Entscheidungsstichwort (Thema)

Schulhausmeister. Aufsichtstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit

 

Orientierungssatz

Parallelsache zu BAG Urteil vom 8.9.1988 6 AZR 37/87 = nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 30.09.1987; Aktenzeichen 17 Ca 67/86)

LAG Berlin (Entscheidung vom 21.04.1987; Aktenzeichen 9 Sa 113/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, in welcher Höhe der Kläger für das Jahr 1985 von dem beklagten Land eine Jahressonderzuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 (Zuwendungs-TV) verlangen kann.

Der Kläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 1975 seit dem 1. Juli 1975 bei dem beklagten Land als Schulhausmeister im Bereich des Bezirksamtes Berlin-W beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) unter Berücksichtigung der jeweils in Frage kommenden Sonderregelungen mit allen künftigen Änderungen und Ergänzungen Anwendung.

Mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses übernahm der Kläger die Aufsichtstätigkeiten in den Schulräumen außerhalb der Schulzeiten. Das beklagte Land zahlte dem Kläger dafür eine zusätzliche Vergütung nach den Richtlinien für die Gewährung von Aufsichtsvergütung und Vertretungsentschädigung vom 22. Juli 1968 (Dienstblatt I 1968, S. 139, Nr. 52). Die Parteien legten für die Aufsichtstätigkeiten des Klägers am 15. Januar 1976 in einer "Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vom 16. 6. 1975" folgendes nieder:

"Herr J beaufsichtigt in Nebentätigkeit

die Schulräume an den Werktagen Montag bis

Freitag nach 17.00 Uhr, an Sonnabenden nach

14.00 Uhr oder an Sonn- oder gesetzlichen

Feiertagen, soweit sie durch Schulfremde,

durch Unterrichtungsveranstaltungen auch der

eigenen Schule und durch Schul-, Schüler- und

Elternversammlungen benutzt werden.

Hinsichtlich dieser Tätigkeit, der Höhe der

Aufsichtsvergütung und der Regelung der Frei-

zeit sowie der Vertretung gelten die Richt-

linien für die Gewährung von Aufsichtsvergü-

tung und Vertretungsentschädigung für Schul-

hausmeister im Angestelltenverhältnis in der

jeweils geltenden Fassung."

Das beklagte Land zahlte an den Kläger bis zum Jahre 1984 eine Zuwendung nach dem Zuwendungs-TV unter Berücksichtigung der Aufsichtsvergütung. Für das Jahr 1985 zahlte das beklagte Land dem Kläger lediglich eine Zuwendung auf der Grundlage seines Entgeltes als Schulhausmeister, bei der die Aufsichtsvergütung unberücksichtigt blieb. Der Kläger verlangt daher die Zahlung von weiteren 1.063,92 DM brutto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land hätte bei der Berechnung der Höhe der Zuwendung auch die Aufsichtsvergütung in Ansatz bringen müssen. Die Vereinbarung vom 15. Januar 1976 stelle eine Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vom 16. Juni 1975 dar, so daß die Bedingungen des Hauptarbeitsvertrages gelten. Daraus folge, daß auch insoweit die Bestimmungen des BAT und damit des Zuwendungs-TV auch bezüglich der Aufsichtstätigkeit Anwendung fänden. Durch die Vereinbarung sei kein selbständiges Arbeitsverhältnis begründet worden. Vielmehr liege ein einheitliches Arbeitsverhältnis vor. Die vereinbarte Aufsichtstätigkeit sei daher Bestandteil des Arbeitsvertrages.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.063,92 DM

brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus

ergebenden Nettobetrag seit dem 23. Juni 1986 zu

zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat die Auffassung vertreten, die Aufsichtsvergütung habe bei der Bemessung der an den Kläger zu zahlenden Zuwendung unberücksichtigt zu bleiben. Die Aufsichtsvergütung sei kein unständiger Teil der Bezüge aus dem Vertragsverhältnis. Sie stehe dem Kläger allein aus seiner Nebentätigkeit zu. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 16. Juni 1975 und die mit "Nebenabrede" überschriebene Vereinbarung vom 15. Januar 1976 seien zwei verschiedene, eigenständige Verträge, die nicht als einheitliches Arbeitsverhältnis angesehen werden könnten. Die Vereinbarung vom 15. Januar 1976 schreibe selbständig die vom Kläger geschuldete Arbeitsleistung fest und regele die dafür von dem beklagten Land zu zahlende Vergütung. Für ein solches, von den Parteien gewolltes Vertragsverhältnis spreche, daß die Aufsichtstätigkeit des Klägers als "Nebentätigkeit" bezeichnet worden sei. Das entspreche dem Tarifsystem.

