Leitsatz (amtlich)

Wendet sich ein Wohnungseigentümer mit der Beschlussanfechtungsklage erfolglos gegen den Ansatz einer Kostenposition in der Jahresabrechnung, bestimmt sich seine Beschwer nach dem Nennwert, mit dem diese Position in seiner Einzelabrechnung angesetzt ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der Berufungskläger seine Beanstandung von vornherein inhaltlich beschränkt.

 

Normenkette

ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1; WEG § 46 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Beschluss vom 27.10.2014; Aktenzeichen 11 S 28/14)

AG Pforzheim (Entscheidung vom 20.01.2014; Aktenzeichen 12 C 56/12)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des LG Karlsruhe - Zivilkammer XI - vom 27.10.2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.404,12 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Auf der Versammlung vom 2.4.2012 beschlossen die Wohnungseigentümer die Jahresabrechnung für das Geschäftsjahr 2011. Diesen Beschluss hat die Klägerin mit der Begründung angefochten, in ihrer Einzelabrechnung sei zu Unrecht ein Betrag von 1.404,12 EUR für "Heizungskosten" angesetzt; die Wohnung habe im gesamten Wirtschaftsjahr leer gestanden. Unter dieser Postenbezeichnung übernimmt die Jahresabrechnung die Ergebnisse der Heizkostenabrechnung, die außer den Heizkosten noch Kaltwasserkosten, Kosten für gesonderte Verteilung und Kosten der Nach-/Zwischenablesung umfasst.

Rz. 2

Das AG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens den Parteien vorgeschlagen, sich darauf zu einigen, "hinsichtlich der Heizkosten für die Wohnung der Klägerin als Abrechnungskosten 750 EUR einzustellen" und den Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Beide Parteien haben ihr Einverständnis mit dem Vorschlag erklärt, die Beklagten allerdings mit dem Zusatz, dass neben dem Betrag von 750 EUR noch die übrigen Positionen aus der Heizkostenabrechnung anzusetzen seien, insgesamt 1.094,63 EUR. Das AG hat das Zustandekommen eines Vergleichs mit dem von ihm vorgeschlagenen Inhalt durch Beschluss festgestellt.

Rz. 3

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, durch Zwischenurteil festzustellen, dass der Rechtsstreit (durch den Vergleich) nicht beendet sei, hilfsweise, dass in der Abrechnung unter der Postenbezeichnung "Heizungskosten" nur der Betrag von 750 EUR anzusetzen sei. Das AG hat auf einen entsprechenden Hilfsantrag der Beklagten festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet ist. Die Berufung der Klägerin hat das LG als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Klägerin die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Rz. 4

Nach Ansicht des Berufungsgerichts übersteigt die Beschwer der Klägerin durch das angefochtene Zwischenurteil 600 EUR nicht. Werde die Genehmigung einer Jahresabrechnung angefochten, so bestimme sich bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Beschwer nicht nach dem Nennbetrag der beanstandeten Kostenposition, sondern nach der Differenz, die der Rechtsmittelführer im Erfolgsfall weniger zahlen müsse. Die Klägerin sehe sich einer Forderung für die im Streit stehende Position "Heizungskosten" ihrer Einzelabrechnung i.H.v. 1.094,63 EUR ausgesetzt. Sie habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass als Heizungskosten in der Jahresrechnung weniger als 500 EUR anzusetzen seien. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachten sei dieser Betrag zwischen 700 EUR und 800 EUR zu schätzen. Der Streit der Parteien betreffe im Ergebnis nur die Frage, ob neben dem von dem AG vorgeschlagenen Betrag von 750 EUR noch die übrigen Positionen aus der Heizkostenabrechnung anzusetzen seien.

