Entscheidungsstichwort (Thema)

Abbau einer planwidrigen Überversorgung

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zum Urteil vom 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 –, zur Veröffentlichung vorgesehen

 

Normenkette

BetrAVG §§ 1, 2 Abs. 1, 5; BGB § 242; BetrVG §§ 76-77, 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 16.12.1997; Aktenzeichen 9 (12) Sa 854/97)

ArbG Köln (Urteil vom 19.03.1997; Aktenzeichen 10 Ca 10954/96)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgericht Köln vom 16. Dezember 1997 – 9 (12) Sa 854/97 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, welche Gesamtversorgungsobergrenzen anzuwenden sind.

Der am 12. Juni 1941 geborene Kläger war vom 4. April 1956 bis zum 31. März 1994 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Seit 1. April 1994 erhält er aufgrund des Rentenbescheids der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die Beklagte hatte im Jahre 1951 eine betriebliche Versorgung eingeführt, die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten umfaßte. Die Alters- und Invaliditätsrente der Angestellten betrug nach einer Wartezeit von zehn Jahren 15 % des letzten Grundgehalts. Der Steigerungssatz belief sich für jedes weitere Dienstjahr auf 1 %. Diese Versorgungsregelungen wurden durch die ab 1. Januar 1958 geltenden Richtlinien (RL 58) geändert. Zur Begründung wies die Beklagte in der Bekanntmachung vom 23. Oktober 1958 darauf hin, daß sich die meisten Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Rentenreform des Jahres 1957 wesentlich erhöht hätten und entgegen der bisherigen Annahme nicht mehr unzureichend seien. In die RL 58 wurden Gesamtversorgungsobergrenzen aufgenommen. Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren durften die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung insgesamt nur 65 % des letzten Grundgehalts betragen. Dieser Prozentsatz erhöhte sich für jedes weitere Dienstjahr um 0,75 % bis zu höchstens 80 % bei 45 Dienstjahren. Diese Vorschriften wurden unverändert in die Versorgungsrichtlinien vom 6. Mai 1968 (RL 68) übernommen.

Die Beklagte schloß dieses Versorgungswerk zum 31. Dezember 1973 für neu eintretende Arbeitnehmer. Für sie wurden ungünstigere Versorgungsregelungen geschaffen. Den vorher eingestellten Arbeitnehmern teilte die Beklagte mit Schreiben vom 12. Dezember 1974 „zur Wahrung Ihres Besitzstandes” mit, daß sich ihre Altersversorgung nach den Bestimmungen der Richtlinien vom 6. Mai 1968 richte. Seit 1980 versuchte die Beklagte mehrfach, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat die in den RL 68 enthaltenen Gesamtversorgungsobergrenzen entsprechend der Entwicklung der Nettoarbeitseinkommen abzuändern. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung. Die auf Antrag der Beklagten errichtete Einigungsstelle beschloß am 4. Dezember 1993, Abschnitt VIII B 2 a und b RL 68 wie folgt zu ändern:

„2.a) Die Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung werden durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt begrenzt:

Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 59 % des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitere Dienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,6 % bis zu höchstens 71 % bei 45 Dienstjahren. Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf freiwilliger Höherversicherung oder freiwilliger Weiterversorgung beruhen, bleiben unberücksichtigt.

2.b) Unabhängig von der Bestimmung in 2.a) wird die betriebliche Rente in jedem Falle mit einem Mindestrentenbetrag in Höhe von 40 % der gemäß 1. ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt; sie darf jedoch zusammen mit der Sozialversicherungsrente 100 % des pensionsfähigen Nettoentgelts nicht überschreiten.”

Aufgrund dieses Spruches errechnete die Beklagte eine monatliche Betriebsrente des Klägers in Höhe von 1.971,00 DM.