Auch die Berechnung der Klageforderung durch den Kläger sei fehlerhaft. Wenn die Aufsichtsvergütung bei der Bemessung der Zuwendung Berücksichtigung fände, könnte diese nur als unselbständiger Bezügebestandteil nach Maßgabe des § 47 Abs. 2 BAT in den Urlaubsaufschlag einfließen. Es komme dann auf die Aufsichtsvergütung des vorangegangenen Jahres 1984 an. Die 1985 aus der Aufsichtstätigkeit erzielten Tagessätze seien ohne Belang. Überdies wäre die Aufsichtstätigkeit als Mehrarbeit nur zur Hälfte zu berücksichtigen. Demgegenüber wendet der Kläger ein, er habe im Monat Dezember 1985 für seine Aufsichtstätigkeit einen Tagessatz von 40,92 DM brutto erzielt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren weiter. Das beklagte Land bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

1. Das Landesarbeitsgericht hat unentschieden gelassen, ob es sich bei der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 um einen eigenständigen Arbeitsvertrag handelt oder ob die Vereinbarung Bestandteil des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 1975 geworden sei. In beiden Fällen könne der Kläger für das Jahr 1985 keine tarifliche Jahressonderzuwendung unter Berücksichtigung der ihm gewährten Aufsichtsvergütung gemäß den Richtlinien für die Gewährung von Aufsichtsvergütung und Vertretungsentschädigung vom 22. Juli 1968 verlangen. Zwar hätten die Parteien im Arbeitsvertrag vom 16. Juni 1975 die Anwendung des BAT mit seinen Zusatztarifverträgen vereinbart, jedoch enthalte die Vereinbarung vom 15. Januar 1976 eine derartige Bezugnahme nicht. Hinsichtlich der Beaufsichtigung der Schulräume außerhalb seiner üblichen Arbeitszeit als Schulhausmeister, der Höhe der Aufsichtsvergütung und der Regelung der Freizeit sowie der Vertretung, hätten die Arbeitsvertragsparteien vielmehr ausdrücklich nur die Richtlinien für die Gewährung von Aufsichtsvergütung und für Schulhausmeister im Angestelltenverhältnis zum Inhalt der vertraglichen Beziehungen gemacht. Nach dem erklärten und zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsparteien sollten damit insoweit die maßgeblichen Bestimmungen des BAT mit seinen Zusatztarifverträgen gerade nicht zur Anwendung kommen.

2. Das Landesarbeitsgericht hatte eine individuell gestaltete Vereinbarung der Parteien, keine typischen Willenserklärungen auszulegen. Seine Auslegung kann daher vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die Rechtsgrundsätze der Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB beachtet, bei der Auslegung Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind.

Selbst bei diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Wie die Revision zu Recht rügt, hat sich das Landesarbeitsgericht bei seiner Annahme, der BAT und der Zuwendungs-TV gälten nicht für die Aufsichtsvergütung gemäß der Vereinbarung vom 15. Januar 1976, allein auf den Wortlaut der Vereinbarung gestützt wenn es feststellt, daß die Anwendbarkeit des BAT und des Zuwendungs-TV dort nicht ausdrücklich geregelt seien und daraus folgert, sie könnten insoweit auch nicht zum Inhalt der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien geworden sein.

Diese Auslegung verstößt gegen die Rechtsgrundsätze der Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Danach ist vom Wortlaut der Erklärung ausgehend der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen und unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln, welchen Willen der Erklärende bei der Erklärung gehabt hat und wie der Empfänger der Erklärung das Angebot des anderen Vertragsteils verstanden hat oder verstehen mußte (vgl. ständige Rechtsprechung, BAG Urteil vom 11. November 1987 - 4 AZR 339/87 - AP Nr. 5 zu § 3 BAT).

Das Landesarbeitsgericht hat im vorliegenden Fall wesentliche Begleitumstände nicht berücksichtigt. Rechtserhebliche Begleitumstände, die mitzuberücksichtigen sind, weil sie den Sinn und Erklärungswert der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 beeinflussen können, sind vorausgegangene Erklärungen und das Verhalten der Vertragspartner (vgl. BAG Urteil vom 10. April 1973 - 4 AZR 270/72 - AP Nr. 37 zu § 133 BGB). Für die Auslegung der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 kann daher die Gestaltung des Arbeitsvertrages vom 16. Juni 1975 und dessen tatsächliche Handhabung vor und nach Abschluß der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 von erheblicher rechtlicher Bedeutung im Hinblick auf das Vorliegen dieses Arbeitsverhältnisses und auf die Anwendbarkeit des Zuwendungs-TV sein. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom heutigen Tage in dem Parallelverfahren (Land Berlin ./. Sch - 6 AZR 245/87 -) angenommen hat, ist bei einer inhaltlich ähnlichen Vereinbarung wie im vorliegenden Fall, die ebenfalls nur die Richtlinien für die Gewährung von Aufsichtsvergütung und Vertretungsentschädigung für anwendbar erklärte und nicht auf den BAT und den Zuwendungs-TV verwies, der Zuwendungs-TV für die Aufsichtsvergütung gleichwohl dann anzuwenden, wenn trotz der nachträglichen Vereinbarung ein einheitliches Arbeitsverhältnis besteht, wovon der Senat ausgegangen ist. Dies hat der Senat damit begründet, daß - wie im vorliegenden Fall - auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der BAT nebst ergänzenden Tarifverträgen Anwendung findet, so daß auch der Zuwendungs-TV gilt.

