischermann, Rechtskraft und Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, Jur. Diss. Münster, Berlin 1979, 121 ff; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 31 Rdnr. 16.

5.2 Arten der Rechtsquellen und ihre Rangfolge

Als Grundsatz gilt bei mehreren rechtlichen Regelungen das Ordnungsprinzip, was bedeutet, dass die höherrangige Vorschrift die niederrangige verdrängt.

5.2.1 Grundgesetz im Arbeitsrecht

Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und enthält die für das bestehende Rechtssystem wichtigsten Vorschriften. Im Arbeitsrecht spielen die im Grundgesetz zum Zeichen ihrer ganz herausragenden Bedeutung vorangestellten Grundrechte (– 19, 33 GG) eine bedeutende Rolle.[1]

[1] Vgl. hierzu Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, Berlin. Dieser bezeichnet die Arbeitsgerichtsbarkeit als die "Grundrechtfreudigste aller Zivilgerichtsbarkeiten" (S. 16 m.w.N.).

5.2.1.1 Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte

Zwar binden die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG nur Gesetzgebung (Legislative), vollziehende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) als unmittelbar geltendes Recht. Nur Art. 9 Abs. 3 (Koalitionsfreiheit) und Abs. 33 GG (Zugang zu öffentlichen Ämtern) weichen von diesem System ab und gelten für das Arbeitsrecht unmittelbar. Nach der Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte[1] gilt aber der Rechtsgehalt der Grundrechte imbürgerlichen Recht mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften, der besonders in den sog. Generalklauseln (z.B. § 138 BGB: Sittenwidrigkeit, Wucher; § 226 BGB: Schikaneverbot; § 242 BGB: Treu und Glauben; § 315 BGB: Ausübung des Direktionsrechts) realisierbar ist. Diese Grundrechte sind zudem zu berücksichtigen bei der Anwendung der kündigungsrechtlichen Generalklauseln, d.h. des wichtigen Grundes in § 626 BGB (§ 54 BAT) und derVerhaltens- oder Personenbedingtheit einer Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG,[2] aber auch bei einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG.

 
Praxis-Beispiel

Aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse sind im Betrieb der Firma Lauftnix GmbH betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Otto und Max verrichten die gleiche Arbeit. Das KSchG findet Anwendung. Otto hat eine Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren, keine Kinder zu unterhalten, ist verheiratet, seine Gattin berufstätig. Max ist seit 9 Jahren im Betrieb, hat keine Kinder zu unterhalten und ist ledig.

Wem von beiden ist im Rahmen einer Sozialauswahl zu kündigen?

Kann zu Lasten des Otto berücksichtigt werden, das dessen Ehefrau berufstätig ist?

Lösung:

Über die arbeitsrechtliche Generalklausel der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) findet aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte der Rechtsgehalt der Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 3 GG Anwendung. Diese Vorschriften stellen die Ehe und Familie unter besonderen Schutz und verbieten eine Schlechterstellung ohne sachlichen Grund. Das verbietet aber gerade eine Schlechterbehandlung aufgrund der Ehe im Verhältnis zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften (da diese nicht dokumentiert sind, können sie nicht erfaßt und damit bei einer Sozialauswahl ...

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