Der Kläger hat eine zusätzliche monatliche Betriebsrente in Höhe von 532,00 DM verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die Gesamtversorgungsobergrenze der RL 68 nicht ändern dürfen. Die Geschäftsgrundlage der bisherigen Versorgungsregelungen sei nicht weggefallen. Eine planwidrige Überversorgung habe nicht vorgelegen. Ein Versorgungsgrad von mehr als 100 % des Nettoarbeitseinkommens sei von vornherein vorgekommen und hingenommen worden. Nachdem das bisherige Versorgungswerk zum 31. Dezember 1973 für neu eintretende Arbeitnehmer geschlossen worden sei, habe die Beklagte die vorher eingestellten Arbeitnehmer Ende 1974 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ihr Besitzstand gewahrt werde. Dies habe die Beklagte in Kenntnis der Überversorgung auch gegenüber dem Betriebsrat mehrfach bestätigt. Sie habe durch ihr Verhalten einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Nach Jahrzehnten könne sie sich nicht mehr auf einen etwaigen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Zudem habe im Jahre 1990 eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse stattgefunden. Mit Schreiben vom 30. Januar 1990 habe die Beklagte allen betroffenen Beschäftigten mitgeteilt, daß die RL 68 zu einer Überversorgung führten und die ab 1. Januar 1990 gewährte übertarifliche Zulage nicht mehr zum „pensionsfähigen Einkommen” zählen solle. Wirtschaftliche Gründe für die Einschnitte in der Altersversorgung hätten nicht vorgelegen. Der Beklagten sei es schon aufgrund ihrer Rückstellungen zumutbar gewesen, die Altersversorgung in der ursprünglichen Höhe aufrecht zu erhalten.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

  1. an ihn für die Zeit vom 1. April 1994 bis 28. Februar 1997 18.620,00 DM nebst 4 % Zinsen von jeweils 532,00 DM ab dem 2. des jeweiligen Folgemonats zu zahlen;
  2. ab März 1997 an den Kläger monatlich 532,00 DM zusätzlich zu dem gezahlten Betrag in Höhe von 1.971,00 DM als Betriebsrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Gesamtversorgungsobergrenzen hätten der Entwicklung der Nettoarbeitseinkommen angepaßt werden dürfen. Die Geschäftsgrundlage für die bisherige Versorgungsordnung sei weggefallen. Durch die Nettogesamtversorgungsobergrenze werde eine planwidrige Überversorgung abgebaut. Im Jahre 1958 habe die Gesamtversorgung in der Regel höchstens 100 % des letzten monatlichen Nettogehalts betragen. Zwischenzeitlich sei die Abgabenbelastung um mehr als 50 % gestiegen. Die Beklagte habe immer wieder versucht, mit dem Betriebsrat eine einvernehmliche Lösung zu finden. Sie habe nicht den Eindruck erweckt, daß sie von einem Abbau der Überversorgung absehen werde. Im Jahre 1990 habe lediglich verhindert werden sollen, daß sich die Überversorgung durch die Gewährung zusätzlicher übertariflicher Zulagen noch vergrößerte.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht keine höhere Betriebsrente zu. Die Beklagte hat zu Recht die von der Einigungsstelle beschlossene neue Gesamtversorgungsobergrenze angewandt.

I. Der Spruch der Einigungsstelle ist wirksam. Diese Frage war bereits Gegenstand des Beschlußverfahrens (– 3 ABR 21/95 – AP Nr. 4 zu § 83 a ArbGG 1979). Das Arbeitsgericht hatte dem Antrag des Betriebsrats, die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle festzustellen, nur insoweit stattgegeben, als Abschnitt VIII B 2 b (Mindestversorgung) geändert worden ist. Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats insgesamt abgewiesen. Der Senat hat die nach Ausscheiden des letzten Betriebsratsmitglieds eingelegte Rechtsbeschwerde mit Beschluß vom 27. August 1996 (– 3 ABR 21/95 –, aaO) als unzulässig verworfen. In den Gründen (aaO, zu B II 3 der Gründe) hat er offengelassen, ob dadurch der Beschluß des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig geworden ist. Auch im vorliegenden Rechtsstreit kommt es nicht darauf an. Ebensowenig spielt es eine Rolle, wie weit die Bindungswirkung reichen würde. Das Landesarbeitsgericht hatte richtig entschieden. Die Einigungsstelle durfte die Gesamtversorgungsobergrenzen absenken.

