Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Soziale Sicherheit. Familienleistungen. Anspruch auf Rentenleistungen. Rentner, der von zwei Mitgliedstaaten Rentenzahlungen erhält. Mitgliedstaat(en), in dem/denen dieser Rentner Anspruch auf Familienleistungen hat. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die die Gewährung von Familienleistungen an den Elternteil vorsehen, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Kein Antrag auf Gewährung dieser Leistungen durch den dazu berechtigten Elternteil. Pflicht zur Berücksichtigung des Antrags des anderen Elternteils. Rückforderung von Familienleistungen, die dem anderen Elternteil gewährt wurden. Zulässigkeit

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 67-68; Verordnung (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 3

 

Beteiligte

Finanzamt Österreich

DN

Finanzamt Österreich

 

Tenor

1. Art. 67 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

ist dahin auszulegen, dass

eine Person, die in zwei Mitgliedstaaten Renten bezieht, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften beider dieser Mitgliedstaaten hat. Ist der Bezug solcher Leistungen in einem dieser Mitgliedstaaten nach den nationalen Rechtsvorschriften ausgeschlossen, kommen die Prioritätsregeln nach Art. 68 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 883/2004 nicht zur Anwendung.

2. Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der Familienleistungen zurückgefordert werden können, die in Fällen, in denen sie vom nach dieser Bestimmung anspruchsberechtigten Elternteil beantragt wurden, dem anderen Elternteil gewährt wurden, dessen Antrag nach dieser Bestimmung vom zuständigen Träger berücksichtigt wurde und der die ausschließliche Geldunterhaltslast für das Kind tatsächlich trägt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 19. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2021, in dem Verfahren

DN

gegen

Finanzamt Österreich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Pavliš, M. Smolek, und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 67 Satz 2 und Art. 68 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) sowie von Art. 60 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. 2009, L 284, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DN und dem Finanzamt Österreich, vormals Finanzamt Wien (Österreich) (im Folgenden: Finanzverwaltung), wegen der Rückforderung von Familienleistungen, die DN in Österreich aufgrund der Geldunterhaltslast für seine Tochter, die mit seiner früheren Ehefrau in Polen lebt, von Jänner bis August 2013 erhalten hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 883/2004

Rz. 3

Art. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

i) ‚Familienangehöriger’:

3. wird nach den gemäß Nummern 1 und 2 anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird;

q) ‚zuständiger Träger’:

i) den Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist,

oder

ii) den Träger, gegenüber dem die betreffende Person einen Anspruch auf Leistungen hat oder hätte, wenn sie selbst oder ihr Familienangehöriger bzw. ihre Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat wohnen würden, in dem dieser Träger seinen Sitz hat;

oder

iii) den von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats bezeichneten Träger,

oder

iv) bei einem System, das die Verpflichtungen des Arbeitgebers hinsichtlich der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Leistungen betrifft, d...

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