Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung. Gerichtliche Festsetzung. Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Neugläubiger. Insolvenzgläubiger

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Gläubiger ist mit seinem gerichtlich festgesetzten prozessualen Anspruch auf Erstattung der Kosten eines gegen den Schuldner geführten Rechtsstreits, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen begonnen wurde, kein Insolvenz-, sondern Neugläubiger. Dies gilt unabhängig davon, ob der Schuldner zusätzlich aus einem vor Insolvenzeröffnung verwirklichten Schuldgrund materiell-rechtlich zur Kostenerstattung verpflichtet ist.

 

Normenkette

InsO § 89 Abs. 1, § 38

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 07.05.2012; Aktenzeichen 3 T 16/12)

AG Syke (Beschluss vom 09.02.2012; Aktenzeichen 15 IK 38/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der weiteren Beteiligten zu 1) werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Verden vom 7.5.2012 teilweise aufgehoben und der Beschluss des AG Syke vom 9.2.2012 teilweise abgeändert.

Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, den Auftrag der weiteren Beteiligten zu 1) zur Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des AG Stolzenau vom 14.10.2011 nicht wegen des über das Vermögen der Schuldnerin eröffneten Insolvenzverfahrens abzulehnen.

Im Übrigen werden die Rechtsmittel zurückgewiesen.

Von den Kosten der Rechtsmittel trägt die Gläubigerin 26 v.H., die Schuldnerin 74 v.H.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 151,75 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 11.2.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im August 2011 erhob die weitere Beteiligte zu 1) wegen einer Kaufpreisforderung über 176,06 EUR aus einer im Jahr 2009 erfolgten Warenlieferung Klage gegen die Schuldnerin. Mit Versäumnisurteil vom 15.9.2011 wurde die Schuldnerin zur Zahlung der Hauptforderung nebst Zinsen sowie zur Erstattung von 20 EUR Mahnkosten, 12 EUR Schadensfeststellungskosten und 39 EUR außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen verurteilt. Außerdem wurde festgestellt, dass die Beklagte die Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung gem. § 263 StGB schuldet. Mit Beschluss vom 14.10.2011 wurden die von der Schuldnerin der weiteren Beteiligten zu 1) aufgrund des Rechtsstreits zu erstattenden Kosten auf 112,75 EUR nebst Zinsen festgesetzt.

Rz. 2

Anschließend beauftragte die weitere Beteiligte zu 1) den Gerichtsvollzieher mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil und aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss. Der Gerichtsvollzieher lehnte die beantragte Bestimmung eines Termins zur Abnahme der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung ab mit der Begründung, wegen der bereits erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin seien Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung nach § 89 InsO unzulässig.

Rz. 3

Gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers hat die weitere Beteiligte zu 1) Erinnerung erhoben und ausgeführt, jedenfalls wegen der Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 39 EUR und wegen der im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kosten von 112,75 EUR sei eine Vollstreckung zulässig, weil diese Forderungen erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden seien, die weitere Beteiligte zu 1) mithin insoweit nicht Insolvenzgläubigerin, sondern Neugläubigerin sei. Das Insolvenzgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die weitere Beteiligte zu 1) ihr Begehren bezüglich der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung und der festgesetzten Kosten des Rechtsstreits weiter.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht im vollstreckungsrechtlichen Rechtszug nach §§ 567 Abs. 1, 793 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Einzelzwangsvollstreckung sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch bezüglich der noch im Streit stehenden außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten und gerichtlich festgesetzten Kosten des Rechtsstreits nach § 89 InsO unzulässig. Auch insoweit sei die weitere Beteiligte zu 1) wegen des engen und unmittelbaren Zusammenhangs mit der Hauptforderung Insolvenzgläubigerin, auch wenn die in Rede stehenden Kosten erst nach Insolvenzeröffnung entstanden seien.

Rz. 6

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nur bezüglich der Forderung auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 39 EUR im Ergebnis stand. Die Vollstreckung der Forderung aus dem gerichtlichen Kostenfestsetzungsbeschluss ist dagegen nicht nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig.

