Leitsatz (amtlich)

1. Zur abstrakten Schadensberechnung beim Nichterfüllungsschaden des Werklieferanten.

2. Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei einem langfristigen Liefervertrag.

3. Zur Unwirksamkeit formularmäßiger Vertragsstrafenklauseln.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 100 O 40/13)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.08.2014 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 100 O 40/13 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.510.241,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.08.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 91,5 %, die Beklagte 8,5 % zu tragen, die Kosten der zweiten Instanz hat der Kläger zu 90,5 %, die Beklagte zu 9,5 % zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die andere Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der G... ... SE, vormals Q... ... (im Folgenden "Schuldnerin"). Er macht gegen die Beklagte, die bis 2017 als T... ... firmierte, Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung eines zwischen dieser und der Schuldnerin im April 2006 geschlossenen Liefervertrags über Solarzellen geltend.

Die in ... geschäftsansässige Beklagte stellt aus multikristallinen Solarzellen Solarmodule zur Erzeugung von Strom her. Die in ... geschäftsansässige Schuldnerin war in den Jahren 2005 und 2006 einer der weltweit größten Produzenten von Solarzellen. Zu dieser Zeit war der für die Produktion von Solarzellen benötigte Rohstoff - Silizium, welches zunächst zu sogenannten "Wafern" verarbeitet wird, aus denen dann die Solarzellen hergestellt werden - auf dem Weltmarkt äußerst knapp. Die Schuldnerin schloss daher mit ihren Kunden Lieferverträge über Solarzellen nur insoweit ab, wie sie sich selbst zuvor in einem Bezugsvertrag ausreichende Silizium- bzw. Wafer-Mengen gesichert hatte. Im Jahr 2005 hatten auch die Schuldnerin und die Beklagte bereits zwei mehrjährige Lieferverträge über Solarzellen geschlossen, die mit entsprechenden Wafer-Lieferverträgen der Schuldnerin korrespondierten.

Im Sommer 2005 erschloss sich die Schuldnerin bei ihrem Zulieferer für Silizium, der H... ... ... (im Folgenden "H... "), sowie ihrem Produzenten und Lieferanten von "Wafern", der L... ... Ltd (im Folgenden "L... "), weitere Mengen an Silizium. Aufgrund entsprechender Absprachen schloss L... mit H... am 29.08.2005 einen Liefervertrag über Silizium mit einer Laufzeit von zehn Jahren, in welchem sowohl die jährlichen Liefermengen als auch die Preise weitgehend fest vereinbart waren (im Folgenden "Silizium-Liefervertrag"). Dieser Vertrag sah aufgrund der von H... zu erbringenden Investitionen, u.a. für die Erweiterung der Produktionsstätten, eine nicht rückerstattungsfähige Vorauszahlung durch L... in Höhe von gut 36 Mio. US-Dollar vor. Zusätzlich übernahm die Schuldnerin im Silizium-Liefervertrag gegenüber H... eine Garantie auf erstes Anfordern für die Vertragserfüllung durch L... in Höhe von 66,7 % des Erfüllungsinteresses von H... gegenüber L... aus dem Silizium-Liefervertrag.

Am 16.01.2006 schloss die Schuldnerin mit L... einen Liefervertrag über Wafer mit einer Laufzeit von 10 Jahren (im Folgenden "Wafer-Liefervertrag"). Dieser Vertrag mit einem Volumen von knapp 723 Mio. US-Dollar sah ebenfalls eine bestimmte jährliche Liefermenge, nämlich zwei Drittel der Liefermengen aus dem Silizium-Liefervertrag vom 29.08.2005, sowie weitgehend feste Preise vor, wobei allerdings ab dem Jahr 2008 eine Preisanpassungsklausel griff. Ferner verpflichtete sich die Schuldnerin im Wafer-Liefervertrag gegenüber L... zur Zahlung von gut 24 Mio. US-Dollar unmittelbar an H..., welche auf die Verbindlichkeit der L... aus dem Silizium-Liefervertrag angerechnet werden sollte. Diese Vorauszahlung, die ebenso wie die Vorauszahlung von L... an H... in zwei Raten im Oktober 2005 und Oktober 2006 fällig war, wurde von der Schuldnerin fristgerecht an H... erbracht.

Vor diesem Hintergrund schlossen die Schuldnerin und die Beklagte am 25.04.2006 den - in englischer Sprache abgefassten - streitgegenständlichen Liefervertrag über Solarzellen (im Folgenden "Solarzellen-Liefervertrag"), der vom Kläger in englischer Sprache als Anlage K 3, in beglaubigter Übersetzung als Anlage BK 3 zu den Akten gereicht worden ist. Die Präambel lautet wie folgt:

"1. Beide Vertragsparteien sind im Photovoltaiksektor tätig, jedoch in verschiedenen Bereichen. T... produziert und verkauft Solarmodule. Q... ist im Bereich der Herstellung photovoltaischer Zelle...

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