Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung. Pausenvergütung. Nachtschichtzulagen. Begriff “vollkontinuierlich”

 

Orientierungssatz

Arbeiten, die im Sinne der Nr. 29 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern “einen vollkontinuierlichen Fortgang erfordern”, setzen ebenso wie ein “vollkontinuierlicher Schichtbetrieb” (Nr. 33 dieses Tarifvertrages) voraus, daß im Betrieb an allen sieben Tagen der Woche ununterbrochen gearbeitet wird.

 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Nr. 29; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Nr. 33; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Nr. 35; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Nr. 107; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern Nr. 137; ArbZG § 12 S. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 11.09.2001; Aktenzeichen 6 Sa 734/00)

ArbG Weiden (Urteil vom 13.09.2000; Aktenzeichen 5 Ca 564/00 S)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. September 2001 – 6 Sa 734/00 – insoweit, wie es die Beklagte zur Zahlung von 64,60 DM netto und 181,20 DM brutto nebst Zinsen verurteilt hat, und im Kostenausspruch aufgehoben.
  • Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden i.d.Opf. – Kammer Schwandorf – vom 13. September 2000 – 5 Ca 564/00 S – wird auch insoweit zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um tarifvertragliche Pausenvergütung und Nachtschichtzulagen. Sie legen den Begriff des “vollkontinuierlichen” Schichtbetriebes unterschiedlich aus.

Der Kläger ist als Maschinenanlagenfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Sie produziert in drei Schichten Dämmplatten und unterhält an fünf Tagen in der Woche einen durchlaufenden 24-Stunden-Betrieb.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag vom 1. Juli 1998 für die gewerblichen Arbeitnehmer der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern (MTV) anzuwenden. Er regelt die Pausenvergütung und die Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit wie folgt:

“Arbeitszeit

Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit

29. Bei 3- und 4-Schicht-Arbeiten, die einen vollkontinuierlichen Fortgang erfordern, sind die Pausen mit zu vergüten.

Zuschläge

Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, soweit diese vom Betrieb im Einvernehmen mit dem Betriebsrat angeordnet worden ist, sind folgende Zuschläge zu bezahlen:

32. 

Nachtarbeit (auch Nachtschichtarbeit)

25 %

33.

Nachtschichtarbeit im vollkontinuierlichen 3- oder 4-Schicht-Betrieb an mindestens fünf Tagen in der Woche

von 0.00 Uhr bis 4.00 Uhr

40 %

wenn die Nachtarbeit vor 0.00 Uhr aufgenommen wird

34.

Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist

60 %

In diesem Falle ist gerade die Nachtarbeit besonders belastend. Diesem Umstand wollen die Parteien Rechnung tragen und setzen deswegen für die

Nachtarbeit

35 %

und für die Mehrarbeit

25 %

fest.

35.

Nachtschichtarbeit im vollkontinuierlichen 3- oder 4-Schicht-Betrieb an mindestens fünf Tagen in der Woche, die gleichzeitig Mehrarbeit ist

65 %

In diesem Falle ist gerade die Nachtschichtarbeit besonders belastend. Diesem Umstand wollen die Parteien Rechnung tragen und setzen deswegen für die

Nachtschichtarbeit

40 %

und für die Mehrarbeit

25 %

fest.

Der Kläger hat für Februar 2000 nach Nr. 29 MTV 181,20 DM brutto Pausenvergütung und für Mai, Juni und Juli 1999 sowie für Februar 2000 nach Nr. 33 MTV Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 40 % verlangt. Die Beklagte hatte ihm für diese Monate nach Nr. 32 MTV lediglich einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % gezahlt. Die Differenz zum geforderten Nachtarbeitszuschlag belief sich auf 256,88 DM netto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es reiche aus, daß er in einem 3- oder 4-Schicht-Betrieb eingesetzt worden sei. Unerheblich sei es, daß die Arbeiten am Wochenende unterbrochen würden.