1. Unschädlich ist es, daß der Spruch der Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung ersetzte und in Rechte aus einer Gesamtzusage eingriff. Die Gesamtzusage ist zwar der einzelvertraglichen Ebene zuzuordnen. Das Günstigkeitsprinzip steht aber einer Betriebsvereinbarung nicht entgegen, soweit die Geschäftsgrundlage der Versorgungszusage weggefallen ist und damit die bisherigen Versorgungsregelungen vertragsrechtlich nicht mehr geschützt sind (vgl. BAG GS Beschluß vom 16. September 1986 – GS 1/82BAGE 53, 42, 75 f. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C IV 2 und 3 der Gründe). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Entwicklung der Steuern und Sozialversicherungsabgaben hatte zu einer planwidrigen Überversorgung geführt.

a) Ob eine planwidrige Überversorgung vorliegt, hängt von dem in der jeweiligen Versorgungsordnung angestrebten Versorgungsgrad ab. Gesamtversorgungssysteme können auf eine geringfügige Aufstockung der Sozialversicherungsrenten, die Erhaltung des im aktiven Dienst erreichten Lebensstandards oder eine darüber hinausgehende Versorgung ausgerichtet sein. Wenn der Arbeitgeber eine Überversorgung vertraglich verspricht, muß er sie erbringen, ohne sich auf veränderte Gerechtigkeitsvorstellungen berufen zu können (BAG Urteile vom 30. Oktober 1984 – 3 AZR 236/82BAGE 47, 130, 136 f. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung, zu II 1 c der Gründe und vom 23. Oktober 1990 – 3 AZR 260/89BAGE 66, 145, 151 f. = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 2 a und b der Gründe). Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber die Überversorgung nicht bewußt in Kauf genommen, sondern lediglich eine Vollversorgung angestrebt.

aa) Wenn die Versorgungszusage nicht auf einer individuellen Vereinbarung, sondern auf einer allgemeinen Versorgungsordnung beruht, kommt es für die Feststellung des Versorgungszieles auf den Zeitpunkt an, in dem das Versorgungssystem geschaffen worden ist. Bei einer Gesamtzusage ist auf deren Erteilung und nicht auf den Beginn des einzelnen Arbeitsverhältnisses abzustellen. Sie hat für alle angesprochenen Arbeitnehmer den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung.

bb) Die RL 58 führten eine Gesamtversorgungsobergrenze ein. Aus ihr ergibt sich, daß die Betriebsrenten lediglich die Sozialversicherungsrenten ergänzen und den bisherigen Lebensstandard in einem gewissen, von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängigen Umfang gewährleisten sollten. Bei einer Überschreitung der Gesamtversorgungsobergrenze war die Betriebsrente zu kürzen. Durch diese Ausgestaltung der Versorgungsordnung wurde der Versorgungsbedarf in den Vordergrund gestellt. Er richtete sich nach dem Einkommen, das die Betriebsrentner als aktive Arbeitnehmer erzielt hatten. Eine geplante Überversorgung läßt sich weder den RL 58 noch den Begleitumständen entnehmen.

