Umkämpfter Wohnungsmarkt: Mitarbeiter haben Vorrang

Der Fachkräftemangel ist ein ernstes Problem für viele Unternehmen. Hohe Wohnkosten verschärfen das Problem: Gerade in Berufen mit geringem Einkommen sind in angespannten Märkten qualifizierte Mitarbeiter schwer zu finden. Wie sich die Wohnungswirtschaft einbringen kann, zeigen einige Beispiele.

Laut einer Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) sieht jedes dritte Unternehmen allein in Baden-Württemberg im Fachkräftemangel ein akutes Geschäftsrisiko. Zukünftig rechnet die IHK damit, dass im Land jedes Jahr mehr als 260.000 Fachkräfte fehlen werden.

Besonders viele Fachkräfte fehlen in der Pflegebranche, wie die Corona-Pandemie zuletzt drastisch vor Augen geführt hat – und das hat auch mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt zu tun. "Für das Robert-Bosch-Krankenhaus ist es schwierig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, weil sich Pflegekräfte die marktüblichen hohen Mieten in Stuttgart nicht leisten können", sagt etwa Josef Vogel, Kaufmännischer Vorstand der Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg eG (LBG).

Stuttgart: Ein Teil der Wohnungen geht an Pflegekräfte

Das Robert-Bosch-Krankenhaus – mit mehr als tausend Betten an drei Standorten und rund 3.000 Mitarbeitern ein wesentlicher Pfeiler der örtlichen Gesundheitsversorgung – suchte in dieser Situation einen Ausweg und wandte sich an die LBG. Diese erklärte sich bereit, das Krankenhaus bei der Wohnraumversorgung zu unterstützen, da sie Wohnungen "als Sozialgut und nicht nur als Wirtschaftsgut" betrachtet, wie Vogel sagt.

Die Unterstützung leistet die LBG allerdings nicht, indem sie Neubauten speziell für Pflegekräfte realisiert, sondern indem sie einen Teil ihrer frei werdenden Wohnungen für Mitarbeiter des Robert-Bosch-Krankenhauses reserviert. "Dieses Modell hat den Vorteil, dass es schnell und unkompliziert ist", begründet Vogel. Die Genossenschaft habe bereits in den ersten eineinhalb Monaten seit Start der Zusammenarbeit im Mai 2021 mehrere Wohnungen an Krankenhaus-Mitarbeiter vermietet.

Das Krankenhaus nennt der LBG die Mitarbeiter, die dringend eine Wohnung suchen; und die Genossenschaft unterstützt diese dann, indem sie eine passende – und günstige – Wohnung anbietet, wenn es möglich ist. Die Durchschnittsmiete bei der LBG, der in Stuttgart mehr als 2.250 Wohnungen gehören, beträgt 6,25 Euro pro Quadratmeter. Die Miete von Wohnungen, die neu vermietet werden, ist zwar höher, liegt laut Vogel aber auch noch "spürbar" unter zehn Euro pro Quadratmeter und damit deutlich unter dem derzeit in Stuttgart üblichen Niveau.

Die Resonanz der Genossenschaftsmitglieder ist laut Vogel durchweg positiv – was mit einer Besonderheit zusammenhängt: Die LBG führt keine Wartelisten. "Wenn wir eine freie Wohnung im Internet inserieren, haben wir nach einem Wochenende mindestens 500 Anfragen", sagt der LBG-Vorstand. Mitglied der Genossenschaft kann ohnehin nur werden, wer die Zusage für eine Wohnung hat. Folglich gibt es keine frustrierten Mitglieder, die seit langem auf eine LBG-Wohnung warten und sich ungerecht behandelt fühlen, wenn Krankenhaus-Mitarbeiter den Vorzug erhalten.

Gelsenkirchen: Wohnungen für Pflege-Azubis

Ein ähnliches Modell findet sich in Gelsenkirchen, wo die städtische Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH (GGW) eine Kooperation mit dem privaten ambulanten Pflegeanbieter APD eingegangen ist. Dieser betreibt eine eigene Fachschule zur Ausbildung von Pflegefachkräften. Seit März dieses Jahres stellt die GGW zwei Wohnungen für Auszubildende der APD zur Verfügung.

Die Einheiten bieten Platz für jeweils zwei Bewohner, sind voll möbliert und kosten pro Person eine monatliche Pauschalmiete von 330 Euro. "Wir finden es enorm wichtig, unseren Beitrag zur Ausbildung zukünftiger Pflegekräfte der APD zu leisten und damit die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in unserer Stadt dauerhaft zu sichern", sagt Stefan Eismann, Prokurist bei der GGW.

Klar ist allerdings auch, dass sich der Wohnungsmangel durch solche kleinteiligen Maßnahmen allein nicht beheben lässt. Welche Möglichkeiten der Kooperation zwischen Wohnungswirtschaft und Wirtschaftsunternehmen es gibt, hat die Beratungsgesellschaft Regiokontext 2019 in der unter anderem vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen in Auftrag gegebenen Studie "Mitarbeiterwohnen. Mehr als ein Instrument aktiver Personalpolitik" dargelegt.

So errichtete etwa die Gewoba Nord Baugenossenschaft eG auf Sylt eine Apartmentanlage mit rund hundert Zimmern, die sie komplett an die Hotelgesellschaft A-Rosa vermietete.

Wenn Unternehmen selbst für die Mitarbeiter bauen

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Unternehmen selbst Wohnungen für ihre Mitarbeiter bauen, und zwar entweder direkt oder über Tochtergesellschaften. Ein prominentes Beispiel dafür ist die VW Immobilien GmbH, die zuletzt mit dem Apartmenthaus "Splace" in der Innenstadt von Wolfsburg den FIABCI Prix d´Excellence Germany erhalten hat. Die Apartments können nicht nur VW-Mitarbeiter anmieten, sondern auch andere Interessenten.

Apartmenthaus Splace Wolfsburg VW Werk Luftbild

Einen anderen Ansatz verfolgt die 2019 gegründete Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Job & Wohnen eG, die ihr erstes Projekt im Berliner Stadtteil Spandau verwirklichen will: Mehrere Unternehmen haben sich zusammengeschlossen, um Wohnungen ausschließlich für ihre Mitarbeiter zu bauen. Die Motivation dafür nennt Dr. Peter Diedrich, Vorsitzender der Bundeskommission Recht im Bundesverband mittelständische Wirtschaft und Initiator der Genossenschaft: "Ein Thema brennt fast jedem mittelständischen Unternehmen unter den Nägeln: der Fachkräftemangel. Und der hängt wesentlich mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zusammen."

Neue Wege suchen

Neubauwohnungen errichtet auch die Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg in Stuttgart. Doch obwohl die günstiger angeboten werden als zu den in Stuttgart üblichen Marktmieten, dürften sie in der Regel das Budget von Pflegekräften sprengen. Insofern bleibt der Bestand als Ausweg: Für Haushalte, die zu viel verdienen, um Anrecht auf eine öffentlich geförderte Wohnung zu haben – und zu wenig, um sich eine marktübliche Miete leisten zu können.

"Natürlich können wir nicht das Wohnungsproblem aller Unternehmen in Stuttgart lösen", räumt auch LBG-Vorstand Vogel ein. "Aber durch die Zusammenarbeit mit dem Robert-Bosch-Krankenhaus leisten wir einen kleinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung und bieten damit auch unseren Mitgliedern einen Mehrwert."

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