Leitsatz (amtlich)

Verstopft eine Regenwasserkanalisation infolge eines nicht fachgerecht angebrachten Einlaufgitters, kann die für die Kanalisation verantwortliche Kommune für einen Überschwemmungsschaden auf einem Anliegergrundstück (anteilig) haften, auch wenn der Schaden durch weitere, von der Kommune nicht zu vertretene Umstände mitverursacht wurde. Ein Haftungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativerhaltens setzt den Nachweis der Kommune voraus, dass der Schaden auch ohne die verstopfte Kanalisation eingetreten wäre.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 34

 

Verfahrensgang

LG Paderborn (Aktenzeichen 2 O 37/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.10.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 975,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG für die Hälfte des ihm anlässlich des Regenereignisses vom 15.10.2019 entstandenen Schadens, da der Einlaufbereich des Seitengrabens in die Rohrleitung nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen hat und dies für die Überschwemmung des klägerischen Grundstücks mitursächlich war.

a) Die Beklagte hat durch ihre Mitarbeiter eine gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht zur Verhinderung von Überschwemmungen verletzt.

aa) Der Anwendungsbereich von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG ist eröffnet. Denn die mit Planung, Herstellung und Betrieb der Entwässerungsanlagen auf dem Gebiet der Beklagten befassten Mitarbeiter haben bei dieser Tätigkeit ein öffentliches Amt im Sinne von Art. 34 S. 1 GG ausgeübt. Ein solches übt jeder aus, der mit öffentlicher Gewalt ausgestattet ist, unabhängig davon, ob ihm staatsrechtliche Beamteneigenschaft zukommt (BGH, Urteil vom 14.10.2004 - III ZR 169/04, juris Rn. 13, sogenannter haftungsrechtlicher Beamtenbegriff). Nach dieser Maßgabe sind die bezeichneten Mitarbeiter der Beklagten als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne einzustufen. Denn die Sammlung und Beseitigung der Abwässer in einer Gemeinde ist eine öffentliche Einrichtung und obliegt der Gemeinde als hoheitliche Aufgabe. Für Fehler bei Planung, Herstellung und Betrieb einer solchen Anlage haftet die Gemeinde daher nach Amtshaftungsgrundsätzen (BGH, Urteil vom 11.12.1997 - III ZR 52/97, juris Rn. 7). Auch unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes und der Verkehrssicherung ist die Gemeinde verpflichtet, Wohngrundstücke im Rahmen des Zumutbaren vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können, wenn etwa ein Graben oder ein Rohrdurchlass unter einem Feldweg anfallendes Wasser nicht mehr fasst und es dadurch zur Überschwemmung anliegender bebauter Grundstücke kommt (BGH, Urteil vom 18.02.1999 - III ZR 272/96, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 11.10.1990 - III ZR 134/88, juris Rn. 11).

bb) Die Beklagte hat diese ihr obliegende Amtspflicht auch verletzt.

(1) Keine Amtspflichtverletzung der Beklagten ist allerdings darin zu sehen, dass der Seitengraben und die anschließende Rohrleitung im Zeitpunkt des Regenereignisses nicht hinreichend dimensioniert und damit grundsätzlich nicht in der Lage gewesen sein sollen, das von der durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen A als Einzugsgebiet A 1 bezeichneten Fläche abfließende Oberflächenwasser aufzunehmen.

Grundsätzlich hat die Gemeinde ein ausreichend dimensioniertes Abwassersystem zu errichten und zu unterhalten, um den Schutz der Anlieger vor Hochwasserschäden in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Allerdings ist eine Gemeinde nicht verpflichtet, eine Regenwasserkanalisation einzurichten und zu unterhalten, die alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen kann. Denn bereits aus wirtschaftlichen Gründen sind die Gemeinden gezwungen, das Fassungsvermögen einer Regenwasserkanalisation nicht so groß zu bemessen, dass es auch für ganz selten auftretende, außergewöhnlich heftige Regenfälle ausreicht (BGH, Urteil vom 30.09.1982 - III ZR 110/81, juris Rn. 9). Insbesondere eine Dimensionierung im Hinblick auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 11.07.1991 - III ZR 177/90, juris Rn. 18; BGH, Urteil vom 05.10.1989 - III ZR 66/88, juris Rn. 11 f.).

Nach den durch das Landgericht getroffenen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vom Senat zugrunde zu legen sind, waren im vorliegenden Fall der Seitengraben und die anschlie...

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