Aus den Hinweisen der Beklagten vom 23. Oktober 1958 ergibt sich, daß sie die Betriebsrentner nicht besser stellen wollte als die aktiven Arbeitnehmer, sondern allenfalls den bisherigen Lebensstandard aufrecht erhalten wollte. Die in den RL 58 eingeführte Gesamtversorgungsobergrenze entsprach diesem Versorgungsziel. Damals erschien ein Abschlag von 20 % vom Bruttoarbeitsverdienst als ausreichend, um die Abgabenbelastung auszugleichen, die auf die Arbeitsverdienste vergleichbarer Arbeitnehmer entfiel. Im Urteil vom 10. April 1962 (– 3 AZR 346/61 – BAGE 13, 70, 77 = AP Nr. 83 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu III 3 der Gründe) und im Beschluß vom 8. Dezember 1981 (– 3 ABR 53/80BAGE 36, 327, 341 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B III 2 b (1) der Gründe) hat das Bundesarbeitsgericht eine Bruttolohnquote von 85 % als geeignete, äußerste Grenze einer Vollversorgung angesehen. Dies entspricht den allgemein zugänglichen statistischen Erkenntnissen, die zu den offenkundigen Tatsachen i. S. d. § 291 ZPO gehören. Im Jahre 1958 lag das Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit bei 85,1 % (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1964 Abschnitt XXIII 9, S. 554). Die Gesamtversorgungsobergrenze der RL 58 von 80 % lag sogar darunter. Damit trug die Beklagte der Vergütungsstruktur des erfaßten Arbeitnehmerkreises Rechnung.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß die Versorgungsordnung einen generalisierenden und pauschalierenden Maßstab anwenden darf. Unerheblich ist es, wenn bereits 1958 in fünf Fällen die Steuern und Sozialversicherungsabgaben insgesamt über 20 % lagen. Der gewählte Prozentsatz baute auf einer Schätzung auf, die auf den Regelfall zugeschnitten war. Die Pauschalierung konnte zwar – im Gegensatz zu einer rechnerisch exakten Ermittlung der jeweils letzten Nettoeinkünfte – zu Unter- oder Überversorgungen führen. Dies ändert aber nichts an dem Ziel, die Arbeitnehmer bei Eintritt in den Ruhestand vor Einbrüchen im Lebensstandard zu schützen (vgl. BAG Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89BAGE 67, 385, 395 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 3 b (1) der Gründe).

Soweit die RL 58/68 eine Mindestrente von 40 % vorsahen, haben sie allenfalls eine engbegrenzte Überversorgung in Kauf genommen. Diese Ausnahmeregelung stellt das Grundprinzip nicht in Frage. Im vorliegenden Fall spielt die Mindestrente keine Rolle. Die von der Beklagten errechnete Betriebsrente liegt über der Mindestrente.

Die Beibehaltung der Obergrenze von 80 % des Bruttogehalts in den RL 68 besagt nicht, daß die Beklagte seither Überversorgungen hinnehmen wollte. Schweigen und Untätigkeit enthalten nur in Ausnahmefällen eine Willenserklärung. Soweit Regelungen unverändert bleiben, behalten sie grundsätzlich ihren bisherigen Inhalt. Aus einer planwidrigen Überversorgung wird nicht ohne weiteres eine zugesagte. Eine derartige Umgestaltung der Versorgungsregelung hätte eine entsprechende Änderung der Gesamtzusage vorausgesetzt. Die Beklagte hat keine solche Willenserklärung abgegeben.

Im übrigen hatten sich in der Zeit von 1958 bis zum Erlaß der Richtlinien vom 6. Mai 1968 die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer nicht so erhöht, daß die Beklagte von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgehen mußte. Während die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit im Jahre 1958 bei 85,1 % des Bruttoverdienstes lagen, beliefen sie sich im Jahre 1967 auf 81,6 % und im Jahre 1968 auf 80,4 % (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1969 Abschnitt XXIV 9, S. 503).

cc) Die weitere Entwicklung der gesetzlichen Abzüge führte zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Während sich bei den Arbeitseinkommen der aktiven Arbeitnehmer die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge seit 1958/68 laufend erhöhten, stiegen die Steuern und Sozialversicherungsabgaben der Betriebsrentner nicht in entsprechendem Umfang. Die durchschnittlichen Abzüge beliefen sich 1991 auf insgesamt 31,5 % der Bruttoarbeitsentgelte, so daß die durchschnittlichen Nettoverdienste auf 68,5 % sanken (Essig/Strohm, Wirtschaft und Statistik, 1991, 577, 591). Diese Entwicklung hat sich auch im Jahre 1993 fortgesetzt (vgl. Tabellen in Wirtschaft und Statistik, 1995, 286). Vor allem die Auswirkungen der Steuerprogression und die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge führten dazu, daß die Nettoverdienstquote drastisch abnahm. Die Abzüge lagen um mehr als 50 % über dem Niveau von 1958/68. Überversorgungen waren nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Dies war mit dem Versorgungsziel, das den RL 58/68 zugrunde lag, nicht mehr zu vereinbaren.

b) Wie stark die Beklagte durch die unveränderte Fortzahlung der Betriebsrenten belastet würde, spielt keine Rolle. Der Abbau einer Überversorgung ist weder ein Fall der wirtschaftlichen Notlage noch ein Fall des unverhältnismäßigen Auseinanderklaffens von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzstörung), sondern ein Fall der Zweckverfehlung. Er hängt nicht von der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers ab (vgl. BAG Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89BAGE 67, 385, 394 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 3 a der Gründe, m.w.N.).

