Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnfortzahlung nach dem AWbG NRW. Leistungsverweigerungsrecht für einzelne Tage

 

Leitsatz (amtlich)

  • Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz ermöglicht dem Arbeitgeber keine Verweigerung der Lohnfortzahlung für einzelne Tage. Vielmehr ist insgesamt zu beurteilen, ob eine Veranstaltung der politischen oder beruflichen Weiterbildung stattgefunden hat.
  • Wird am letzten Veranstaltungstag lediglich vormittags während der Dauer von 3 1/4 Zeitstunden gearbeitet und der Nachmittag zur Abreise genutzt, hat eine Veranstaltung der politischen und beruflichen Weiterbildung stattgefunden, wenn an den anderen Tagen sechs Zeitstunden und mehr zur Weiterbildung genutzt wurden.
 

Normenkette

AWbG NRW § 1 Abs. 1-2, § 5 Abs. 3, §§ 7, 9 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 03.11.1988; Aktenzeichen 4 Sa 213/88)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 15.12.1987; Aktenzeichen 5 Ca 2265/87)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. November 1988 – 4 Sa 213/88 – aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 15. Dezember 1987 – 5 Ca 2265/87 – wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Lohnfortzahlung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger hat in der Zeit vom 17. August bis 21. August 1987 an einer von der Alfred-Nau-Heimvolkshochschule der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Thema “BRD-DDR-Ein Vergleich-Politik und Sprache in beiden deutschen Staaten-Ein Beitrag zur argumentativen politischen Auseinandersetzung” teilgenommen. Die Lehrveranstaltung dauerte am Abreisetag, am Freitag, dem 21. August 1987, lediglich von 9.00 Uhr bis 12.15 Uhr. Nach dem sich daran anschließenden Mittagessen fand die Abreise statt.

Die Beklagte verweigerte dem Kläger für die Dauer der Teilnahme die Lohnzahlung mit der Begründung, die Voraussetzungen des AWbG seien nicht gegeben. Nach dem Besuch der Veranstaltung hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 671,25 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten im wesentlichen zurückgewiesen, jedoch die Klage i. H. von 134,25 DM (Lohnzahlung für den Abreisetag) abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er verlangt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfang, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger hat auch für den letzten Tag der von ihm besuchten Bildungsveranstaltung Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 7 AWbG.

I. Nach der von der Beklagten nicht angegriffenen Beurteilung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger eine anerkannte Bildungsveranstaltung nach § 9 Satz 1a) AWbG besucht, für die er freizustellen war, § 1 Abs. 1 und Abs. 2, § 5 Abs. 3 AWbG. Daraus folgt die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung, § 7 AWbG. Dazu gehört auch Freitag, der 21. August 1987, auch wenn an diesem Tag nur über 3 1/4 Zeitstunden Weiterbildung betrieben wurde.

1. Das Gesetz enthält anders als das Hessische Bildungsurlaubsgesetz in § 9 Abs. 4 Satz 2 HBUG keine Regelung über die Dauer des täglichen Arbeitsprogramms während einer Bildungsveranstaltung. Das Gesetz bestimmt auch nicht, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn an einem oder an mehreren Tagen nicht oder wenig gearbeitet wird.

2. Die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Verordnung über die Förderung von Lehrveranstaltungen der Einrichtungen der Weiterbildung vom 9. Juli 1984 (GVBl 1984, 467) berührt den Anspruch des Klägers nicht. In der Verordnung werden die Rechtsbeziehungen zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen als Förderer und den Trägern der Weiterbildung nach dem Weiterbildungsgesetz als Förderungsempfänger geregelt, nicht aber Voraussetzungen für den Anspruch des Arbeitnehmers. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 9 Satz 1 AWbG. Danach gelten Bildungsveranstaltungen als anerkannt, wenn sie § 1 Abs. 2 AWbG entsprechen und durchgeführt werden gemäß den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes. § 9 AWbG verweist nur auf die Durchführungsbestimmungen des Weiterbildungsgesetzes, nicht auf die Förderungsbestimmungen in den §§ 20 und 24 WbG, die Rechtsgrundlage für die Verordnung vom 9. Juli 1984 sind. Außerdem ist in den Vorschriften des Weiterbildungsgesetzes und der Verordnung vom 9. Juli 1984 nicht die Frage geregelt, ob ggf. Teile einer Bildungsveranstaltung von der Lohnfortzahlungspflicht ausgenommen werden können.

II. Das AWbG gestattet dem Arbeitgeber nicht, die Lohnfortzahlung für einen oder mehrere Tage einer nach § 9 AWbG anerkannten Bildungsveranstaltung zu verweigern, weil das Arbeitsprogramm an diesen Tagen nicht wenigstens sechs Stunden pro Tag andauerte. Das Gesetz sieht eine teilweise Leistungsverweigerung nicht vor. Vielmehr ist insgesamt zu beurteilen, ob eine Veranstaltung der politischen oder beruflichen Weiterbildung stattgefunden hat oder nicht, weil die Veranstaltung nur an einigen Tagen den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Somit besteht ein Leistungsverweigerungsrecht nur für die Veranstaltung insgesamt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG über die berufliche und politische Weiterbildung nicht gegeben sind. Bei der Überprüfung dieser gesetzlichen Voraussetzungen kann im Einzelfall die Dauer des jeweiligen täglichen Arbeitsprogramms von Bedeutung sein. So kann eine Bildungsveranstaltung insgesamt dann nicht mehr der beruflichen oder politischen Weiterbildung dienen und damit keinen Freistellungsanspruch rechtfertigen, wenn die zur Verfügung stehende Unterrichtszeit nicht in ausreichendem Maße für die Weiterbildung genutzt wird. Das kann z. B. dann zutreffen, wenn an fünf Seminartagen jeweils lediglich für kurze Zeit Wissen vermittelt oder an einem oder mehreren Tagen überhaupt nicht gearbeitet wird. Eine Veranstaltung ist aber dann noch als eine der Arbeitnehmerweiterbildung anzusehen, wenn wie im Streitfall am letzten Tag nur noch 3 1/4 Zeitstunden unterrichtet wurde, an anderen Tagen aber sechs Zeitstunden und mehr zur Weiterbildung genutzt wurden. Die Verteilung des Wissensstoffs auf die fünftägige Seminarwoche in der Weise, daß am letzten Tag genügend Zeit für die Heimreise bleibt, ohne daß der Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil seiner Wochenendfreizeit aufwenden muß, hindert nicht die Annahme, daß insgesamt eine Veranstaltung der politischen Weiterbildung stattgefunden hat (vgl. zur Bedeutung der Wochenendfreizeit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung des AWbG BVerfG Beschluß vom 15. Dezember 1987 EzA § 7 Nr. 1 AWbG NRW zu II 2b der Gründe).

Soweit der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Informationsblatt ohne Datum gemeint hat, zu den Voraussetzungen der Anerkennung von Bildungsveranstaltungen nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz gehöre, daß die tägliche Dauer der Lehrveranstaltung mindestens sechs Unterrichtsstunden betragen müsse und daß An- und Abreise, Pausen, Freizeitgestaltung und ähnliches nicht anerkennungsfähig seien, findet diese Auffassung im Gesetz keine Stütze.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dr. Reinecke, Dörner, Dr. Jesse, Trümner

 

Fundstellen

Haufe-Index 848154

BAGE, 138

NZA 1993, 990

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