Rz. 7

a) § 89 Abs. 1 InsO untersagt während der Dauer des Insolvenzverfahrens Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in die Insolvenzmasse und in das sonstige Vermögen des Schuldners. Das Verbot gilt zwar nicht für bloße Vorbereitungsmaßnahmen der Zwangsvollstreckung. Um eine solche handelt es sich bei der beantragten Abnahme der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung nach §§ 807, 899 ff. ZPO aber nicht (BGH, Beschl. v. 24.5.2012 - IX ZB 275/10, WM 2012, 1307 Rz. 10 ff.; vom 17.4.2013 - IX ZB 300/11, WM 2013, 939 Rz. 7).

Rz. 8

b) Der Anwendung des § 89 Abs. 1 InsO steht auch nicht entgegen, dass nach der Feststellung im Versäumnisurteil vom 15.9.2011 die dort titulierten Forderungen der weiteren Beteiligten zu 1) auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung der Schuldnerin beruhen. Neugläubiger solcher Forderungen (einschließlich entstandener Prozesskosten, vgl. BGH, Beschl. v. 10.3.2011 - VII ZB 70/08, WM 2011, 944 Rz. 14) können während des Insolvenzverfahrens zwar in den nach § 850 f ZPO erweitert pfändbaren Teil der Bezüge des Schuldners vollstrecken (§ 89 Abs. 2 Satz 2 InsO). Diese Privilegierung gilt als Ausnahme von der Regelung in § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO jedoch nicht für Insolvenzgläubiger. Für Deliktsgläubiger, die zu den Insolvenzgläubigern zählen, bleibt es beim allgemeinen Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO (BGH, Beschl. v. 27.9.2007 - IX ZB 16/06, WM 2007, 2300 Rz. 10).

Rz. 9

c) Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob die weitere Beteiligte zu 1) mit den Forderungen, deren zwangsweise Vollstreckung sie begehrt, Insolvenzgläubigerin ist.

Rz. 10

aa) Insolvenzgläubiger sind die persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Eine Insolvenzforderung in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, mag sich eine Forderung des Gläubigers daraus auch erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergeben. Nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs muss schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein. Unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist (BGH, Beschl. v. 22.9.2011 - IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rz. 3 m.w.N.).

Rz. 11

bb) Nach diesem Maßstab handelt es sich nicht nur bei der Hauptforderung, deren entsprechende Einordnung die weitere Beteiligte zu 1) hingenommen hat, um eine Insolvenzforderung, sondern auch bei der Forderung auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.

Rz. 12

Rechtsgrundlage des im Versäumnisurteil titulierten Anspruchs auf Erstattung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung ist § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Daneben ergibt sich der Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286, 280 Abs. 1 und 2 BGB). Der danach geschuldete Schadensersatz umfasst die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung (BGH, Urt. v. 10.1.2006 - VI ZR 43/05, NJW 2006, 1065 m.w.N.; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 249 Rz. 56 f.). Die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Februar 2011 entstanden, gleichviel ob man auf den im Jahr 2009 begangenen Betrug oder auf den spätestens im Januar 2010 eingetretenen Verzug abstellt. Forderungen auf Ausgleich aller auf dieser Grundlage ersatzfähiger Schäden sind Insolvenzforderungen, auch wenn der konkrete Schaden erst nach Insolvenzeröffnung eingetreten ist, denn sie sind Bestandteil des einheitlichen, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklichten Schuldverhältnisses (RGZ 87, 82, 84 f.; Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 38 Rz. 26, 28; Jaeger/Henckel, InsO, § 38 Rz. 86, 169).

Rz. 13

cc) Anderes gilt jedoch für den Anspruch der weiteren Beteiligten zu 1) auf Erstattung der Prozesskosten. Dieser Anspruch war zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht begründet. Er ist deshalb keine dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO unterfallende Insolvenzforderung.