2. Die von der Einigungsstelle beschlossene Änderung der Versorgungsordnung setzt die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage um und hält sich dabei in den rechtlich zulässigen Grenzen. Sie trägt den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Rechnung.

a) Mit der Änderung der Gesamtversorgungsobergrenzen hat die Beklagte angemessen auf die zwischenzeitlich eingetretene Überversorgung reagiert. Der Abbau einer Überversorgung rechtfertigt grundsätzlich auch Eingriffe in den erdienten Besitzstand (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u.a. Beschluß vom 8. Dezember 1981 – 3 ABR 53/80BAGE 36, 327, 340 f. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B III 2 b der Gründe; Urteil vom 17. März 1987 – 3 AZR 64/84BAGE 54, 261, 273 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 3 c (1) der Gründe; Urteil vom 27. August 1996 – 3 AZR 466/95BAGE 84, 38, 54 = AP Nr. 22 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu IV 2 b der Gründe; Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B III 2 a der Gründe). Die geänderte Gesamtversorgungsobergrenze ist geeignet, die planwidrige Überversorgung zu beseitigen. Die Anpassungsregelung hält sich im Rahmen der Geschäftsgrundlage, die den RL 58/68 zugrunde lag.

aa) Die Gesamtversorgungsobergrenze wurde entsprechend der zwischenzeitlichen Entwicklung der Abgabenbelastung abgesenkt. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des Gesamtversorgungssystems. Es stellt auf den Versorgungsbedarf ab. Er hängt davon ab, welche Beträge den aktiven Arbeitnehmern zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts und ihrer persönlichen Bedürfnisse zur Verfügung standen. Mit der Veränderung der Abgabenbelastung verändert sich auch der Versorgungsbedarf.

bb) Das verfügbare Arbeitseinkommen ist auch bei bruttolohnbezogenen Gesamtversorgungsobergrenzen entscheidend. Bruttoentgelt- und nettoentgeltbezogene Gesamtversorgungsobergrenzen dienen dem gleichen Ziel. Sie legen fest, in welchem Umfang der bisherige Lebensstandard abgesichert werden soll (vgl. BAG Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B II 3 c der Gründe). Je mehr bei den gesetzlichen Abgaben auf den Einzelfall abgestellt wird, desto genauer wird das Versorgungsziel erreicht. Andererseits ist der Verwaltungsaufwand um so größer, je mehr die individuellen Verhältnisse berücksichtigt werden. Versorgungsordnungen dürfen typisieren und pauschalieren, müssen es aber nicht. Für welchen Weg sich die Betriebspartner entscheiden, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage.

Die bruttoentgeltbezogene Gesamtversorgungsobergrenze in den RL 58/68 baute auf einer Schätzung auf. Sie konnte – gemessen an einer rechnerisch exakten Ermittlung der jeweiligen letzten Nettoeinkünfte – zu einer geringfügigen Unter- oder Überversorgung führen. Dies ändert nichts an dem Ziel, dem Arbeitnehmer mit Eintritt in den Ruhestand ein bedarfsorientiertes Einkommen zu sichern. Auch Nettoklauseln müssen nicht exakt, sondern nur annäherungsweise das Versorgungsziel erreichen (BAG Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89BAGE 67, 385, 395 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 3 b (1) der Gründe). Im Spruch der Einigungsstelle ist das bisherige Versorgungssystem beibehalten und den veränderten Verhältnissen angepaßt worden.

