Leitsatz (amtlich)

1. Kenntnis eines VN von einem grds. anzeigepflichtigen Umstand (hier: Entfernung eines Dickdarmadenoms) liegt nicht vor, wenn der Behandler dem VN mitgeteilt hat, es liege "kein Befund" vor.

2. Das VU muss sich in Kenntnis des auf sein Verlangen für die Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses vor Annahme eingeschalteten Arztes zurechnen lassen, der diese Vorsorgeuntersuchung durchgeführt hat, auch wenn VN dem Arzt bei der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses dieses Geschehen nicht ausdrücklich mitgeteilt hat, weil seine Vorkenntnisse als Behandler ausreichen.

 

Normenkette

VVG § 16

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 07.11.2007; Aktenzeichen 2 O 34/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 7.11.2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht zwar auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO), erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO analog). Ferner rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen die angefochtene Entscheidung (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO).

Die zwischen den Parteien gem. dem Versicherungsschein vom 30.6.2005, Versicherungsscheinnummer ..., vereinbarte Krankenversicherung ist nicht durch das Rücktrittsschreiben der Beklagten vom 8.12.2006 beendet worden, sondern besteht fort.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist sowohl zulässig (§ 256 ZPO), als auch sachlich begründet.

Das Rücktrittsrecht des Versicherers gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG setzt eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 16 Abs. 1 VVG voraus. Das LG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine derartige Verletzung der Anzeigeobliegenheit nicht vorliegt.

Auf der objektiven Seite hat die Klägerin zwar - entgegen den Ausführungen des LG - wahrheitswidrige Angaben in ihrem Versicherungsvertrag gemacht, allerdings fehlt bereits auf der subjektiven Seite eine Anzeigeobliegenheitsverletzung (Ziff. 1.). Zudem scheitert ein Recht zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag, weil der Beklagten die zunächst (objektiv) verschwiegenen Umstände über den Arzt als passiven Stellvertreter zur Kenntnis gebracht worden sind (Ziff. 2.).

1. Nach § 16 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Versicherungsvertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Die Anzeigeobliegenheit setzt positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von solchen Umständen im Zeitraum ihrer Erfüllung - bei der Antragstellung - voraus. Demgemäß ist für eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit zunächst maßgeblich, ob der Antragsteller bei Beantwortung von Antragsfragen von durch den Versicherer erfragten Umständen Kenntnis hatte. Solche Kenntnis kann sich für ihn bei erfragten Gesundheitsumständen sowohl unmittelbar aus eigener körperlicher Wahrnehmung ergeben, sie kann ihm aber auch durch Angaben der ihn zuvor behandelnden Ärzte vermittelt worden sein. Ist letzteres der Fall, kommt es nicht darauf an, ob solche ärztlichen Angaben sich im Nachhinein als objektiv zutreffend erweisen oder nicht. Denn § 16 Abs. 1 VVG knüpft die Obliegenheit zu deren Anzeige allein an die Kenntnis des Antragstellers bei Beantwortung der Antragsfragen. Hatte er zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der ihm offenbarten ärztlichen Einschätzungen Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen, obliegt es ihm, sie anzuzeigen, während deren Prüfung und Bewertung Sache des Versicherers ist (BGH VersR 1994, 711). Der Versicherungsnehmer ist mithin nicht berechtigt, die Gefahrerheblichkeit bestimmter Umstände aus seiner Sicht zu beurteilen, sondern gehalten, die ihm gestellten Fragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sowie deren Prüfung und Bewertung dem Versicherer zu überlassen (BGH VersR 2000, 1486).

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin objektiv wahrheitswidrig anzeigepflichtige Umstände in dem Versicherungsantrag nicht angezeigt. Die Klägerin hat auf die Frage 5. in dem Antragsformular "Bestanden außerdem in den letzten fünf Jahren Krankheiten, Beschwerden oder Unfallfolgen; sind Sie untersucht worden, auch zahnärztlich?" geantwortet, es habe Vorsorgeuntersuchungen und Routineuntersuchungen alle zwei Jahre ohne Befund gegeben. Wahrheitsgemäß hat die Klägerin hier zunächst die Vorsorgeuntersuchungen angegeben, jedoch den Befund im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, nämlich das Vorfinden eines Dickdarmadenoms im Rahmen der Vorsorgecoloskopie, nicht angegeben. Auch wenn das Dickdarmadenom, das sich als gutartig herausstellte, selbst keinen Krankheitswert hatte, letztlich also kein Krankheitsbefund vorlag, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, dies anzuzeigen, zumal die Entfernung im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung selbst auch mit Beschwerden im Rahmen der Operation und Sedierung einherging.

b) Das Rücktrittsrecht nach § 16 Abs. 2 VVG setzt aber weiter vor...

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