Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlen des besonderen öffentlichen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung eines inhaftierten Ausländers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vermeidung der weiteren Strafvollstreckung aus fiskalischen Gründen bzw. zum Zweck der Entlastung begrenzter Haftplatzkapazitäten begründet regelmäßig kein besonderes öffentliches Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, das über das öffentliche Interesse an der Ausweisung selbst hinaus geht und dem der Vorrang gegenüber dem Interesse des Ausländers an der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gebührt (a.A. OVG Bremen, Beschl. v. 25.3.1999, NordÖR 1999, 284 = InfAuslR 1999, 409).

2. Durch eine Verfügung nach § 456 a StPO wird lediglich ein der Aufenthaltsbeendigung des ausgewiesenen Ausländers entgegenstehendes Strafvollstreckungshindernis beseitigt. Damit wird nicht zugleich das für den Sofortvollzug der Ausweisung notwendige besondere (Vollzugs-)Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begründet, mit dem der Rechtsschutzanspruch des ausgewiesenen Ausländers nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO ohne weiteres überwunden werden könnte.

 

Verfahrensgang

VG Hamburg (Beschluss vom 19.11.2004)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. November 2004 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage 11 K 5210/04 gegen die Verfügung vom 7. Juli 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2004 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt 2/3, der Antragsteller 1/3 der Kosten des gesamten Verfahrens

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,– Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat überwiegend Erfolg.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Diese Wirkung reicht allerdings nicht – wie dies der Antragsteller der Sache nach begehrt – bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klagverfahrens, sondern endet zu dem in § 80 b Abs. 1 VwGO bestimmten Zeitpunkt.

1. Aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO ist die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und ist ihm der begehrte einstweilige Rechtsschutz zu gewähren. Offenbleiben kann, ob sich die Ausweisung im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird (a.). Der Antragsteller hat nämlich ausreichend dargelegt, dass es derzeit an einem besonderen öffentlichen (Vollzugs-)Interesse im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO fehlt, hinter dem sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückzutreten hätte (b.)

a. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller nach der Verurteilung durch das Landgericht Verden zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung unter Anordnung des Sofortvollzugs ausgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die gegen die Ausweisung erhobene Klage des Antragstellers, der 1980 in Hamburg als Kind türkischer Eltern geboren worden ist und der durchgehend im Bundesgebiet gelebt hat, wahrscheinlich ohne Erfolg bleiben werde. Hierauf kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

b. Denn der Antragsteller macht in der Sache zutreffend geltend, dass die aufschiebende Wirkung der Klage jedenfalls deshalb wiederherzustellen sei, weil es an dem nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderlichen besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vorziehung der Ausweisung fehlt. Er trägt vor, er werde voraussichtlich erst Anfang 2007 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen, und es sei schon deshalb nicht mit weiteren Straftaten während des Klageverfahrens zu rechnen. Sollte dagegen ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, werde dies erst nach Einholung eines (neuen) Gutachtens und auf der Grundlage einer positiven Prognose der Strafvollstreckungskammer geschehen. Auch bei dieser Alternative sei deshalb nicht mit neuen Straftaten zu rechnen.

Damit macht der Antragsteller, dessen Aufenthaltserlaubnis durch die Ausweisung erloschen und der durch die Anordnung des Sofortvollzugs dieser Maßnahme vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist (§ 42 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), in der Sache zutreffend geltend, dass seinem Interesse, das Klageverfahren vom Bundesgebiet aus betreiben zu können, derzeit ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung seines Aufenthalts nicht entgegensteht. Das gilt sowohl unter dem Gesichtpunkt einer möglichen Wiederholungsgefahr (aa.) als auch für die von der Antragsgegnerin weiter genannten Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs, durch die Abschiebung des Antragstellers noch vor dem Haftende Vollstreckungskosten zu sparen bzw. Haftplatzkapazitäten zu entlasten (bb.).

aa. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung und entfällt diese Wirkung nur in den ...

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