3.a) Das hat zur Folge, daß der Kläger einen vertraglichen Anspruch darauf hat, nach den Bestimmungen des BAT und des Zuwendungstarifvertrags behandelt zu werden. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil in der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 nicht auf den Zuwendungs-TV Bezug genommen wurde. Zwar steht es den Parteien grundsätzlich frei, vom BAT und den ihn ergänzenden Tarifverträgen abzuweichen. Dies setzt aber voraus, daß der übereinstimmende Wille beider Parteien deutlich zum Ausdruck gebracht wird, das zuvor generell vereinbarte Tarifwerk - BAT und Zuwendungs-TV - bei der Aufsichtsvergütung nicht anwenden zu wollen. Dazu ist es erforderlich, ausdrücklich klarzustellen, daß der BAT und der Zuwendungs-TV keine Anwendung finden sollen. Es reicht somit nicht aus, auf ein anderes als das dem BAT zugrunde liegende Vergütungssystem Bezug zu nehmen, um die übrigen, in den Bestimmungen des BAT geregelten Rechtsfolgen auszuschalten. Die fehlende Bezugnahme auf die Geltung des BAT in der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 kann daher schon aus diesem Grunde nicht als Argument für die Nichtanwendung seiner Normen und der des Zuwendungs-TV nutzbar gemacht werden. Darüber hinaus wird übersehen, daß die Richtlinien für die Gewährung von Aufsichtsvergütung und Vertretungsentschädigung vom 22. Juli 1968 unter Abschnitt A II Nr. 12 auf § 47 BAT verweisen. Die Aufsichtsvergütung stellt damit einen sog. unständigen Bezügebestandteil i.S. des § 47 Abs. 2 Unterabs. 2 BAT dar und fließt somit als Aufschlag in die Urlaubsvergütung und damit gemäß § 2 Abs. 1 Zuwendungs-TV in die zu zahlende Zuwendung ein (vgl. unten c). Bei dieser Rechtslage hätte es somit eines ausdrücklichen Ausschlusses des BAT und des Zuwendungs-TV in der Vereinbarung bedurft, wenn die Parteien für die Aufsichtsvergütung den Zuwendungs-TV hätten ausschließen wollen.

b) Die fehlerhafte Rechtsanwendung hinsichtlich der Geltung des Zuwendungs-TV und die Nichtberücksichtigung der rechtserheblichen Begleitumstände vor und nach der Vereinbarung vom 15. Januar 1976 führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Mangels tatsächlicher Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht war der Rechtsstreit daher zurückzuverweisen.

Das Landesarbeitsgericht wird aufgrund des Arbeitsvertrags vom 16. Juni 1975 dessen tatsächliche Handhabung vor und nach der Vereinbarung sowie durch Auslegung der Vereinbarung selbst zu klären haben, ob ein einheitlicher Arbeitsvertrag vorliegt. Dies würde zur Anwendung des Zuwendungs-TV dem Grunde nach führen.

c) Zur Berechnung der Höhe würde das Landesarbeitsgericht von Folgendem auszugehen haben:

Die Höhe des Anspruchs auf eine Zuwendung ist abhängig von dem Teil der Bezüge, die im vorangegangenen Kalenderjahr zugestanden haben, wenn es sich um sog. unständige Bezügeteile handelt.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 Zuwendungs-TV stehen dem Kläger nämlich 100 % der Urlaubsvergütung nach § 47 Abs. 2 BAT zu. Soweit darin sog. unständige Bezügeteile enthalten sind - das sind die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Bezüge -, sind diese gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 BAT als Zulage (Aufschlag) mitzuberücksichtigen. Dabei weist § 47 Abs. 2 Unterabs. 2., letzter Halbsatz BAT als Bezugsrahmen ausdrücklich und unmißverständlich das vorangegangene Kalenderjahr als Bemessungszeitraum aus.

Für den als Zuwendung im Jahre 1985 zu zahlenden Aufschlag sind demnach die unständigen Bezügeteile des Jahres 1984 maßgebend. Bei der an den Kläger gezahlten Aufsichtsvergütung handelt es sich um sog. unständige Bezügeteile im Sinne des § 47 Abs. 2 BAT. Höhe und Umfang der entsprechenden Aufsichtsvergütungen hängen nämlich davon ab, in welchem Umfang außerschulische Veranstaltungen stattfinden und damit außerhalb des Schulbetriebes Aufsichtstätigkeit des Klägers erforderlich ist. Der Grad seiner Inanspruchnahme variiert demnach in dem Maße, in dem die ihm anvertrauten Räumlichkeiten außerhalb des Schulbetriebes der Nutzung Dritter zugänglich gemacht werden.

Dr. Jobs Schneider Dörner

Schmidt Möller-Lücking

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440786

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