Entscheidungsstichwort (Thema)

Handelsvertreterausgleich bei Tankstellenpacht

 

Leitsatz (amtlich)

Beim Handelsvertreterausgleich eines Tankstellenpächters können im Rahmen der Billigkeitserwägungen nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB neben Umständen, die ohne Eigenleistung des Handelsvertreters zur Werbung von (Stamm-)Kunden beigetragen haben (z.B. Standort der Tankstelle; vom Unternehmer bestimmter günstiger Kraftstoffpreis), grundsätzlich auch der Anlass der Kündigung des Vertragsverhältnisses und die Tatsache berücksichtigt werden, dass der Handelsvertreter ein neues Vertragsangebot des Unternehmers abgelehnt hatte.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 08.04.2008; Aktenzeichen 13 HKO 23975/04)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG München I vom 8.4.2008 wie folgt abgeändert:

II. Das Versäumnisurteil vom 2.2.2005 wird aufrecht erhalten.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 164.573,35 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 1.7.2004 bis 13.9.2004 sowie i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.9.2004 zu zahlen.

IV. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

V. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

VI. Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VIII. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin verlangt Handelsvertreterausgleich nach Beendigung von zwei Tankstellenverwaltungsverträgen.

Auf der Grundlage von Pachtverträgen mit der Beklagten betrieb die Klägerin zwei Selbstbedienungstankstellen mit Waschstraße, und zwar seit 7.5.1982 eine in Ludwigsburg und seit 26.8.1993 eine weitere in Sindelfingen. Beide Tankstellen liegen an einem Einkaufszentrum der Firma Br., die auch Eigentümerin des jeweiligen Tankstellengrundstücks ist. Die Beklagte kündigte die Vertragsverhältnisse mit Schreiben vom 18.6.2003 (Anlage K 3) ordentlich zum 31.3.2004, vorsorglich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Unstreitig beendete diese Kündigung die Vertragsverhältnisse zum 30.6.2004. Am 22.12.2003 bot die Beklagte der Klägerin den Abschluss neuer Verträge für die Tankstellen an (vgl. Anlagen B 12 und B 13). Dies lehnte die Klägerin mit Schreiben vom 28.1.2004 (Anlage K 12) ab, wobei sie darauf hinwies, dass ihr das wirtschaftliche Risiko der neuen Vertragsgestaltung zu hoch sei, insbesondere weil sie nicht mehr in der Lage wäre, eine Kfz-Werkstätte zu betreiben. Die Tankstelle in Sindelfingen verpachtete die Beklagte einige Monate später an den Sohn des Geschäftsführers der Klägerin.

Die Klägerin fordert einen Handelsvertreterausgleich für beide Tankstellen i.H.v. insgesamt 432.830,15 EUR. Sie geht dabei hinsichtlich des Tankgeschäfts von einem Stammkundenanteil von 73 % und einem Stammkundenumsatz von 58 % aus. Bei den Waschstraßen legt sie der Berechnung ihres Ausgleichsanspruchs einen Stammkundenanteil von 95 % und einen Stammkundenumsatz von 75 % zugrunde. Sie ist außerdem der Auffassung, dass weder ein Abzug für verwaltende Tätigkeiten noch ein Billigkeitsabschlag vorzunehmen sei.

Der Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, dass der Klägerin keinerlei Ausgleichsanspruch zustehe. Der Umstand, dass die Klägerin das seitens der Beklagten unterbreitete Angebot auf Abschluss neuer Tankstellenverwaltungsverträge nicht angenommen habe, sei wie eine Eigenkündigung durch die Klägerin zu behandeln, welche einen Handelsvertreterausgleich ausschließe. Darüber hinaus seien die Sogwirkung der Br.-Einkaufszentren, der Umstand, dass die Klägerin ein von ihr betriebenes Reifengeschäft "mitgenommen" habe und die Tatsache zu berücksichtigen, dass sie, die Beklagte, beide Tankstellen in erheblichem Maße habe instand setzen müssen, um sie weiter betreiben zu können.

Das LG gab der Klage i.H.v. 108.207,53 EUR statt. Es errechnete für die Tankstelle in Ludwigsburg zu berücksichtigende "Provisionsverluste" von 249.656,44 EUR, wobei jedoch aufgrund der Kappungsgrenze des § 89b Abs. 2 HGB der Durchschnittswert der Provisionen der letzten fünf Vertragsjahre i.H.v. 206.285,79 EUR zugrunde zu legen sei. Für die Tankstelle in Sindelfingen ergab sich nach der Berechnung des Erstgerichts ein Betrag von 266.776,93 EUR, der aufgrund der Regelung des § 89b Abs. 2 HGB auf 226.544,36 EUR zu reduzieren sei. Von den sich aus den Kappungsgrenzen ergebenden Gesamtbetrag von 432.830,15 EUR nahm das LG einen Billigkeitsabschlag gem. § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB i.H.v. 75 % vor. Ein Abzug i.H.v. 25 % sei wegen der Sogwirkung des Einkaufszentrums gerechtfertigt, weil nach den allgemeinen Erfahrungen der Kammer Tankstellen bei Einkaufszentren überproportional von Kunden angesteuert würden, die dort ih...

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