cc) Die Einigungsstelle hat nicht nur die Abgabenentwicklung bei den aktiven Arbeitnehmern, sondern auch die Abgabenentwicklung bei den Betriebsrentnern berücksichtigt. Während im Jahre 1958 auf die Renten nahezu aller Arbeitnehmer fast keine Abgaben entfielen, müssen die Betriebsrentner nunmehr Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung leisten. Auf die Abgabenlast der Betriebsrentner hat die Einigungsstelle in ihrem Spruch vom 4. Dezember 1993 ausdrücklich hingewiesen und im Ergebnis auf die Nettorentenbezüge abgestellt. Die auf die Betriebsrenten entfallenden Abgaben wurden durch eine fünfprozentige Anhebung der zunächst vorgesehenen Steigerungssätze ausgeglichen. Diese Pauschalierung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

dd) Unerheblich ist es, wieviele Arbeitnehmer die höchstmögliche Beschäftigungsdauer von 45 Dienstjahren erreichen können. Bei geringeren Dienstzeiten sollte nach den RL 58/68 keine Vollversorgung, sondern ein geringerer Versorgungsgrad erreicht werden. Dieser ursprünglich vorgesehene Versorgungsgrad wird durch die Anpassungsregelung wiederhergestellt. Eine die Anpassungsbefugnis begründende „Überversorgung” kann auch insoweit vorliegen, als die Versorgungsordnung nur einen unterhalb der letzten Nettoeinkünfte liegenden Versorgungsgrad angestrebt hat und dieser Versorgungsgrad nunmehr aufgrund der Änderungen im Abgabenrecht planwidrig erheblich überschritten wird (BAG Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B II 3 a der Gründe).

b) Das Vertrauen der Arbeitnehmer auf eine Gesamtversorgung von mehr als 100 % des Nettoeinkommens ist nicht schutzwürdig (ständige Rechtsprechung; BAG Beschluß vom 8. Dezember 1981 – 3 ABR 53/80BAGE 36, 327, 340 ff. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B III 2 der Gründe; Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89BAGE 67, 385, 396 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu III 1 der Gründe; Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B III 2 a der Gründe). Es besteht kein Anlaß, diese Rechtsprechung zu ändern. Auch im vorliegenden Fall konnten die Begünstigten nicht darauf vertrauen, daß die Arbeitgeberin der Fehlentwicklung nicht mehr begegnen werde.

aa) Ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer hat der Senat selbst dann verneint, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, er beabsichtige, den Altbestand von Versorgungsberechtigten auch künftig zu schonen. Solche Erwartungen müßten in rechtsverbindlicher Weise festgelegt werden, bei einer Betriebsvereinbarung etwa durch den Ausschluß der Kündigung (BAG Urteil vom 9. April 1991 – 3 AZR 598/89 –, aaO, zu III 2 der Gründe). Die Beklagte hat sich zu keinem Zeitpunkt rechtsgeschäftlich verpflichtet, die Überversorgung beizubehalten. Selbst eine entsprechende Absichtserklärung fehlt.

(1) Den Arbeitnehmern, die bis zum 31. Dezember 1973, d.h. bis zur Schließung des Versorgungswerks eingestellt worden waren, teilte die Beklagte im Schreiben vom 12. Dezember 1974 „zur Wahrung ihres Besitzstandes mit”, daß „sich ihre Altersversorgung nach den Bestimmungen der Richtlinien vom 6. Mai 1968 richtet”. Damit wurde lediglich klargestellt, daß für diesen Personenkreis nicht das neue, ungünstigere Versorgungswerk, sondern die bisherige Versorgungsordnung mit allen ihren Rechten und Pflichten gilt. Daraus läßt sich nicht ableiten, daß die Beklagte auf etwaige Gestaltungsrechte aus den RL 58/68 verzichten wollte. Die Beklagte hat nicht zum Ausdruck gebracht, daß sie die Rechte der Arbeitnehmer aus den RL 68 verstärken und die Versorgungsziele erweitern wollte.