Er hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn 256,88 DM netto nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen;
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn 181,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, ein vollkontinuierlicher Betrieb liege nur vor, wenn an allen sieben Tagen in der Woche ununterbrochen gearbeitet werde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage, soweit es die Ansprüche nicht für verfallen angesehen hat, stattgegeben. Es hat dem Kläger Nachtarbeitszuschläge für die Zeit vom 21. bis 25. Februar 2000 in Höhe von 64,60 DM netto und eine Pausenvergütung für Februar 2000 in Höhe von 181,20 DM brutto zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

1. Dem Kläger steht der verlangte Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 40 % nicht zu. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen der Nr. 33 MTV sind nicht erfüllt. Ein

“vollkontinuierlicher” Schichtbetrieb liegt nur dann vor, wenn an allen sieben Tagen der Woche ununterbrochen gearbeitet wird. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung. Die Tarifsystematik und der Regelungszweck führen entgegen der Ansicht des Klägers zu keiner teleologischen Reduktion.

a) Nr. 137 Buchst. b MTV bestimmt zwar, daß “bei Arbeiten, die einen ununterbrochenen Fortgang erfordern (vollkontinuierliche 7-Tage-Betriebe) … die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Sonntagsarbeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ausgedehnt werden kann”. Der Klammerzusatz definiert jedoch nur für diese Regelung, was unter “Arbeiten, die einen ununterbrochenen Fortgang erfordern,” zu verstehen ist. Da im MTV eine allgemeine, auch auf die Nr. 29 und 33 anzuwendende Definition des Begriffs “vollkontinuierlich” fehlt, kommt es auf die sonst übliche Terminologie an.

aa) Bereits das Wort “kontinuierlich” bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch “stetig, ununterbrochen, lückenlos zusammenhängend” (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Band 4 2. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl.). Der Begriff “vollkontinuierlich” stellt höhere Anforderungen und bringt zum Ausdruck, daß eine ununterbrochen Arbeit an allen Kalendertagen gefordert wird.

bb) Von dieser Definition gehen auch die arbeitsrechtlichen Gesetze aus. Nach § 12 Satz 1 Nr. 4 ArbZG kann die Arbeitszeit in “vollkontinuierlichen Schichtbetrieben” an Sonn- und Feiertagen bis zu 12 Stunden verlängert werden. Nach einhelliger Auffassung im Schrifttum handelt es sich hierbei um Betriebe mit einer Betriebslaufzeit von 7 × 24 Stunden = 168 Stunden wöchentlich (Baeck/Deutsch Arbeitszeitgesetz § 12 Rn. 17; Buschmann/Ulber Arbeitszeitgesetz 3. Aufl. § 12 Rn. 7; Roggendorff Arbeitszeitgesetz 1. Aufl. C § 12 Rn. 13; Schliemann Arbeitzeitgesetz Stand Juni 2002 § 12 Rn. 15; Schliemann/Meyer Arbeitzeitrecht 2. Aufl. Rn. 722) . Betriebe, in denen die Arbeit am Wochenende unterbrochen wird, werden als “teilkontinuierlich” bezeichnet (vgl. Baeck/Deutsch aaO § 15 Rn. 9). Dementsprechend ist die Vereinbarung von Arbeitsleistung an Sonn- und Feiertagen für vollkontinuierliche Schichtarbeit typisch (vgl. BAG 11. November 1992 – 4 AZR 116/92 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Steine-Erden Nr. 1 = EzA FeiertagslohnzG § 1 Nr. 44, zu III 4a der Gründe; Forschungsbericht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Nr. 37 1979 S 1; Struckmann Die Arbeitszeitplanung in Industriebetrieben 1960 S 171).

b) Wenn sich der Tarifvertrag an die übliche juristische Terminologie hält, sind eigenständige Begriffsbestimmungen und ergänzende Tatbestandsmerkmale entbehrlich. Der fehlende Hinweis auf einen 7-Tage-Betrieb rechtfertigt es dementsprechend nicht, teilkontinuierliche Betriebe iSd. Nr. 33 MTV als vollkontinuierliche anzusehen.