Rz. 14

(1) Zwar handelt es sich auch bei den Prozesskosten um einen Schaden, auf den sich die vor Insolvenzeröffnung begründete materiell-rechtliche Schadensersatzpflicht der Schuldnerin wegen unerlaubter Handlung und wegen Verzugs erstreckt. Die weitere Beteiligte zu 1) begehrt aber die Zwangsvollstreckung des im Kostenfestsetzungsbeschluss titulierten Anspruchs, mithin des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs. Dieser besteht rechtlich selbständig neben dem materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch (etwa BGH, Urt. v. 24.4.1990 - VI ZR 110/89, BGHZ 111, 168, 170 f.; st.Rspr.; MünchKomm/ZPO/Schulz, 4. Aufl., vor §§ 91 ff. Rz. 19). Während jener auf dem die Schadensersatzpflicht begründenden Lebenssachverhalt beruht und regelmäßig ein Verschulden voraussetzt, wurzelt der prozessuale Kostenerstattungsanspruch im Prozessrechtsverhältnis und knüpft verschuldensunabhängig an die Veranlassung der Kosten an (Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., vor § 91 Rz. 10 f.; Hk-ZPO/Gierl, 5. Aufl., vor §§ 91-107 Rz. 12, 14; Schneider, MDR 1981, 353, 354). Er entsteht aufschiebend bedingt erst mit Prozessbeginn (BGH, Urt. v. 1.12.2005 - IX ZR 115/01, WM 2006, 148, 150 m.w.N.; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 91 Rz. 15) und ist deshalb nur dann eine Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO, wenn der Prozess vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen hat (Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 38 Rz. 107; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 38 Rz. 49; BK-InsO/Breutigam, § 38 Rz. 22). Dies war hier nicht der Fall. In entsprechender Wertung hat der Senat entschieden, dass die Einordnung eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs als Alt- oder Neumasseverbindlichkeit i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO davon abhängt, ob der Erstattungsanspruch durch Klageerhebung vor oder nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurde (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 - IX ZB 247/03, ZIP 2005, 817, 818; v. 9.10.2008 - IX ZB 129/07, ZIP 2008, 2284 Rz. 6).

Rz. 15

(2) Der Zusammenhang zwischen dem Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten und der Hauptforderung, die Gegenstand des Prozesses war, rechtfertigt es nicht, über die rechtliche Selbständigkeit des prozessualen Erstattungsanspruchs hinwegzugehen und anzunehmen, dieser sei schon zusammen mit der Hauptforderung begründet. Dies gilt selbst dann, wenn die Hauptforderung - wie hier - auf einem Vorsatzdelikt beruht. Soweit in der Rechtsprechung des BGH bestimmte Rechtsfolgen von Ansprüchen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen auch auf Verzugszinsen und Prozesskosten erstreckt werden (für das Aufrechnungsverbot nach § 393 BGB und die Ausnahme von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO: BGH, Urt. v. 18.11.2010 - IX ZR 67/10, WM 2011, 131 Rz. 14 ff.; v. 2.12.2010 - IX ZR 247/09, WM 2011, 88 Rz. 24, insoweit in BGHZ 187, 337 nicht abgedruckt; für die erweiterte Pfändungsmöglichkeit nach § 850 f Abs. 2 ZPO: BGH, Beschl. v. 10.3.2011 - VII ZB 70/08, WM 2011, 944 Rz. 14), beruht dies auf der Zielrichtung der entsprechenden Vorschriften, dem durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung geschädigten Gläubiger einen wirkungsvollen und vollständigen Schutz zu gewähren. Darum geht es bei der Beurteilung, ob ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde und deshalb als Insolvenzforderung im Insolvenzverfahren verfolgt werden muss, oder ob er als nach Verfahrenseröffnung begründeter Anspruch außerhalb des Insolvenzverfahrens vollstreckt werden kann, nicht. Je nach Sachlage kann die eine oder die andere Einordnung für den Gläubiger vorteilhafter sein.

 

Fundstellen

EBE/BGH 2014

NJW-RR 2014, 1079

EWiR 2014, 287

WM 2014, 470

ZIP 2014, 480

DGVZ 2014, 89

DZWir 2014, 324

JZ 2014, 310

MDR 2014, 426

NJ 2014, 4

NZI 2014, 310

Rpfleger 2014, 333

ZInsO 2014, 496

NJW-Spezial 2014, 439

RENOpraxis 2014, 78

RVGreport 2014, 280

ZVI 2014, 185

VIA 2014, 62

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