Beamte haben kein Streikrecht
Die Beschwerdeführenden sind beziehungsweise waren als beamtete Lehrkräfte an Schulen in verschiedenen Bundesländern (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) tätig. Sie nahmen in der Vergangenheit während der Dienstzeit an Protestveranstaltungen beziehungsweise Streikmaßnahmen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft teil. Diese Teilnahme wurde durch die zuständigen Disziplinarbehörden disziplinarrechtlich geahndet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar. Insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführerinnen sowie der Beschwerdeführer erfolglos gegen die jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.
Streikverbot für Beamte ist verfassungsgemäß
Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen das Streikverbot für Beamte gerichteten Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Die Verfassungsrichter begründen ihre Entscheidung damit, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten ist. Es steht auch mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und ist insbesondere mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.
Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit gerechtfertigt
Zwar stellt das Streikverbot für Beamte eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) dar. Diese ist aber nach Ansicht der Verfassungsrichter gerechtfertigt.
Der Eingriff in die Koalitionsfreiheit treffe die Beamtinnen und Beamte nicht unzumutbar schwer. Ein Streikverbot führe nicht zu einem vollständigen Zurücktreten der Koalitionsfreiheit. Der Gesetzgeber habe Regelungen geschaffen, die zu einer Kompensation der Beschränkung von Art. 9 Abs. 3 GG bei Beamtinnen und Beamten beitragen sollen, z. B. Beteiligungsrechte der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse.
Ein weiteres Element der Kompensation ergibt sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht aus dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, das dem einzelnen Beamten das Recht einräumt, die Erfüllung der Alimentationsverpflichtung auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Bei diesem wechselseitigen System von aufeinander bezogenen Rechten und Pflichten der Beamten zeitigen Ausweitungen oder Beschränkungen auf der einen in der Regel auch Veränderungen auf der anderen Seite des Beamtenverhältnisses. Ein „Rosinenpicken“ lässt das Beamtenverhältnis nicht zu.
Keine Einschränkung des Streikverbots auf hoheitlich tätige Beamte
Das Streikverbot muss auch nicht auf Beamte beschränkt werden, die schwerpunktmäßig hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben. Gegen eine solche funktionale Aufspaltung des Streikrechts sprechen die damit einhergehenden Abgrenzungsschwierigkeiten. Unabhängig hiervon verzichtete die Anerkennung eines Streikrechts für „Randbereichsbeamte“ auf die Gewährleistung einer stabilen Verwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung jenseits hoheitlicher Tätigkeiten.
Kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
Das Streikverbot für deutsche Beamte ist auch mit Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährleistet jeder Person, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.
Unabhängig davon, ob das Streikverbot für deutsche Beamte einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK darstellt, ist es wegen der Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Das Streikverbot ist in Deutschland im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK gesetzlich vorgesehen. Notwendig hierfür ist eine Grundlage im nationalen Recht. Eine solche Grundlage ist gegeben. Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder enthalten für alle Beamtinnen und Beamten konkrete Regelungen zum unerlaubten Fernbleiben vom Dienst beziehungsweise zur Weisungsgebundenheit. Mit diesen Vorgaben ist eine nicht genehmigte Teilnahme an Streikmaßnahmen unvereinbar.
(Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 12.6.2018, 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15)
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