III.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 6

1. Sie ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Dieser Zulässigkeitsgrund ist u.a. dann gegeben, wenn dem Berufungskläger der Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert wird. Eine solche Erschwerung liegt vor, wenn das Berufungsgericht bei der Bemessung der Beschwer die Grenzen seines - weiten - Ermessens überschreitet (BGH, Beschl. v. 11.6.2015 - V ZB 78/14, ZWE 2015, 337 Rz. 6 f.). Das ist hier geschehen. Das Berufungsgericht hat die Grenzen seines Ermessens dadurch überschritten, dass es die Bemessung der Beschwer der Klägerin an Erwägungen ausgerichtet hat, deren Prüfung der Entscheidung in der Sache vorbehalten sind (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 19.6.2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rz. 5, 7).

Rz. 7

2. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Berufung durfte nicht als unzulässig verworfen werden, weil die Beschwer der Klägerin den Betrag von 600 EUR übersteigt.

Rz. 8

a) Maßgeblich für den Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) ist das Interesse des Berufungsklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils; dieses ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Dabei ist auch in wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren allein auf die Position des Rechtsmittelführers, seine Beschwer und sein Änderungsinteresse abzustellen (BGH, Beschlüsse vom 19.6.2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rz. 7; v. 11.6.2015 - V ZB 78/14, ZWE 2015, 337 Rz. 7). Entscheidend ist der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Ohne Bedeutung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 19.6.2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rz. 7 a.E.) oder eines nach dem Scheitern eines Prozessvergleichs fortzusetzenden Rechtsstreits.

Rz. 9

b) Letzteres hat das Berufungsgericht verkannt.

Rz. 10

aa) (1) Noch zutreffend stellt es für die Bemessung des Interesses der Klägerin an der Abänderung des Zwischenurteils auf deren mit der Beschlussanfechtungsklage verfolgtes wirtschaftliches Einzelinteresse ab. Gegenstand des Zwischenurteils ist zwar nicht die ursprüngliche Beschlussanfechtungsklage, sondern die Frage, ob der Rechtsstreit darüber durch den von dem AG festgestellten Prozessvergleich beendet worden ist. Die Beschwer bestimmt sich in einer solchen Fallgestaltung nicht nach dem Wert des Feststellungsantrags (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 19.9.2012 - V ZB 56/12, NJW 2013, 470 Rz. 5), sondern nach dem Interesse des Berufungsklägers an der Unwirksamkeit des Vergleichs (vgl. BGH, Beschl. v. 14.2.2007 - XII ZB 52/03, NJOZ 2007, 5338 Rz. 11). Dieses entspricht hier aber inhaltlich dem mit der Anfechtungsklage ursprünglich verfolgten wirtschaftlichen Eigeninteresse der Klägerin, nach dem sich auch die Beschwer des Anfechtungsklägers durch die Abweisung der Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der Wohnungseigentümer richtete (BGH, Beschluss vom 15.5.2012 - V ZB 282/11, NJW-RR 2012, 1103 Rz. 7).

Rz. 11

(2) Das wirtschaftliche Eigeninteresse des Berufungsklägers entspricht zwar nicht dem Streitwert des Anfechtungsklageverfahrens, der sich nach dem Gesamtinteresse des Berufungsklägers selbst und der verklagten übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft bestimmt. Maßgeblich ist vielmehr der Anteil des Berufungsklägers an dem Gesamtergebnis (vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2012 - V ZB 282/11, NJW-RR 2012, 1103 Rz. 7). Der richtet sich aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach dem Nennbetrag, mit dem die angefochtene Kostenposition in der Einzelabrechnung des Berufungsklägers angesetzt ist. Etwas anderes gilt nur, wenn der Berufungskläger seine Beanstandung von vornherein inhaltlich beschränkt, etwa nur auf den angesetzten Kostenverteilungsmaßstab (so im Fall LG Dessau-Roßlau, Urt. v. 25.2.2011 - 1 S 218/10, juris Rz. 12). Wendet er sich aber ohne Einschränkungen gegen den Ansatz einer Kostenposition in seiner Einzelabrechnung, bestimmt deren Nennbetrag seine Beschwer. Ob er damit in der Sache durchdringt, ist für die Bemessung seiner Beschwer unerheblich (BGH, Beschl. v. 19.6.2013 - V ZB 182/12, NJW-RR 2013, 1034 Rz. 7 a.E.).

