Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen in der ehemaligen DDR

 

Leitsatz (amtlich)

§§ 2325, 2329 BGB sind auch auf Schenkungen anzuwenden, die ein nach der Einigung Deutschlands verstorbener Erblasser in der ehemaligen DDR unter der Geltung des Zivilgesetzbuchs vorgenommen hatte.

 

Normenkette

BGB §§ 2325, 2329

 

Verfahrensgang

LG Potsdam

Brandenburgisches OLG

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. März 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Schadensersatz vom Beklagten, der sie bei der Verfolgung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen als Anwalt vertreten hat. Die Klägerin ist eine Tochter des am 24. Juni 1992 mit letztem Wohnsitz in W. gestorbenen Erblassers. Dieser setzte durch Testament einen nicht von ihm abstammenden Erben ein und verschenkte mit notariellen Verträgen vom 28. Juni und 28. September 1990 Grundstücke in W. an ein Ehepaar B.. Die Beschenkten wurden am 13. November 1991 und 24. Juni 1992 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Eine Klage gegen den Alleinerben auf Pflichtteilsergänzung wegen dieser Grundstücksschenkungen wurde abgewiesen, weil der Anspruch verjährt sei.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung eines der Pflichtteilsquote der Klägerin entsprechenden Teils des Wertes der verschenkten Grundstücke verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob Schenkungen eines in der ehemaligen DDR wohnhaft gewesenen Erblassers, der nach dem 3. Oktober 1990 gestorben ist und deshalb gemäß Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch beerbt wird, auch dann zu Ansprüchen aus §§ 2325, 2329 BGB führen können, wenn er die Schenkungen unter der Herrschaft des Zivilgesetzbuchs der DDR gemacht hat, das eine Pflichtteilsergänzung nicht kannte. Selbst wenn insoweit Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kämen, stünden sie der Klägerin jedenfalls deshalb nicht zu, weil sie im Zeitpunkt der hier vorgenommenen Schenkungen noch nicht pflichtteilsberechtigt gewesen sei. Dafür komme es auf den Zeitpunkt der Auflassung, nicht etwa der Umschreibung im Grundbuch an (BGHZ 59, 210, 211), hier also auf den 28. Juni und 28. September 1990. Nach dem seinerzeit noch geltenden Zivilgesetzbuch sei die Klägerin aber nicht pflichtteilsberechtigt gewesen, weil sie weder im Zeitpunkt der Schenkung noch im Zeitpunkt des Erbfalls unterhaltsberechtigt gegenüber dem Erblasser gewesen sei (§ 396 Abs. 1 Nr. 2 ZGB).

2. Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis mit Recht.

a) Der nach dem 3. Oktober 1990 gestorbene Erblasser wird nach dem Bürgerlichen Gesetzbuchs beerbt (Art. 235 § 1 EGBGB). Deshalb kommt es für die Pflichtteilsberechtigung der Klägerin nicht auf das Zivilgesetzbuch, sondern auf § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB an. Danach genügt, daß sie ein (durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossener) Abkömmling des Erblassers ist. Eine Unterhaltsberechtigung gegenüber dem Erblasser ist nicht erforderlich. Dementsprechend kann es auch für den Schutzbereich des § 2325 Abs. 1 BGB nur darauf ankommen, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Schenkung bereits die Tochter des Erblassers war. Das ist unstreitig.

Daß dem Erblasser bei Abschluß der Schenkungsverträge eine spätere Pflichtteilsberechtigung der Klägerin möglicherweise nicht klar gewesen ist, weil das Bürgerliche Gesetzbuch in der früheren Deutschen Demokratischen Republik noch nicht in Kraft getreten war, und daß auch die Klägerin aus diesem Grunde damals noch nicht mit einer Beteiligung an den verschenkten Vermögenswerten gerechnet haben könnte, ist nicht entscheidend: § 2325 Abs. 1 BGB wirkt objektiv und führt zu einer Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Senat, Urteil vom 25. Juni 1997 – IV ZR 233/96 – NJW 1997, 2676 unter I 3 c).

b) Der Senat hat allerdings in einem Beschluß vom 14. Dezember 1994 (IV ZA 3/94 – ZEV 1995, 335 = FamRZ 1995, 420; dazu kritisch Kummer, ZEV 1995, 319 f.) für fraglich gehalten, ob Schenkungen, die ein Erblasser vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR vorgenommen hat, beim Tod des Erblassers nach dem 3. Oktober 1990 der im Zivilgesetzbuch der DDR nicht vorgesehenen Pflichtteilsergänzung unterliegen. An den damals bestehenden Bedenken hält der Senat nach erneuter Sachprüfung jedenfalls im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Fall nicht fest.

