Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Grenzen, Asyl und Einwanderung. Dublin-System. Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Überstellung eines schwer kranken Asylbewerbers in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Staat. Fehlen wesentlicher Gründe für die Annahme, dass in diesem Mitgliedstaat erwiesene systemische Schwachstellen bestehen. Pflichten des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 604/2013; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 4

 

Beteiligte

C. K. u.a

C. K

H. F

A. S

Republika Slovenija

 

Tenor

1. Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Frage der Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen „Ermessensklausel” durch einen Mitgliedstaat nicht allein dem nationalen Recht und dessen Auslegung durch das Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, sondern eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt.

2. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist wie folgt auszulegen:

  • Auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestehen, darf die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Verordnung Nr. 604/2013 nur unter Bedingungen vorgenommen werden, die es ausschließen, dass mit seiner Überstellung eine tatsächliche und erwiesene Gefahr verbunden ist, dass er eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieses Artikels erleidet.
  • Wäre mit der Überstellung eines Asylbewerbers, der eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweist, die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden, würde die Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen.
  • Es obliegt den Behörden des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat, und gegebenenfalls dessen Gerichten, alle ernsthaften Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Überstellung auf den Gesundheitszustand des Betroffenen zu beseitigen, indem sie die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, damit seine Überstellung unter Bedingungen stattfindet, die es ermöglichen, seinen Gesundheitszustand in angemessener und hinreichender Weise zu schützen. Sofern diese Vorsichtsmaßnahmen in Anbetracht der besonderen Schwere der Beeinträchtigung des betreffenden Asylbewerbers nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass seine Überstellung nicht mit der tatsächlichen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden sein wird, obliegt es den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die Durchführung seiner Überstellung auszusetzen, solange er aufgrund seines Zustands nicht überstellungsfähig ist.
  • Gegebenenfalls, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, kann der ersuchende Mitgliedstaat beschließen, den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen „Ermessensklausel” selbst zu prüfen.

Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 kann im Licht von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht dahin ausgelegt werden, dass er den betreffenden Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Anwendung der genannten Klausel verpflichtet.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) mit Entscheidung vom 28. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2016, in dem Verfahren

C. K.,

H. F.,

A. S.

gegen

Republika Slovenija

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 28. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2016, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Fünften Kammer vom 1. Dezember 2016, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2017,

unter Berü...

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