Rz. 12

bb) So liegt es hier.

Rz. 13

(1) Die Klägerin hat sich mit der Beschlussanfechtungsklage gegen den Ansatz der Position "Heizungskosten" mit einem Betrag von 1.404,12 EUR in ihrer Einzelabrechnung gewandt. Mit der Berufung möchte sie die Feststellung erreichen, dass der Prozessvergleich das Anfechtungsklageverfahren nicht beendet hat, um das ursprüngliche Klageziel weiterzuverfolgen. Die Klägerin strebt nämlich an, dass die in der Einzelabrechnung für ihre Wohnung angesetzten Ausgaben um den genannten Betrag gekürzt werden. An der hinreichenden Substantiierung der Berufungsbeschwer i.H.v. 1.404,12 EUR ändern die von dem Berufungsgericht angeführten Erwägungen nichts.

Rz. 14

(2) Sie betreffen die Begründetheit des Rechtsmittels, nicht die Beschwer. Es mag sein, dass in der Einzelabrechnung für die Wohnung der Klägerin trotz des Leerstands "Heizungskosten" im Umfang von zwischen 700 EUR und 800 EUR anzusetzen sind. Das änderte aber nichts daran, dass die Klägerin mit der Fortsetzung des Verfahrens erster Instanz eine weitergehende Entlastung erreichen will. Allein darauf kommt es für die Beschwer an. Ohne Bedeutung für deren Bemessung ist auch das weitere Argument des Berufungsgerichts, die Parteien stritten sich letztlich nur darüber, ob neben den von dem AG vorgeschlagenen 750 EUR noch die weiteren Positionen aus der Abrechnung des mit der Verbrauchsermittlung beauftragten Unternehmens anzusetzen sind. Das trifft zwar für den Hilfsantrag zu, mit dem die Klägerin sinngemäß die Feststellung anstrebt, nach dem Vergleich sei unter der Postenbezeichnung insgesamt nur ein Betrag von 750 EUR anzusetzen. Die Klägerin verfolgt aber auch mit der Berufung den Hauptantrag festzustellen, dass der Prozessvergleich das Verfahren erster Instanz nicht beendet hat. Es geht ihr deshalb auch im Berufungsverfahren um den Bestand des Vergleichs an sich und damit inhaltlich nach wie vor um die ursprünglich streitige Kostenposition. Auf deren Nennwert in der Einzelabrechnung der Klägerin kommt es für die Bemessung ihrer Beschwer an.

Rz. 15

(3) Eine 600 EUR übersteigende Beschwer hätte die Klägerin auch dargelegt, wenn man, wie es den Beklagten vorschwebt, darauf abstellte, dass nach dem angegriffenen Vergleich "hinsichtlich der Heizkosten" ein Betrag von 750 EUR in die Einzeljahresabrechnung für die Wohnung der Klägerin eingestellt werden soll. Je nach Auslegung des Vergleichs müsste die Klägerin dann 750 EUR oder 1.093,63 EUR an Heizkosten tragen. Mit ihrem Hauptantrag möchte sie aber nicht nur die Verpflichtung zur Zahlung des höheren Betrags, sondern auch die des niedrigeren vermeiden. An der Darlegung einer 600 EUR übersteigenden Beschwer änderte sich deshalb auch bei einem Abstellen auf den Inhalt des angegriffenen Vergleichs nichts.

IV.

Rz. 16

Die Sache ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

Rz. 17

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 49a Abs. 1 GKG. Das Interesse der Klägerin entspricht der streitigen Position in ihrer Einzelabrechnung und bildet die Untergrenze für den Gegenstandswert (§ 49a Abs. 1 Satz 2 GKG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 8524094

NJW 2015, 6

EBE/BGH 2015

NJW-RR 2015, 1492

NZM 2015, 940

ZMR 2015, 2

ZMR 2016, 47

ZfIR 2015, 813

JZ 2015, 636

JZ 2015, 640

MDR 2015, 1172

WuM 2015, 692

ZWE 2015, 466

MietRB 2015, 364

RVG prof. 2016, 62

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