Eine derartige Auslegung läßt sich auch nicht darauf stützen, daß für den Anspruch auf erhöhte Nachtzuschläge nach Nr. 33 MTV “Schichtarbeit … an mindestens fünf Tagen in der Woche” erforderlich ist. Diese zusätzliche Voraussetzung knüpft an die Schichtarbeit des einzelnen Arbeitnehmers und damit an seine individuelle Arbeitszeit an. Diese individuelle Schichtarbeit muß nach Nr. 33 MTV “im vollkontinuierlichen 3- oder 4-Schicht-Betrieb” abgeleistet werden. Der Begriff “vollkontinuierlich” bezieht sich nicht auf die individuelle Arbeitszeit, sondern auf die Betriebslaufzeit.

c) Aus Nr. 137 Buchst. b MTV läßt sich nicht herleiten, daß die Tarifvertragsparteien nicht nur 7-Tage-Betriebe, sondern auch Betriebe mit kürzerer Betriebslaufzeit zu den vollkontinuierlichen zählen. Diese Bestimmung stellt auf Arbeiten ab, die “einen ununterbrochenen Fortgang erfordern”. Derartige Arbeiten werden nach dem Klammerzusatz in “vollkontinuierlichen 7-Tage-Betrieben” geleistet. Mit diesem Klammerzusatz sollte jedes Mißverständnis ausgeschlossen werden. Dieser Klarstellung ist jedoch nicht zu entnehmen, daß vom juristisch üblichen Begriff “vollkontinuierlich” abgewichen werden sollte.

d) Nr. 107 MTV spricht vielmehr dafür, daß auch die Tarifvertragsparteien vom üblichen Sprachgebrauch ausgegangen sind. Nach Nr. 107 Satz 1 MTV ist “Urlaubstag der Arbeitstag, wobei die Urlaubswoche fünf Arbeitstage zählt”. Nach Nr. 107 Satz 2 zählen Samstage, Sonn- und gesetzliche Feiertage nicht als Urlaubstage. In Nr. 107 Satz 3 MTV wird in Fettdruck hervorgehoben, daß im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb betriebliche Vereinbarungen getroffen werden können. Diese Sonderregelung erklärt sich daraus, daß in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben nicht nur an fünf Tagen pro Woche, sondern begriffsnotwendig an sieben Tagen gearbeitet wird.

e) Der Regelungszweck erfordert keine Korrektur des Auslegungsergebnisses. In Nr. 34 MTV haben die Tarifvertragsparteien für Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist, wegen der besonderen Belastung höhere Zuschläge vorgeschrieben. Eine weitere Anhebung des Zuschlags erfolgt, wenn derartige Nachtschichtarbeit in vollkontinuierlichen 3- oder 4-Schicht-Betrieben geleistet wird. Dafür gibt es einleuchtende Gründe. Die Schichtpläne müssen dem 7-Tage-Betrieb Rechnung tragen. Dies führt häufig zu weiteren Beeinträchtigungen der Arbeitnehmer, insbesondere durch Wochenend- und Feiertagsarbeit.

2. Ebensowenig kann der Kläger nach Nr. 29 MTV Pausenvergütung verlangen. Er verrichtete keine 3-Schicht-Arbeiten, “die einen vollkontinuierlichen Fortgang erfordern”. Der Begriff “vollkontinuierlich ” ist in Nr. 29 MTV ebenso wie in Nr. 33 MTV auszulegen.

 

Unterschriften

Kremhelmer, Bepler, Breinlinger, Volker Ludwig, Horst Schmitthenner

 

Fundstellen

Haufe-Index 954250

NZA 2003, 688

AP, 0

NJOZ 2003, 1592

SPA 2003, 5

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