(2) Das an den Betriebsrat gerichtete Schreiben der Beklagten vom 22. Februar 1979 betraf die Altersversorgung für außertarifliche Angestellte, die nicht unter den Geltungsbereich der RL 58/68 fielen. In diesem Schreiben führte die Beklagte aus, daß der Besitzstandsschutz für die vor dem 1. Januar 1974 eingetretenen Tarifangestellten zu einer Überversorgung dieses Mitarbeiterkreises führe. „Diese in jeder Hinsicht unerwünschte Folge, die seinerzeit aus Rechtsgründen unvermeidbar” gewesen sei, werde „im Rahmen einer auslaufenden Regelung auf den engen Kreis der alten Tarifangestellten beschränkt”. Eine Ausdehnung auf AT-Angestellte komme nicht in Betracht. Die Beklagte hat damit zu erkennen gegeben, daß sie lediglich rechtlichen Pflichten nachkommen, die Überversorgung jedoch nicht billigen wollte, sondern sie ablehnte. Der enge Anwendungsbereich der RL 58/68 erklärt, daß die Beklagte zunächst nicht weiter versuchte, den Abbau der Überversorgung gegen den Widerstand des Betriebsrats durchzusetzen. Die im Jahre 1979 noch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten sind eine zusätzliche einleuchtende Erklärung für die Zurückhaltung der Beklagten. Zum einen hatte die Überversorgung noch nicht das gegenwärtige Ausmaß angenommen. Zum anderen lag das Urteil des Senats vom 9. Juli 1985 (– 3 AZR 546/82 – AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Ablösung), in dem auch ohne Widerrufsvorbehalt ein Abbau der Überversorgung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugelassen wurde, noch nicht vor.

(3) Im Schreiben vom 30. Januar 1990 bat die Beklagte die nach den RL 58/68 versorgungsberechtigten Arbeitnehmer um Zustimmung, daß eine ab 1. Januar 1990 neu gewährte übertarifliche Zulage nicht mehr zum pensionsfähigen Einkommen gerechnet werde. Mit diesem Vertragsangebot hat die Beklagte weder ihr Anpassungsrecht ausgeübt noch erklärt, sie werde sich nicht mehr auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Vielmehr sollte verhindert werden, daß die Überversorgung weiter anwächst und der Beklagten noch zusätzliche Belastungen entstehen. Abgesehen davon hat der Kläger selbst nicht behauptet, daß er das Angebot der Beklagten angenommen habe.

(4) Die RL 58/68 enthielten keine steuerschädlichen Widerrufsvorbehalte mehr. Von der Aufnahme der steuerunschädlichen Widerrufsvorbehalte wurde abgesehen. Ihnen kommt ohnehin nur deklaratorische Bedeutung zu. Das Fehlen deklaratorischer Widerrufsvorbehalte bedeutet nicht, daß der Arbeitgeber die Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausschließen will (vgl. BAG Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B II 3 b der Gründe).

bb) Ein Vertrauenstatbestand ergibt sich auch nicht daraus, daß die Gesamtversorgungsobergrenzen erst nach längerer Zeit angepaßt wurden (vgl. BAG Beschluß vom 23. September 1997 – 3 ABR 85/96 –, aaO, zu B III 2 a der Gründe). Unter welchen Voraussetzungen eine Überversorgung vorliegt und abgebaut werden darf, wurde erst nach 1980 durch das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen geklärt (vgl. BAG Beschluß vom 8. Dezember 1981 – 3 ABR 53/80BAGE 36, 327, 342 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu B III 2 b (1) der Gründe; Urteil vom 9. Juli 1985 – 3 AZR 546/82 – AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu I 2 b der Gründe). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte seit 1980 mehrfach versucht, wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Überversorgung mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über die Änderung der RL 68 zu schließen.

3. Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte ihr Anpassungsrecht nicht verwirkt. Für eine Verwirkung genügt es nicht, daß der Rechtsinhaber längere Zeit sein Recht nicht ausgeübt hat. Außerdem ist erforderlich, daß der von diesem Recht Betroffene nach dem früheren Verhalten des Rechtsinhabers damit rechnen durfte, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht (vgl. u.a. BAG Beschluß vom 14. November 1978 – 6 ABR 11/77 – AP Nr. 39 zu § 242 BGB Verwirkung, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 6. November 1997 – 2 AZR 162/97 – AP Nr. 45 zu § 242 BGB Verwirkung, zu II 3 b der Gründe). Dieses sog. Umstandsmoment setzt einen Vertrauenstatbestand voraus, der im vorliegenden Fall fehlt.

II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Friedrich, Dr. Michels ist wegen Ablauf seiner Amtszeit an der Unterschrift verhindert. Dr. Heither, G. Hauschild

 

Fundstellen

Dokument-Index HI952042

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