Entscheidungsstichwort (Thema)

Lesehilfen als Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Lesehilfen zur Behebung von Altersweitsichtigkeit handelt es sich um Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes.

 

Normenkette

UWG § 4 Nr. 11; MPG §§ 3, 5

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 14.03.2005; Aktenzeichen 3 O 2312/05)

 

Tenor

Hinweis nach § 522 ZPO:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung einstimmig durch Beschluss zurückzuweisen. Er ist nämlich davon überzeugt, dass das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 ZPO). Es sind auch keine neuen berücksichtigungsfähigen Tatsachen vorgetragen noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts begründen können (§ 529 ZPO). Daher ist von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).

 

Gründe

Zu Recht hat das LG seine Beschlussverfügung vom 14.3.2005 aufrechterhalten. Denn der Verfügungsklägerin steht ggü. der Verfügungsbeklagten der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus den §§ 8 Abs. 1, Abs. 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§ 3, 5, 6, 7 MPG zu.

1. Die streitgegenständlichen Lesehilfen sind Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes.

a) Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbundenen verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktion zum Zwecke

aa) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,

bb) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen ...

zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht werden kann, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Bei der Altersweitsichtigkeit handelt es sich um eine Behinderung.

Die Lesefähigkeit ist hierbei im Vergleich zu anderen Menschen eingeschränkt. Dies stellt eine Behinderung dar. Dass dies vielfach eine auf den Alterungsprozess zurückzuführende Eigenschaft ist, ist nach Ansicht des Senats unerheblich.

Insoweit ist nicht der Behinderungsbegriff des SGB zugrunde zu legen, da das SGB eine völlig andere Zielrichtung hat als das Medizinproduktegesetz. Während das SGB Fragen des Sozialrechts, so zum Beispiel der Erwerbsminderung, der Schwerbeschädigteneigenschaft zum Ziel hat, ist das Medizinproduktegesetz Verbraucherschutzvorschrift. Es dient nämlich der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Patienten, der Anwender und Dritter (EG-RL 93/42).

Viele Behinderungen, Krankheiten und Beschwernisse sind auf den Alterungsprozess zurückzuführen. Folgte man der Argumentation der Verfügungsbeklagten, würden alle Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen, die der Linderung oder Kompensation von Altersbeschwerden, wie z.B. Gebrechlichkeit, Schwerhörigkeit, Knochenschwäche usw., dienen, aus dem Anwendungsbereich des MPG herausfallen. Dies kann angesichts der Schutzrichtung des Gesetzes nicht richtig sein.

Daher gehören nach ganz gängiger Meinung auch Sehhilfen und Hörhilfen zu den Medizinprodukten (Schorn, Medizinprodukterecht M 2 - 1/26 = § 2 MPG Rz. 48).

b) Die Mitteilung der Regierung von Oberbayern, dass nicht für den Patienten angepasste Lesehilfen keine Medizinprodukte seien, bindet die Zivilgerichte bei der Beurteilung, ob es sich um solche handelt, nicht.

aa) Zwar ist der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG nicht erfüllt, wenn ein Marktverhalten durch einen Verwaltungsakt ausdrücklich erlaubt ist und der Verwaltungsakt nicht nichtig ist (BGH v. 23.6.2005 - I ZR 194/02, BGHReport 2005, 1547 = NJW 2005, 2705 = GRUR 2005, 778, m.w.N.).

Vorliegend wurde aber kein Verwaltungsakt erlassen, sondern nur eine allgemeine Rechtsauskunft erteilt. Denn die Äußerung der Regierung von Oberbayern enthält keine Regelung, wie dies für einen Verwaltungsakt mit Tatbestandswirkung unverzichtbar ist (BGH v. 23.6.2005 - I ZR 194/02, BGHReport 2005, 1547 = NJW 2005, 2705 = GRUR 2005, 778, m.w.N.).

Ob insoweit eventuell ein Verschulden, wie es für einen Schadensersatzanspruch erforderlich wäre, bei der Berufungsbeklagten fehlt, kann dahinstehen, da vorliegend allein Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden. Dafür ist ein Verschulden jedoch nicht erforderlich.

bb) § 27 MPG regelt den Fall, dass eine CE-Kennz...

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