Aus Art. 235 § 1 EGBGB lassen sich Einschränkungen der Anwendbarkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Erbfälle nach dem 3. Oktober 1990 nicht entnehmen. Zu der Parallelvorschrift des Art. 213 EGBGB hat das Reichsgericht entschieden, daß bei einem nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gestorbenen Erblasser die §§ 2325, 2329 BGB auch auf Schenkungen anzuwenden sind, die vor dem 1. Januar 1900 unter der Herrschaft eines Rechts vorgenommen wurden, das eine solche Pflichtteilsergänzung nicht kannte (RGZ 54, 241; 58, 124, 126 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die tatbestandliche Anknüpfung einer Rechtsnorm an Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung („unechte” Rückwirkung) grundsätzlich zulässig, stößt aber – je nach dem Gewicht der gegenläufigen schutzwürdigen Interessen, insbesondere des Vertrauens in den Bestand der geltenden Rechtslage – auf durch Abwägung zu ermittelnde Grenzen, die sich letztlich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben (BVerfGE 72, 200, 242 f. = NJW 1987, 1749 unter I 1; BVerfGE 92, 277, 325 ff. = NJW 1995, 1811, 1814 unter V; BVerfGE 97, 67, 78 f. = NJW 1998, 1547, 1548 unter I 1 a). Soweit Pflichtteilsergänzungsansprüche die Erberwartungen des eingesetzten Erben schmälern (und insofern auch die Testierfreiheit des Erblassers beschränken), überwiegt gegenüber dem – auch vom Zivilgesetzbuch der DDR nicht geschützten – Vertrauen auf den uneingeschränkten Bestand letztwilliger Verfügungen das Anliegen des Gesetzgebers an der Einheit der Rechtsordnung nach der Einigung Deutschlands (so auch OLG Dresden ZEV 1999, 272, 273; Schubel-Wiedenmann, JZ 1995, 858, 864 f.). Stärker betroffen ist dagegen ein Beschenkter, der unter dem Zivilgesetzbuch unangreifbar Eigentum erworben hatte (für seinen Schutz vor Pflichtteilsergänzungsansprüchen Schubel-Wiedenmann, aaO 866; Kuchinke, DtZ 1996, 194, 199). Auch für ihn gilt jedoch, daß er unentgeltlich erworben hat; eine Folge der Schwäche des unentgeltlichen Erwerbs ist der Anspruch aus § 2329 BGB (MünchKomm/Frank, BGB 3. Aufl. § 2325 Rdn. 10a; MünchKomm/Leipold, Art. 235 § 1 EGBGB Rdn. 42). Diese Belastung des Beschenkten wird gemildert durch das Recht, die Herausgabe des Geschenks durch Zahlung des fehlenden Betrags abzuwenden (§ 2329 Abs. 2 BGB); für dessen Berechnung kommt es gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Wert im Zeitpunkt der Schenkung an (d.h. ihres Vollzuges; BGHZ 65, 75, 76), wenn der Wert in diesem Zeitpunkt geringer ist als im Zeitpunkt des Erbfalles. Das trifft im allgemeinen bei Grundstücksschenkungen in der früheren DDR zu und führt zu weit unter dem Verkehrswert nach der Einigung Deutschlands liegenden Beträgen (vgl. Senatsbeschluß vom 14. Dezember 1994 aaO). Bei dieser Sachlage sind die Folgen, die sich für den Beschenkten aus der Einführung von §§ 2325 ff. BGB in den neuen Bundesländern ergeben, im Hinblick auf die große Bedeutung der vom Gesetzgeber erstrebten Rechtseinheit hinzunehmen.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß sich der Eigentumserwerb der Beschenkten erst nach dem 3. Oktober 1990 durch Eintragung im Grundbuch vollendet hat. Schon bei Abschluß der Schenkungsverträge vom 28. Juli und 28. September 1990 konnte auf das uneingeschränkte Fortbestehen des Zivilgesetzbuchs der DDR nicht mehr vertraut werden. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, der in Art. 8 das Inkrafttreten des Bundesrechts in den neuen Ländern vorsah, ist am 31. August 1990 abgeschlossen worden (BGBl. II 889).

Das Berufungsgericht wird daher nach Zurückverweisung der Frage der anwaltlichen Pflichtverletzung nachzugehen haben.

 

Unterschriften

Terno, Prof. Römer, Dr. Schlichting, Seiffert, Ambrosius

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 07.03.2001 durch Heinekamp Justizsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BGHZ

BGHZ, 95

NJW 2001, 2398

BGHR 2001, 417

FamRZ 2001, 992

DNotI-Report 2001, 86

JR 2002, 150

JurBüro 2001, 612

Nachschlagewerk BGH

VIZ 2001, 340

WM 2001, 996

ZAP 2001, 860

DNotZ 2001, 711

JZ 2001, 1088

MDR 2001, 815

NJ 2001, 539

ZErb 2001, 152

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