Leitsatz (amtlich)

Ein gewalttätiger Demonstrant darf in einem Pressebericht auch bei Straftaten unterhalb des Bereichs der Schwerkriminalität jedenfalls dann mit seinem vollen Namen genannt werden, wenn die Tat angesichts der Person oder Stellung des Täters und/oder der Art der Tat bzw. ihrer spezifischen Verhältnisse die Öffentlichkeit besonders berührt.

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Urteil vom 24.06.2004; Aktenzeichen 6 O 36/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten zu 1) wird das am 24.6.2004 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Göttingen abgeändert.

Die Beschlussverfügung der 6. Zivilkammer des LG Göttingen vom 6.4.2004 wird auch im Übrigen aufgehoben und der ihr zugrunde liegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

 

Gründe

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten zu 1) (im Folgenden: Beklagten) hat Erfolg. Denn es ist jedenfalls in der konkret angetroffenen Begehungsform nicht zu beanstanden, dass der Name des Verfügungsklägers (im Folgenden: Klägers) an zwei Stellen weder abgekürzt noch sonst in einer anonymisierten Form genannt worden ist. Zwar kann das Verhalten des Klägers, über das im streitigen Zeitungsartikel berichtet worden ist, entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ernstlich dem Bereich der Schwerkriminalität zugerechnet werden. Dies führt aber gleichwohl nicht zum Ausschluss einer identifizierenden Berichterstattung der Presse unter Namensnennung. Bei (Straf)Taten von geringerer Schwere kann eine Namensnennung vielmehr ebenfalls zulässig sein, wenn die Tat angesichts der Person oder Stellung des Täters und/oder der Art der Tat bzw. ihrer spezifischen Verhältnisse die Öffentlichkeit besonders berührt (BGH v. 7.12.1999 - VI ZR 51/99, NJW 2000, 1036 [1038]; OLG Frankfurt v. 26.6.2003, OLGReport Frankfurt 2003, 383 [384]).

Das ist der Fall. Denn die berichteten Vorkommnisse und die hieran beteiligten Personen bilden aus ihrem aktuellen politischen Kontext heraus ein zeitgeschichtliches Geschehen, so dass die Handelnden als relative Personen der Zeitgeschichte anzusehen sind und sich deshalb - wie der Senat bereits in seinen beiden, den Parteien bekannten Beschlüssen vom 30.6.2004 (OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.6.2004 - 2 W 143/04) und vom 1.7.2004 (OLG Braunschweig, Beschl. v. 1.7.2004 - 2 W 144/04) ausgeführt hat - zumindest ihre bildliche Darstellung in der Öffentlichkeit gefallen lassen müssen. Zwar wäre im Gegensatz zur bildlichen Darstellung dieses Geschehens, wie es sich vor den Augen der Öffentlichkeit abgespielt hat, die in Rede stehende Namensnennung anders zu beurteilen, wenn der Kläger nicht Täter, sondern nur Opfer oder ein sonst unfreiwillig in das Tatgeschehen Hineingezogener gewesen wäre, insb. wenn er - wie er behauptet hat - aus einer Notwehr oder Nothilfesituation heraus zugeschlagen hätte. Diese Behauptung wird jedoch durch die Bildsequenzen des über den Vorfall aufgenommenen Videofilms widerlegt, den der Senat beweiseshalber in Echtzeit in Augenschein genommen hat. Danach ist es der Kläger gewesen, der angegriffen hat, nachdem er sich zuvor aus einem Gerangel um das anschließend als Tatwaffe benutzte Transparent befreit hatte. Bei seiner Schlagführung, die das eigentlich anvisierte Ziel verfehlt und mit dem Verletzten dann auch noch einen Unbeteiligten getroffen hat, war der Kläger jedoch keinem bereits geführten oder sonst unmittelbar bevorstehenden Angriff ausgesetzt, welcher Anlass zu der Annahme hätte bilden können, er müsse sich irgendwie seiner Haut wehren.

Der berichtete Vorfall betrifft danach den Kläger in einer Tätersituation bei einem Gewaltdelikt, welches nach Art der Tatbegehung anlässlich einer politischen Demonstrationsveranstaltung die Öffentlichkeit in besonderer Weise berührt und dadurch ein gesteigertes Informationsinteresse auslöst. Zwar handelt es sich bei dem Kläger nicht um eine herausgehobene Persönlichkeit des rechten politischen Spektrums. Selbst die von der Beklagten behauptete Wahrnehmung einer Ordnerfunktion bei der betreffenden Demonstration bewirkt für sich allein eine solche Heraushebung noch nicht. Gleichwohl unterliegt die im Zeitungsbericht wiedergegebene Tat einem gesteigerten Unterrichtungsinteresse, da sie nach der Ereignisabfolge, wie sie aus den Bildsequenzen herauszulesen ist, exemplarisch erscheint für die politische "Kultur" an beiden Enden des politischen Spektrums und symptomatisch wirkt für das hasserfüllte Umgehen der jeweiligen politischen Gegner untereinander bei ihrem häufig sogar gesuchten Aufeinandertreffen. Dies bietet allen Anlass für eine eingehende Befassung mit den dabei anzutreffenden Erscheinungen und Vorkommnissen. Die Art und Weise, wie beide Seiten mit ihrem Aufeinandertreffen und den dabei förmlich abzusehenden Handgreiflichkeiten die Öffentlichkeit suchen, um vor den Augen dieser Öffentlichkeit den politischen Gegner gewaltsam anzugehen, mindert nicht nur das Anonymitätsinteresse einschl....

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