BGH: Vollständigkeitsklausel im Gewerbemietvertrag

Selbst wenn in einem Gewerbemietvertrag niedergelegt ist, dass mündliche Nebenabreden nicht bestehen („Vollständigkeitsklausel“), bleibt der Beweis des Gegenteils möglich. Auch vorvertragliche Absprachen werden durch eine solche Klausel nicht ohne Weiteres bedeutungslos.

Hintergrund: Unklarheit über vorvertragliche Zusagen

Die Parteien eines Mietvertrages über Geschäftsräume streiten über die Zahlung von Miete und eine Mietminderung wegen vermeintlicher Mängel.

Zum Zustand der Räume heißt es im Mietvertrag:

„Die Räume werden durch den Vermieter vor Mietbeginn frisch renoviert wie abgesprochen.“

Unter „Sonstiges“ heißt es:

„Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.“

Die Mieterin monierte verschiedene Mängel und zahlte zu keinem Zeitpunkt die vollständige Miete. Unter anderem ist zwischen den Parteien umstritten, ob der Vermieter im Vorfeld des Vertragsschlusses versprochen hat, die vorhandene Einfachverglasung durch eine Doppelverglasung zu ersetzen. Das Oberlandesgericht war der Auffassung, diese Frage sei unerheblich, weil im Mietvertrag vereinbart sei, dass keine mündlichen Nebenabreden getroffen seien. Dementsprechend könne eine solche Zusage keinen Eingang in den Mietvertrag gefunden haben.

Entscheidung: Vollständigkeitsklausel verhindert Gegenbeweis nicht

Der BGH teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts nicht. Eine Minderung wegen der Einfachverglasung kann durchaus in Betracht kommen.

Im Mietvertrag ist vereinbart, dass die Räume frisch renoviert sind, mit dem Zusatz „wie abgesprochen“. Diesem Zusatz ist zu entnehmen, dass die im Vorfeld getroffenen Absprachen eine gewisse Relevanz dafür haben sollen, was die Parteien bei Abschluss des schriftlichen Vertrages unter „frisch renoviert“ verstanden haben. 

Zwar können die außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Begleitumstände in der Zeit bis zum Vertragsschluss ihre Relevanz für die Auslegung des Mietvertrages wieder verlieren. Das gilt grundsätzlich auch für vorvertragliche Absprachen, wenn festgestellt werden kann, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages nicht mehr an ihnen festhalten wollen. Eine solche Annahme lässt jedoch nicht aus der Klausel des Mietvertrages herleiten, nach der mündliche Nebenabreden nicht bestehen. 

Denn sogenannte Vollständigkeitsklauseln („Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“, „Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen“, „Mündliche Nebenabreden existieren nicht“) richten sich – gleich ob sie als AGB in den Vertrag einbezogen oder individuell ausgehandelt sind – auf die Bestätigung der Tatsache, dass der schriftliche Vertrag alle zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen bezüglich des Vertragsgegenstandes enthält. Solche Klauseln geben lediglich die ohnehin eingreifende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der schriftlichen Vertragsurkunde wieder, lassen aber dem Vertragspartner, der sich auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufen will, die Führung des Gegenbeweises offen.

Einer Vollständigkeitsklausel kann keine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden und auch sonst nicht entnommen werden, dass die Absprachen der Parteien aus dem Stadium der vertragsanbahnenden Verhandlungen keine Geltung mehr beanspruchen dürften.

Das Oberlandesgericht, an das der BGH den Rechtsstreit zurückverwiesen hat, muss nun der Frage nachgehen, ob der Vermieter im Vorfeld des Vertragsschlusses zugesagt hat, die Einfachverglasung durch eine Doppelverglasung zu ersetzen.

(BGH, Urteil v. 3.3.2021, XII ZR 92/19)


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Schlagworte zum Thema:  Mietvertrag, Mietrecht